Papier-Theater: Comic-Adaption von Dürrenmatts “Physiker”

“Die Physiker” von Friedrich Dürrenmatt musste bestimmt schon viele Schulklassen lesen. Es ist ja auch ein großartiges Theaterstück. Der Zeichner Benjamin Gottwald hat es auf wunderbare Weise als Comic adaptiert.

Physiker
Blick in die Graphic Novel “Die Physiker” nach Friedrich Dürrenmatt von Benjamin Gottwald.

Es wurde schon so viel über “Die Physiker” von Friedrich Dürrenmatt gesprochen und geschrieben. Damit will ich mich also nicht aufhalten, sondern gleich zu den Bildern dieser Graphic Novel kommen. Immer wieder wird das Theater in den Panels von Benjamin Gottwald sichtbar: Ganz klassisch wird mit perspektivischen Linien ein Raum angedeutet. Auf dem Boden scheint ein Raster gemalt zu sein, rechts und links gehen Türen ab, die aber nur in Stellwände eingelassen zu sein scheinen. Das verwundert nicht, denn in gewisser Weise inszeniert er das bekannte Theaterstück “Die Physiker” auf seinen Seiten, macht den Raum sogar zu einer Art Protagonisten. Denn als Zeichner hat er ganz andere Möglichkeiten als eine Regisseur*in im Theater.

Farben und Formen

Gottwalds Zeichenstil ist von Reduktion geprägt: Mit nur wenigen, eher geometrisch anmutenden Strichen erschafft er seine Charaktere. Das Gesicht des Ermittlers wird fast immer im Profil gezeigt und besteht eigentlich nur aus einem Bogen sowie einem Haken für die Nase. Newtons Körperform orientiert sich an Quadraten – vor allem sein Haar besteht aus lauter Vierecken und seine Frisur erinnert an Bach. Einstein, als eine Art Gegenstück, besteht nur aus Kreisen. Möbius schließlich ist nur ein rechteckiger Kopf mit einigen Strichen.

Der Künstler scheint sich an Bauhaus-Ästhetik und Konstruktivismus zu orientieren. So ist auch die Umgebung immer von klaren Formen bestimmt. Das schlägt sich auch in dem sparsamen aber sehr zielgerichteten Farbeinsatz wieder. Denn insgesamt ist die Graphic Novel eher Schwarz-Weiß, die Farben dienen eher als Akzente. So hat jeder Charakter eine eigene Farbe (Möbius beispielsweise ist blau), manchmal betonen Farben die Formen und – das ist vielleicht das Wichtigste – in den Farben drücken sich zahlreiche Emotionen aus.

Der Raum spielt mit

Das steht für Gottwald eindeutig im Vordergrund: Die Emotion. Er zeichnet nicht einfach nur Talking Heads, die dem Text eine Form geben. In jedem Panel versucht er die innere Verfasstheit der Figuren einzufangen. Manchmal überzeichnet er auch die gesamte Situation, die in dem Raum herrscht.

Die Comic-Adaption von “Die Physiker” lebt von zahlreichen großartigen Ideen: Wenn die beiden Ermittler zum Tatort gehen und plötzlich nur noch Hüte sind. Wenn der Theaterraum von einem Panel zum nächsten zu einer Art Raster wird und dann wieder zu einem dreidimensionalen Raum, in dem die Figuren jedoch zu zweidimensionalen Zeichnungen auf dem Boden werden. Das Strichmännchen Möbius löst sich in einem Zornanfall in lauter wild verteilte Striche auf.

Das schöne an diesen Ideen, die zu zahlreich sind, um sie alle zu erwähnen, ist, dass sie gleichzeitig überraschend und naheliegend sind. Sie sind leicht zu verstehen, werden aber dennoch nicht von Dürrenmatts Text bestimmt.

Wunderbare Drameninterpretation

Nun sind Theaterstücke von Dürrenmatt generell nicht so schwer zu lesen. Weil der Autor die Bühne sehr genau beschreibt und es ihm weniger um Sprachkunstwerke geht (auch wenn er natürlich meisterhaft schreibt), sondern darum, eine Geschichte zu erzählen. Dennoch ist es natürlich viel angenehmer einen Dramentext in einer illustrierten Form zu lesen, weil so leichter erkennbar ist, wer spricht.

Gerade in Deutschland gibt es viele Adaptionen berühmter Theaterstücke für den Comic-Markt. Ob das der Versuch ist, dem hierzulande marginalisierten Medium mehr Wertschätzung zu verschaffen sei an dieser Stelle dahingestellt. Benjamin Gottwalds Graphic Novel ist nun das beste Beispiel dafür, wie so ein Vorhaben gelingen kann. Denn zum einen verlässt er sich auf den Dramentext, zum anderen arbeitet er tatsächlich damit. Er inszeniert das Stück in seinem Buch und zwar auf eine Weise, wie es nur mit Papier möglich ist: Die Figuren dehnen sich ins Unermessliche aus und der Raum zerfällt in seine Einzelteile. Das ist einfach großartig.

Friedrich Dürrenmatt/Benjamin Gottwald: Die Physiker, Edition Büchergilde, 191 Seiten.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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