Vom Ende aller Dinge

Es gibt ein Ende, das ist endgültiger als alle anderen. Die Apokalypse wirkt so bedrohlich und nah, dass es immer häufiger zum Gegenstand in Erzählungen wird – und das nicht nur in der Genre-Literatur. Doch auch nach dem Ende gibt es immer etwas zu erzählen. Einige postapokalyptische Gedanken. 

Weltuntergang

Der Triumph des Todes von Pieter Bruegel d.Ä.

Wie viele Weltuntergänge haben wir in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich schon verpasst? Da war die Jahrtausendwende, der 20. Februar 2002 (es geht eben viel um Zahlen und Symmetrie), das Ende des Maya-Kalenders 2012 (hätten die prophetische Fähigkeiten, hätten die gar nicht so weit vorausgerechnet), der Untergang der nordischen Götter am 22. Februar 2014 (Marvel ist ein paar Jahre zu spät dran) oder die biblische Apokalypse am 23. September 2017 (hat jemand etwas bemerkt?).

Wir sind immer noch hier, aber die Bedrohung scheint noch nicht ausgestanden zu sein. Es gibt ganze Menschengruppen, die sich Bunker bauen und sich mit Konserven ausstatten, um auf das kommende Ende vorbereitet zu sein. Der dritte Weltkrieg, atomarer Holocaust inklusive, können jederzeit ausbrechen. Auslöser könnten die Klimakriege um die knapper werdenden Ressourcen sein. Doch auf lange Zeit werden wir sowieso dahingerafft, weil die Welt entweder überschwemmt wird und verödet ist. Dann ist alles zu Ende.

Oder vielleicht auch nicht…

Das Ende ist ein guter Anfang

Dem Weltuntergang wohnt immer auch eine Hoffnung inne, vielleicht doch zu überleben. Alles geht zu Ende und gerade für Geschichtenerzähler bietet das zahllose Möglichkeiten, um komplett neue Geschichten zu erzählen – das Ende von allem wird zu einem Motor für eine neue Welt oder einzigartige Charaktere.

Bereits seit über 200 Jahren gibt es postapokalyptische Literatur: In dem Gedicht “Darkness” von Lord Byron begegnen uns zwei Menschen (scheinbar der Gegenentwurf zu Abel und Kain – diese Symmetrie…) nachdem die Welt bereits vergangen ist.

Matrix

Ein Blick in die Welt hinter der “Matrix” (© Warner Bros.)

Vorher war das Ende zwar auch schon Thema, aber es brauchte das Selbstverständnis des Menschen, dass er seine Zukunft selbst in die Hand nimmt. Insofern bildeten die postapokalyptischen Geschichten ein Subgenre der Science Fiction. Was wäre, wenn die künstliche Intelligenz sich über den Menschen erheben würde? Das sehen wir zum Beispiel bei “Matrix”. Die erfolgreiche BBC-Serie “Doctor Who”, die eigentlich permanent mit dem Weltuntergang spielt: Die Hauptfigur ist der Inbegriff des Last Man (dazu später mehr), dessen eigene Welt bereits eine Art Ende gefunden hat. Auf seiner Reise kämpft er selbst ständig mit dem drohenden Weltuntergang: Aliens wollen die Erde entvölkern. Manchmal ist es ihnen sogar gelungen und es braucht einen Zeitreisetrick. Oder er begegnet im grenzenlosen Weltraum Menschenkolonien, die sich vor dem Weltuntergang gerettet haben.

Doch die Postapokalypse gehört nicht mehr exklusiv der Genreliteratur, sondern auch wird als Setting auch immer spannender für Romane, die im Feuilleton besprochen werden (vielleicht bespricht das Feuilleton auch gerne die Apokalypse, weil es sich selbst als sterbend sieht). Autoren merken, dass die Fantasie des Weltuntergangs immer realer wird und die drängt sich so in die Geschichten. Diese Geschichten wirken noch häufiger nach einer Warnung: So könnten wir enden. Der große Knall ist vorbei und die Menschheit vergeht langsam zu Grunde. Alles ist vorbei.

