Politik-Palaver und utopische Fußball-Liebe

Anthologien bergen immer das Risiko, dass nicht alle Beiträge auf der gleichen Höhe sind. Das zeigt sich auch an der vierten Ausgabe der Dramatischen Rundschau des Fischer-Verlages. Doch die guten Texte sind von so bemerkenswerter Qualität, dass sich eine Empfehlung dennoch lohnt. Arbeiten wir uns also langsam zum Highlight vor.

Buchcover mit Schrift: 04 Dramatische Rundschau - Benbenek, Benrath, Lotz, Meier, Michalek, Schmalz

(Hinweis: Dieser Text wurde ursprünglich für die Medientipps auf die-deutsche-buehne.de geschrieben.)

Ruth Johanna Benrath erzählt in „im wald (das sind)“ von einer jungen Familie, die ganz offensichtlich vor dem Lockdown in den Wald flieht. Dort treffen die (Stadt-)Menschen auf ein besonderes Misstrauen: Die Tiere des Waldes wollen sie verjagen, weil sie ganz offensichtlich nicht hierher passen, und auch die Menschen fühlen sich nicht wohl. Aus konzeptioneller Sicht ist es schön, dass es dieses Stück in die Anthologie geschafft hat: weil es zum einen ein Zeitzeugnis der Pandemie ist, die sie fast wie ein Sediment-Schicht in das Schreiben auf der Welt gelegt hat. Zum anderen ist dieses Stück ein Beispiel dafür, dass auch viel zeitgenössische Dramatik explizit für junges Publikum geschrieben wird. Leider erscheint das Stück im Detail bemüht humorvoll und fad.

Viele gute und spannende Ideen finden sich in Milena Michaleks Text „Das hier“, der im Rahmen der Autor:innentheatertage am DT Berlin entstand. Mit diesem Stück wirbt sie mitten in der Corona-Krise 2021 für körperliche Ko-Präsenz – eine Forderung, das Theater als einen wichtigen Ort der Demokratie wahrzunehmen. In ihrem kurzen Stück telefoniert ein Mann mit einem Orakel und Rosa Luxemburg sinniert über die Gemeinschaft in einer Zelle. Dazwischen gibt es einen Disput von Geist und Körper, von Mittel- und Unterschicht (die nicht ganz so klar voneinander zu trennen sind) sowie ein Traktrat zum Theater selbst. Alles ganz witzig und dabei alles andere als dumm, aber leider etwas hölzern und blutleer. Hoffentlich nur ein Zwischenstand auf dem Weg zur Vollendung.

Spiel mit alten Geschichten

Es gehört zum Selbstverständnis der Nibelungenfestspiele in Worms, dass sie die Sage immer wieder neu entdecken und in einen aktuellen Kontext stellen wollen. 2022 übernahm das Überschreiben Ferdinand Schmalz. Zuvor wurde der österreichische Autor und Dramatiker unter anderem für seine Neufassung des „Jedermann“ für die Salzburger Festspiele gefeiert. Auf für seine „hildensaga“ findet er einen spannenden Ansatz, der seine Inspiration sicherlich auch aus Wagners „Ring des Nibelungen“ zieht: Auch in diesem „königinnendrama“, wie es im Untertitel heißt, spinnen die Nornen das Schicksal der Welt. In diesem Stück entscheiden sie sich jedoch, den Kreislauf des Schicksals zu unterbrechen. Sie wollen Brünnhilde die Chance geben, das Schicksalsgeflecht zu durchbrechen. Das zieht sich leider wie ein ganzes Wollknäuel: Zu ausführlich erzählt Schmalz die bekannte Handlung, wie Siegfried Gunther beim Wettkampf gegen Brünnhilde betrogen haben. Dabei fehlt dann auch der Wortwitz und vor allem der Sound, der die früheren Leibstücke des Österreichers auszeichnete. Schade!

