Mit Elefanten im All

Kinder sind nicht einfach und schon gar nicht immer leicht zu verstehen. Sie haben komplexe Sorgen und Probleme. Davon erzählt Kristofer Blindheim Grønskag in seinem Stück “Satelliten am Nachthimmel”. Auch als Buch lohnt sich der Theatertext.

Buchcover mit Text: Kristofer Grönskag: Satelliten am Nachthimmel/Runter auf Null

(Hinweis: Dieser Text wurde ursprünglich für die Medientipps auf die-deutsche-buehne.de geschrieben.)

Eines der größten Probleme von Kinderstücken ist ihre Authentizität. Und die Ursache dafür ist vielleicht eines der größten Probleme von Kindern. Denn wenn sie endlich so reden können, dass die Erwachsenen sie verstehen, wenn sie sogar schreiben können, dann fehlt ihnen die ungezwungene Art. Und so müssen sich Erwachsene in Kinder hineinversetzen und können sie dabei eigentlich nie wirklich treffen.

Stück über Wut und Sprachlosigkeit

Der norwegische Autor Kristofer Blindheim Grønskag hat dafür eine wunderbare Lösung gefunden: Ein seinem Stück „Satelliten am Nachthimmel“ geht es um Joni, und Joni hat ein Schwarzes Loch (diese mysteriösen Objekte im Universum) im Bauch. Das ist natürlich eine Metapher, dass etwas in dem Kind gärt: die Wut von niemandem verstanden zu werden.

Grønskag aber nimmt seine eigene Metapher komplett ernst, denkt sie weiter und lässt seine Heldin sogar in den Weltraum fliegen, wo sie Elefanten trifft. Das vertieft zum einen die Metapher über ein Kind, dass daran scheitert, Kontakt zu den Erwachsenen herzustellen. Gleichzeitig macht es aber Spaß dieser Herde von Dickhäutern zu begegnen. Die Geschichte ist weit genug weg von der Realität, dass jeder etwas darin erkennen kann.

Die absurde Situation, in der Joni sich befindet, ermöglicht Grønskag eine knappe, auch poetische Sprache. Wir tauchen mit Joni in ihre Welt ein, die sich gerade dadurch auch beim Lesen sehr gut erschließt. Die Vorstellung, dass Joni ein Schwarzes Loch im Bauch trägt, ist übrigens nicht nur deswegen ein starkes Bild, weil es ein starkes körperliches Gefühl vermittelt, sondern auch weil diese Singularitäten immer noch als mysteriös und äußerst gefährlich gelten. So werden die Sorgen von Kindern ernstgenommen und auch das zeichnet ein gutes Kinderstück aus.

Die verrückte Welt der Sozialen Medien

Das zweite Stück des Bandes kommt da nicht ganz ran: Der Titel „Runter auf Null“ beschreibt das Gestaltungsprinzip des Textes, bei dem Szenen von Zehn auf Null runtergezählt werden. Die Geschichte(n) werden allerdings nicht in umgekehrter Reihenfolge erzählt, sondern noch etwas wilder erzählt.

Aber der Grundgedanke wird durch diverse Zeitsprünge doch deutlich: Am Anfang versucht eine Gruppe Jugendlicher sich ganz knapp nicht von einem Zug überfahren zu lassen. Nach und nach erfahren wir, was diesen Menschen vorher passiert ist. Da geht es um Mobbing, um verzweifelte Sinnsuche, Stalking im Zeitalter von Social Media und der Wunsch etwas zu bedeuten.

Zugegeben, das sind alles keine neuen Themen, keine innovativen Ansätze. Aber Grønskag überzeugt abermals mit seiner verdichteten Sprache und Dramaturgie. Der Autor erzählt keine stereotypen Stories mit vorhersehbar schlechtem oder gutem Ende. Er zeigt die Situationen, die den Stereotypen zu Grunde liegen. Das Bild, das beim Lesen entsteht, gerät dabei leider nicht so vieldeutig und spannend wie im ersten Stück. Ein Blick in beide Stücke lohnt sich allemal.

Kristofer Grønskag: Satelliten am Nachthimmel/Runter auf Null, Deutsch von Nelly Winterhalder, Verlag der Autoren, 184 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3-88661-403-5

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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