Oder vielleicht auch nicht…

Das ewige Warten

Und sie stiegen herauf auf die Ebene der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Und es fiel Feuer vom Himmel und verzehrte sie. Und der Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

(Offenbarung des Johannes, Kapitel 20, Verse 9 und 10)

Natürlich ist die Vorstellung des Weltuntergangs keine Erfindung der Neuzeit, sondern kommt direkt aus der vorgeschichtlichen Welt. Alles was ein Anfang hat muss auch ein Ende finden. Allerdings sind die meisten Vorstellung nicht so endgültig, wie die Vorstellung der Apokalypse. Ganz im Gegenteil gehen viele Religionen vom ständigen Kreislauf aus: Shiva zerstört und Brahma erschafft wieder alles und Vishnu bewahrt es bis Shiva wiederkommt. Zusammen bilden sie die hohe Trinität des Hinduismus.

In der jüdisch-christlichen Vorstellung sieht das anders aus: Geprägt durch die Knechtschaft in Babylon und Ägypten, sowie der Erzählung der Sintflut warten die Gottgläubigen auf ein Gericht ihres Gottes, das die Welt, die sündige, wieder beenden wird. Bei den Christen ist dieser Glaube sogar noch viel drängender, da ihr zentrale Figur Jesus Christus bereits die Ankündigung des letzten Gerichts ist. So leben sie, wie ein kluger Kommentar bemerkte, seit 2000 Jahren in der Erwartung auf die Wiederkehr Christi und das Jüngste Gericht. Bisher wurden Zeichen immer optimistisch fehlgedeutet und das Ende wurde aufgeschoben. Doch irgendwann wird der Tag kommen, an dem die die sieben Siegel gebrochen und die sieben Posaunen ertönen werden, dann wird sich das Tier zeigen, dessen Zahl 666 ist (es geht immer um Zahlen). Dann wird die Welt enden.

Oder vielleicht auch nicht…

Feuerstürme

Atombombe

Die ersten Atombombenabwürfe in Japan erweckten Weltuntergangsfantasien

Selbst in der judaischen Tradition, in der alles aus dem Nichts geschaffen wurde, vergeht nicht alles ins plötzliche Nichts. Es ist ein Kampf, der alle Sünder vernichtet und die Seligen, die Würdigen ins sündenlose Paradies zurückbringt, aus dem die Menschen vertrieben wurden. (So schließt sich also auch hier ein Kreis.) Diese Erzählung prägt die Vorstellung des nahenden Endes, die inzwischen sehr viele verschiedene Spielarten angenommen hat.

Versuchen wir uns also an einer Kategorisierung der Weltuntergangsszenarien:

Von innen: Die Menschheit vernichtet sich und die Welt zu großen Teilen selbst in einem Krieg, wie bei “Nach der Bombe” von Philip K. Dick; die Menschheit zerstört die Umwelt, in der sie lebt, wie bei “Ein Freund der Erde” von T.C. Boyle, “2012” von Roland Emmerich in Anspielung an die Sintflut und “The Day after Tomorrow”; oder sie schafft einen Virus (absichtlich oder nicht), der das Leben vernichtet. Das kann dann auch zu anderen Formen der Apokalypse führen, wie der Zombieapokalypse, sie bei “Zone One” von Colson Whitehead oder “The Walking Dead”. Das überschneidet sich dann etwas mit der nächsten Kategorie:

Komet

Berechnungen sagten einen Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy auf der Erde vorraus.

Von außen: Wieder Krieg, aber diesmal mit Außerirdischen, wie bei “Die 5. Welle” von Rick Yancey, “Independence Day”  und “Krieg der Welten” von H.G. Wells. Die Natur könnte sich aber auch selbst beenden, zum Beispiel durch den Einschlag eines Kometen, so wie es bei “Armageddon” (Titel orientiert sich ebenfalls an der Bibel) verhindert wurde.

Judgement

Der Mittelteil des Triptychons “Das jüngste Gericht” von Hieronymus Bosch

Von oben: Ein Setting, das gerne vernachlässigt wird, ist natürlich der unverschleierte göttliche Finger, ein mysteriöses und unerklärliches Ende. Bei Tom Perrottas “Die Verlassenen” werden 144.000 Menschen (Zahlen!) entrückt, bei “This is the end” brennt die Erde, bei Thomas Glavinics “Die Arbeit der Nacht” und Rosendorfers “Großes Solo für Anton” verschwinden die Menschen ohne ersichtlichen Grund. So oder so geht alles zu Ende.