Auch Ewe Benbenek bedient sich wohlbekannter Themen, aber vermengt sie auf ganz eigene Weise. Ihr Text heißt „Tragödienbastard“ und wirkt auf den ersten Blick viel zu statisch für einen Theatertext: Drei Alter Egos stehen da in einem Raum und reden davon, dass sie endlich anfangen wollen. Unterstützt werden sie dabei später von einem Chor. So spielt Benbenek zum einem mit der klassischen griechischen Tragödie, gleichzeitig verweist sie auf das sogenannte In-yer-face-Theater einer Sarah Kane. Bei Benbenek geht es allerdings nicht ganz so düster zu, obwohl ihre Geschichte alles andere als leicht ist: Es geht um Migration, die Schwierigkeiten der Sprache, den Generationenkonflikt, der Druck, in der Schule als Arbeiter- und Migrantenkind immer überperformen zu müssen, weil niemand etwas erwartet. Zum Schluss kommt noch ein Schuss Sexismus in das Gemisch. Das Stück braucht zwar etwas, doch letztlich wirkt es nicht aufgesetzt, sondern rund. Vor allem weil die Protagonistinnen der Geschichte mit erhobenen Haupt von der Bühne gehen – sie waren stärker als die Tragödien.

Theatertexte voller Überraschungen

Es ist ein Allzweckwaffe geworden: „Die Politiker“ von Wolfram Lotz. Uraufgeführt wurde der sogenannte Sprechtext im Rahmen der Sebastian Hartmanns Inszenierung des „König Lear“ am Deutschen Theater Berlin. Seitdem wurde es immer wieder mit ähnlichen Inszenierungen kombiniert, denn es fügt sich einfach in jede Geschichte über Macht. Das liegt vor allem daran, dass der Text keine Handlung hat, oft sogar Unsinn ist, ohne dabei sinnlos zu sein. Lotz greift das Idiom des Volksmundes auf, der immer von „den“ Politikern spricht und macht sie in seinem Text zu einer grauen Masse. Diese Gruppe macht Normale-Leute-Alltag-Sachen (es sind immer noch Menschen), aber auch Politiker-Sachen, die auch schnell verwerflich scheinen. Manchmal reiht der Autor aber auch einfach Nonsens aneinander, reimt wild – ein assoziatives Schreiben. Im Untertitel nennt der Dramatiker sein Stück einen „Sprechtext“. Darin liegt seine Stärke: Man will aufspringen und diesen Text laut lesen, herumwandern und die Worte im Mund formen. Dabei entstehen Echos, die zu neuen Assoziationen und zu einen Nachdenken über die Politik führen.

Das absolute Highlight des Bandes ist das der Erstling von Leo Meier: „zwei herren aus real madrid“. Schon der Titel lockt neues Publikum in den Saal. Und auch wenn (oder gerade weil) es nur am Rande um die Champions League geht, wird sich jeder amüsieren. Leo Meier lässt zwei Männer treffen, die überrascht feststellen, dass sie beim Erfolgsclub Real Madrid spielen. Schon diese Absurdität sorgt für ein Schmunzeln. Während dann Drachen als Reittiere überraschen, scheint die Einfältigkeit des einen Herren wie ein Klischee. Doch es wird nicht als Klischee ausgestellt. Was diese Stück so wunderbar macht, ist eine eigenwillige Abwesenheit von Drama: Da lieben sich zwei Männer ohne große Hürden. Da gibt es ein Weihnachtsessen mit der Familie ohne Konflikte – alle sind immer so nett. Und dass Sergio Ramos gegen Ende eine brennende Rede hält für mehr Offenheit und der Erkenntnis, dass selbst ein Fußballstar sterben könnte, rundet das ab. Dieses Stück zeigt eine Utopie der Freundlichkeit, ohne dabei langweilig zu sein. Das macht schon im Theater Spaß. Gelesen kommt noch hinzu, dass der junge Autor Anmerkungen in seinen Text schreibt, dass sich auch nicht ganz sicher ist und das Team gerne nochmal abstimmen soll. Allein für diesen Text lohnt sich das ganze Buch!

Dramatische Rundschau 04, Verlag Fischer Taschenbuch, 26. Oktober 2022, 384 Seiten, Buch: 22 Euro/e-Book: 18,99, ISBN: 978-3-596-70798-0

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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