Theater lesen – wie geht das?

In meinem ersten “Theater lesen”-Beitrag hab ich euch hoffentlich alle davon überzeugt, dass es sich lohnt, Theatertexte zu lesen. Aber wie soll das eigentlich gehen? Hier habe ich ein paar Tipps für euch.

Wie liest man eigentlich Theatertexte? Die Antwort ist fast schon frech einfach: Einfach ein Buch aufschlagen und lesen, sagt der Dramatiker Daniel Mezger. Sein Kollege Robert Wölfl meint: „Das Schwierigste ist diese Schwelle, über die man treten muss, weil man immer gehört hat, dass Theatertexte nicht dazu da sind gelesen, sondern auf einer Bühne gesprochen zu werden. Aber das stimmt überhaupt nicht!“ Autor Lukas Bärfuss ist dagegen davon überzeugt, dass seine Theatertexte sogar zum Lesen gedacht seien, denn auch Schauspieler*innen und Regisseur*innen sind erstmal Lesende. Roland Schimmelpfennig hingegen widerspricht dem und meint, dass es erst ein wenig Training bräuchte. (Das reicht jetzt aber mit dem Namedropping, dazu folgt später noch mehr.)

Gespür fürs Theater

Tatsächlich ist etwas Erfahrung nötig, um Theater lesen zu können. Aber ich bin mir sicher, dass jeder, der diesen Text hier liest, eine gewisse Begeisterung für das Theater mitbringen dürfte. Vielleicht ist es dann auch am einfachsten, mit einem Stück anzufangen, das man schon im Theater gesehen hat. So fällt es leichter diesen Übersetzungsprozess, der bei einem Theaterstück dazugehört, in der eigenen Vorstellung vollziehen zu können.

Dazu eine längere Antwort von “Theater der Zeit”-Chefredakteurin Dörte Eilers:

„Das muss man immer mitlesen, dass diese Texte nicht als Lesetexte geschrieben worden. Das ist dann auch die Schwierigkeit, dass sie wie so eine Art musikalische Partitur funktionieren. Bestenfalls enthält ein guter Theatertext Lücken, in deren Freiraum sich ein Ensemble oder ein Regisseur oder eine Regisseurin austoben kann. Für mich ist es das größte Glück, wenn beim Lesen eines Theatertextes sofort ein Art Kopftheater anfängt zu wirken und man sich schon vorstellen könnte, wie diese Sprache, dieser Dialog oder auch diese Textfläche dann auf der Bühne aussehen könnte. Das ist ein großer Vorteil bei Theatertexten, dass diese Lücken da sind, dass sie nicht ganz fertig sind, nicht ganz so dicht sind, wie vielleicht eine Kurzgeschichte oder ein Romantext. Das ist teilweise so, als ob man einem Menschen begegnet, der einen emotional oder auch intellektuell plötzlich in Flammen setzt.“

Das ist eben genau das, was ich am Theater lesen so reizvoll finde: Es ist ein aktives Lesen, das von mir noch eigene Ideen fordert, aber eben auch anregt.

Auf den Text verlassen

Das klingt jetzt total anstrengend, als müssten sich die Leser*innen erstmal hinsetzen und Kostüme, Bühnenbild und alles andere entwerfen. Regisseure und Ausstatter werden ja nicht nur aus Liebenswürdigkeit bezahlt, das ist Arbeit. Aber beim Lesen muss das nicht ausgegoren sein. Der Tipp, einfach loszulesen, bedeutet auch, sich auf den Text zu verlassen, denn da steht oft schon alles Wichtige drin.

Dabei hat sich das Drama in den vergangenen Jahrhunderten natürlich verändert: Bei Shakespeare stehen alle wichtigen Informationen in der Figurenrede, bei Ibsen beginnen die Stücke mit einer langen Beschreibung, wo wir uns gerade befinden. Heute sind die Dramen sehr vielfältig, erklärt auch Torsten Buß, der Chefdramaturg des Leipziger Schauspiels:

„Wenn man an Elfriede Jelinek auch an Katja Brunner denkt: das sind Autorinnen, die sehr stark mit Flächen arbeiten, mit Texten im Blocksatz. Da muss man rauszukriegen: Was ist die grundlegende Stimmung dieses Textes? Wenn man sich aber ein Theaterstück durchliest, das auf Rollen, also Figuren, geschrieben ist, merkt man ja gleich, dass es vielmehr um eine Figur und Psychologie geht. Da ist man dann auf der Spur: Was ist diese Psychologie? Was ist das, was zwischen den Zeilen steht? Was ist die Energie, die sich zwischen diesen Figuren abspielt?“

Lest laut!

Laut Robert Wölfl hilft es auch sehr, die Texte laut zu lesen. Ich merke sogar, dass ein guter Theatertext mich regelrecht dazu zwingt. Denn es ist keine Sprache, die etwas erklärt, sondern Sprache mit Klang und Rhythmus, der durch einen Körper gehen muss. Lukas Bärfuss hat dazu auch noch einen sehr praktischen Tipp: „Man sollte einfach die Personen nicht lesen. Wenn das Stück gut geschrieben ist, dann begreift man, wer spricht.“ Weil jede Figur ihren eigenen Sound hat und man sich nur auf den Text verlassen muss.

Ich hoffe, euch hat dieser zweiteilige Beitrag etwas Mut gemacht, auch mal einen Theatertext zu lesen. Ich verspreche euch, wenn ihr euch darauf einlasst, dann werdet ihr beim Lesen auch mal von der Couch aufspringen und beim Lesen wild herumlaufen. Ihr könnte euch auch mit Freund*innen treffen und zusammen einen Text lesen. Denn Theatertexte sind eine wunderbare Form, wirklich zusammen zu lesen. Und ich hoffe, dass ich bei meiner nächsten Bahnfahrt (hier lese ich am liebsten) höre, wie jemand halblaut einen Monolog deklamiert, weil er sich ganz vom Theater(text) ergreifen lässt.

6 Tipps beim Theater lesen

  • Etwas Theatererfahrung ist hilfreich
  • Mut, um die Leerstellen mit eigenen Assoziationen auszufüllen
  • Sich ganz auf den Text verlassen – alles Wichtige steht drin
  • Schenkt dem Nebentext nicht zu viel Aufmerksamkeit
  • Es ist Text zum Vorlesen – Traut euch auch mal laut zu sein!
  • Lest gemeinsam – das kann wirklich Spaß machen und bringt zusammen

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Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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