Oder vielleicht auch nicht…

Welche Welt?

Was genau Apokalypse bedeutet, was genau zu Ende geht ist oft gar nicht so klar. Die Welt kann komplett zerstört sein, aber die Menschheit hat sich auf eine Art Arche gerettet. Vielleicht ist es auch anders herum: Die Erde bleibt intakt, aber die Menschheit ist verschwunden. Vielleicht passiert beides (aber was gäbe es dann zu erzählen?) oder tatsächlich auch keines von beiden. Denn auch der vollkommende Zusammenbruch der Gesellschaft wird oft als Apokalypse verstanden.

Deswegen werden manchmal auch Geschichten als Postapokalypse gelesen obwohl sie es nicht sind. Meist handelt es sich in diesen Fällen um klassische Dystopien. Orwells “1984” ist die ohne Zäsur der Apokalypse weitergedachte Blockbildung. Der Film “Elysium” oder die Serie “3%” treibt die Schere von Arm und Reich ohne Zäsur der Apokalypse weiter. Auch Bradburys “Fahrenheit 451” ist die verlängerte Version einer Tyrannei, die ihr Volk dumm halten will, im Gegensatz zum Film “Equilibrium”, in dem eine ähnliche Situation herrscht, die jedoch durch eine Untergangserfahrung hervorgerufen wurde.

Diese Settings rufen bei Lesern das Gefühl der Postapokalypse hervor, weil es ein Bruch ist, zu dem was sie kennen. Doch es gibt auch andere Geschichten, die eine postapokalyptische Stimmung aufkommen lassen. Beim Bachmannpreis 2017 las Jörg-Uwe Albig aus “Eine Liebe in der Steppe” und die Jury bescheinigte (nicht zum ersten Mal in diesem Jahr) ein postapokalyptisches Setting. Doch der Roman zeigt, es geht nur um eine Art Geisterstadt. Ebenso wurde mir der Roman “Tokio im Jahr Null” von David Peace empfohlen, denn der Zerfall nach dem Zweiten Weltkrieg, der Jugoslawien-Krieg und viele andere erwecken die Vorstellung der Postapokalypse.

Es sind solche und andere Erlebnisse, die Autoren dazu bewegen, von der Zeit nach dem Ende zu erzählen. Lord Byron erlebte das Jahr ohne Sommer, in dem der Himmel dunkel war, Philip K. Dick war geprägt vom Kalten Krieg und heute sind uns so viele Möglichkeiten des Endes bewusst, dass Schriftsteller darüber schreiben wollen. Denn nach dem Ende wäre es zu spät.

Oder vielleicht auch nicht…

Neue Welten

Was keiner gesehen hat, ist auch nie geschehen. Deswegen gibt es nach jeder Apokalypse immer Zeugen. Eine Einzelner oder eine Gruppe bleiben zurück, um die Fehler zu erkennen, ohne sie wieder beheben zu können. Möglicherweise erkennen sie sie auch nicht, doch die Rezipienten können die Überreste der Zivilisation, die uns immer an die eigene Vergänglichkeit erinnert, erkenntn. Postapokalyptische Geschichten haben dafür zwei Herangehensweise: In populären Filmen und der Genre-Literatur werden fantastische (aber nicht unbedingt schöne) Welten oder Gesellschaften entworfen. Andere Geschichten drehen sich um die Zurückgebliebenen: Die Welt liegt in den letzten Zügen und haucht mit den letzten Menschen ihren Atem aus.

Gerade die Science-Fiction nutzt den Einschnitt des Weltuntergangs, um auf den Trümmern der Menschheit neue, oft eben dystopische Gesellschaften aufzubauen. Innerhalb dieser Gesellschaft wird die Erzählung vom Untergang als Warnung genutzt – Wir leben so, damit das nicht noch einmal passiert. In “Die Bestimmung” sehen wir eine isolierte Stadt, in der Menschen nach ihren Eigenschaften eingeteilt werden (Achtung Spoiler!: Es zeigt sich, dass das Ganze nur ein Experiment ist, um Genmanipulationen wieder zu normalisieren). In “Die Tribute von Panem” wurde der Einbruch des Weltendes genutzt, um monarchistische Herrschaftsverhältnisse zu schaffen und sie mit Hilfe von Medien aufrecht zu halten.

So dystopisch diese Welten auch sein mögen, so besitzen sie dennoch die Hoffnung, dass die Menschheit sich weiter entwickelt. Andere Geschichten zeigen stattdessen eher, wie sich die Gesellschaft in einen früheren Zustand begibt. Oft wird dabei eine Welt ohne Hierarchien entworfen, dann als negativste Ausformung einer anarchischen Gesellschaft. In dem Film “The Book of Eli” erinnert das Setting an den Welten Westen, in dem jeder sich selbst der Nächste ist. Glukhovsky verbannt die Einwohner Moskaus in “Metro 2033” in die U-Bahn, ein Was-wäre-wenn-Szenario. Hier entsteht wieder eine Welt im Kleinen. Es entstehen an den verschiedenen Stationen Systeme, die untereinander um die Herrschaft kämpfen – vielleicht so wie zwischen den Weltkriegen. In Kass Morgans “The 100” ist die Welt wieder in einem Zustand primitiver Zivilisation, in der Menschen in Stämmen leben.

Diese Welten bleiben immer nach nahe an dem Untergang der Welt. Andere haben sich so weit entfernt, dass nur der Leser die Anzeichen einer vormaligen Zivilisation erkennen können. Terry Brooks “The Sword of Shannara Trilogy” sehen auf den ersten Blick aus, wie normale Fantasy-Bücher. Erst nach und nach bemerkt der Leser, dass diese Welt voller Elfen, Gnomen und Zauberern (Auswirkungen von atomarer Verseuchung?) auf den Trümmern unserer Welt entstanden ist. Auch Stephen Kings opus magnum “Der Dunkle Turm” spielt in einer atomar versehrten Welt, die an den Wilden Westen erinnert. An die vergangene Apokalypse scheint sich niemand mehr zu erinnern, Überreste eines Krieges werden als Teile einer vergessenen Zivilisation gar nicht mehr beachtet. Viel relevanter ist der drohende Untergang der Existenz. Denn jede dieser neuen Welten wohnt der Kampf um das Überleben inne. Sonst stirbt die Menschheit doch noch aus.

Oder vielleicht auch nicht…

Der Letzte macht das Licht aus

Wie schon erwähnt, muss einer immer übrig bleiben. Vielleicht könnte sich die Lyrik eine Welt ohne Menschen vorstellen (das tut sie auch, ohne postapokalyptisch sein zu müssen). Doch die erzählende Literatur braucht eine Figur, an der sie sich halten kann. Am besten einen Menschen, damit sich der menschliche Leser angesprochen fühlt.

last man

“The Last Man” von John Martin

Dieses Setting ist weniger fantastisch, sondern eher tragisch und es hat oft etwas Schicksalergebenes. In Grainvilles “Le dernier homme” begleiten wir das letzte Liebespaar der Erde, das den Druck von Adam und Eva spürt. Heinz Helle erzählt “eigentlich müssten wir tanzen” von einer Männergruppe, die sich versucht zu einem Teil der Welt durchzuschlagen, der noch nicht brennt. In Paul Austers “Im Land der letzten Dinge” herrscht nicht unbedingt Einsamkeit, aber doch eine Form von Anarchie und vor allem Mangel. Ein Mangel, der zu Grenzüberschreitungen führen kann. Cormac McCarthy erzählt in “Die Straße” wie ein Mann und ein Kind sich durch eine ausgestorbene Landschaft kämpfen, von der Plünderung der Leichen und dem einsetzenden Kannibalismus. “Homo homines lupus est.” In diesem Sinne sitzt auch das “Wiener Kindl” in Karin Peschkas Geschichte zwischen den Hunden und wird wie Mowgli zum Alpha-Tier, um so ganz instinktiv ums Überleben zu Kämpfen.

Dieser Kampf ist allerdings nicht immer zentral in der Erzählung vom letzten Menschen, vor allem nicht wenn es der allerletzte ist. Die Fragen werden hier existenzieller: Wo sind alle hin, und was macht der letzte Mensch auf Erden? In Glavinics “Die Arbeit der Nacht” begibt sich der Held auf die Suche nach verbliebenen Artgenossen, giert nach echter Gesellschaft. Die Protagonistin in “Wittgensteins Mätresse” von David Markson hat die Suche längst aufgegeben. Die Botschaften, die sie auf der Welt hinterlassen hat, blieben unbeantwortet. Auch Anton in Herbert Rosendorfers “Großes Solo für Anton” fragt sich, wohin alle verschwunden sind. Aber für den Finanzbeamten ist das kein Grund für eine große Suche, stattdessen schaut er ab und zu im Büro vorbei, falls alle wieder auftauchen. Doch dann (Achtung Spoiler!) stellt er fest, dass er Gott ist. Offensichtlich kann auch dieser verplante Mensch die Einsamkeit nicht ertragen und will die Menschheit neu schaffen. Als er scheitert, lässt er sich lieber selbst verschwinden und mit ihm ist die Geschichte der Menschheit zu Ende.

Oder vielleicht auch nicht…

Das Ende der Sprache

Die Gedanken der Menschen werden ihn überdauern. Deswegen bleibt es auch nach dem Ende der Welt (wie auch immer das aussehen mag) die Aufgabe der Hinterbliebenen die Geschichte zu erzählen. Bei Paul Auster ist die Sprache das Einzige, was von der Vergangenheit bleibt. Indem sich die Menschen gegenseitig erzählen, wird der Wohlstand wieder lebendig. Das Erzählen macht den Umbruch erst deutlich und ist eine wichtige Aufgabe der letzten Zeugen. So schreibt der Erzähler in Thomas von Steinaeckers Roman “Die Verteidigung des Paradieses” die eigene Geschichte nieder, denn das Schreiben bewahrt ihn, gibt ihm eine Aufgabe

Gleichzeitig geht mit der Apokalypse aber auch eine Veränderung der Sprache einher. Heinz benutzt eine Sprache voller Slangbegriffe, denn die Sprache wird nur mehr gesprochen und die Sprachwächter gehören der Vergangenheit an. Überhaupt verlangt das Leben nach der Apokalypse neue Worte, weil so viel Verschwundenes ersetzt werden musste. So spricht Roland Deschain bei King wie selbstverständlich von Mutis und Mannis. Heinz Helles Protagonisten sprechen in einem konsequenten ‘wir’, denn der einzelne ist nicht mehr von Bedeutung, sondern nur noch das Rudel. Die Erzählung der letzten Überlebenden in Marksons Roman zerfasert regelrecht, die Satzenden hängen in der Luft, während sie Bücher verbrennt, die sie ausgelesen hat. – Es gibt niemanden mehr, für den sie Geschichten aufheben müsste und Gedanken zu beenden braucht. Trotzdem bleiben die Geschichten, die Erzählungen der Menschheit.

Oder vielleicht auch nicht…

Was vom Menschen übrig blieb

Bleibt nur noch eine Frage: Warum reden wir so viel über eine Welt, die er nach unserem (vielleicht doch nicht so) fernen Ende liegt? Bietet unsere Gegenwart nicht genug Probleme?

Natürlich tut sie das und wie jede gute Science-Fiction kommt die Zukunft direkt aus unserer Gegenwart. Nicht selten geht es um reale Ängste und gar nicht so absurde Szenarien, die da farbenprächtig ausgemalt werden. Wir warten doch nur auf das Ende.

Gleichzeitig ist der Weltuntergang eine wunderbar grundierte Fläche um die unterschiedlichsten Settings auszumalen. Hier kann problemlos Technikmagie mit einem Law & Order-Sheriff gekreuzt werden. Doch vor allem kann man den Menschen hier einmal ohne die Ketten der Zivilisation sehen.

Die zentrale Frage ist: Was bleibt vom Menschen? Diese Frage zielt in zwei Richtungen, nämlich auf den Menschen selbst und auf seine Werke. Die dystopischen Elemente postapokalyptischer Geschichten zeigen uns, wie sich der Mensch verhalten wird: Werden wir uns zusammenreißen und endliche eine gerechte Gesellschaft erschaffen? Kommt es zu Anarchie und Machtkampf, fallen wir in alte Muster von umherziehenden Stämmen zurück oder kommt das Tier in uns wieder deutlich zum Vorschein? Doch wenn das alles vorbei ist, die Menschheit die Erde nicht mehr bewohnt geht es letztlich um unsere Hinterlassenschaft. Der einsame letzte Mensch wandert durch die entvölkerten Städte und sieht die Nutzlosigkeit mancher Errungenschaften. Wenn er lange genug überlebt kann er den Verfall beobachten, wie sich eine Schicht aus Bauschutt entwickelt, die eine eigene Geschichte in der Geologie erzählen wird: Die Geschichte des Anthropozäns, des Zeitalters der Menschen – das nun vorbei ist. Hier gibt es nichts mehr zu erzählen.

Oder vielleicht doch…?


Themenspezial Ende?

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Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

7 Kommentare:

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  4. Hallo und ein großes WOW – das nennen ich mal einen genial gelungenen Beitrag. Die Kombinationen aus Büchern, Filmen, Bibelzitaten und religiösen bis fantastischen Beispielen haben mir großen Spaß beim Lesen bereitet und so ganz nebenbei das ein oder andere ‘gelehrt’.
    Das Dystopische hat (auf mich) eine große Anziehungskraft und ich bewundere immer wieder die unterschiedlichen Darstellungen der Apokalypsen und vor allem das DANACH.
    Die Straße ist seit Jahren mein Lieblingsbuch und wird es wohl auch bleiben.
    Viele andere hier erwähnte kenne ich aber es sind ein paar dabei die mal gestöbert werden wollen. Metro z.B.
    Danke für diesen sehr informativen Beitrag.
    Einen guten Wochenstart , auf das uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt 😉
    Liebe Grüße
    Kerstin

    • Willkommen und ein großes DANKE! Ja an dem Thema kann man bis zum Ende der Zeiten arbeiten, haha. Ich hätte auch gerne noch Musik eingearbeitet, aber das hätte dann wohl wirklich den Rahmen gesprengt, ach ja und Zeit braucht man dafür ja auch.
      Aber das Thema ist wirklich reizvoll, zum einen spricht es das Fatalistische in uns an, das pessimistisch auf den Zusammenbruch wartet, aber sich auch am eigenen Selbstmitleid weidet. Vielleicht ist es auch das Gefühl, dass es noch nicht so schlimm ist, oder sich das Schlimmste vielleicht noch verhindern lässt. Aber vor allem gibt das Ende der Welt die Möglichkeit sich auch die absurdesten Konstellationen auszudenken. Da ist die Metro-Reihe ja ein wunderbares Beispiel, das sich wirklich lohnt, weil es wirklich schön ist, zu sehen, wie der Autor die Konflikte wieder ins Kleine verlagert und irgendwie kann man es auch als Parodie der Kiezbildung in Großstädten lesen.
      Schreib doch gerne nochmal, wenn du es gelesen hast.
      Liebe Grüße, Thilo

  5. Ich kann mich Kerstin nur anschließen: Sehr umfangreich, viel Text (uiuiuih XD) und auch noch Buchtipps!
    David Peace’ sein Werk hatte ich mal hier … wusste gar nicht, dass man in so eine Endzeit/Neubeginn Phase einordnen kann. Wieder was gelernt 😀
    [ein kurzer Blick auf den SUB sagt, nope, hab es nicht mehr, aber ich werde mal danach Ausschau halten]
    Die Metro Reihe, liebe ich übrigens :3

    • Liebe Christin,
      was soll ich sagen: Man unterschätzt dieses Thema schnell und plötzlich ist man bei 5 Seiten und hat das Gefühl immer noch nicht alles erzählt zu haben. Ich habe nämlich diesen, gelegentlich etwas störenden Zug, dass ich, wenn ich mit einem Thema auseinandersetze auch alles lesen will – daran scheitere ich einfach regelmäßig.
      Zu Tokio im Jahr Null: ich kann mir vorstellen, dass durch Hiroshima und Nagasaki, das Gefühl von Stunde Null, das auch Deutsche der 40er Jahre kennen, noch umfassender war. Wie soll man weitermachen, wenn man der größten Bedrohung der Menschheit entkommen ist. Im Großen und Ganzen ist das zwar eine Kriminalgeschichte, aber die Stimmung im Buch ist eben speziell und gut eingefangen.
      Und ja, Metro basiert einfach auf einer wunderbaren Grundidee. Leider habe ich es noch nicht geschafft, alles zu lesen. Aber in irgendeinem Urlaub gönne ich mir das mal.
      Liebe Grüße, Thilo

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