Was ist dieses #tddl

Auf Twitter schrieb jemand, dass es nur eine Woche gäbe, in der man Lesen muss, die restliche Zeit sei es nur Spaß. Dahinter stand der Hashtag tddl. Es geht um die Tage der deutschsprachigen Literatur, die die Freunde des geschriebenen Wortes momentan begeistern. Auch ich begleite das Event.

“Literatur ist Kampf”

Begonnen hat das Ganze schon am Vorabend mit allerlei Reden, wie wichtig diese Veranstaltung sei und wie sehr die Politik dahinter stehe. Dann wurde die Reihenfolge der Kontrahenten ausgelost, denn die Tage der deutschprachigen Literatur (die ab sofort nur noch tddl genannt werden – meine Finger) sind vor allem ein Wettbewerb zu Ehren der verstorbenen Autorin Ingeborg Bachmann, die in Klagenfurt am Wörthersee geboren wurde. Es ist ein recht besonderer Wettbewerb, denn die Autoren kommen zusammen und lesen nacheinander einen der Öffentlichkeit unbekannten Text vor (dabei kann das Lesen fast schon zur Performance werden) und im Anschluss diskutiert die siebenköpfige Jury, von denen jeder zwei der Autoren eingeladen hat, über den Text. Wie bei jedem sportlichen Turnier wurde die Reihenfolge ausgelost. Immer ganz spannend, weil die Beobachter endlich wissen, wer am nächsten Tag überhaupt liest.

Doch der wichtigste Teil des ersten Abends ist die Rede zur Literatur, die dieses Jahr der Autor (und Bachmannpreisträger) Franzobel gehalten hat. Leider etwas arg generalisiert, vielleicht auch ein bisschen oberflächlich. Obwohl sie natürlich gut konstruiert ist, doch was sollte man auch anderes von einem annerkannten Autoren erwarten. Aber was erzählt er eigentlich: Er berichtet von einem Freund Grünlich, der das Ende der Bücher befürchtet und sie deswegen in Massen sammelt. Manche stöhnten schon, wegen dieser sich ständig wiederholenden und nie einlösenden Furcht, die Franzobel hier wohl nur als Aufhänger einer guten Geschichte nimmt. Denn es geht ihm eigentlich darum, wie mächtig Literatur ist, die in Form von Büchermassen eben jenen Grünlich erschlagen kann. Er berichtet von einem starken Beispiel, wie Edgar A. Poe einmal einen Fall von Kannibalismus vorraussah, die Wirklichkeit quasi vorschrieb. Für Franzobel hat Literatur die Macht, die Welt zu beeinflussen und zu verändern. In seinen Augen ist das auch der Grund für die zahlreichen inhaftierten Schriftsteller, denn Machthabende fürchten diese Macht und Franzobel prangert den Pfuhl der Welt an, um sein Statement zu unterstreichen, dass Literatur eben Kampf und sie deswegen wichtig sei.

Der erste Tag lesen

So ganz mitbekommen habe ich den nicht, denn ich musste in aller Früh arbeiten und habe dann nicht mal pünktlich Feierabend gemacht. Die körperliche Anstrengung und der gehetzte Weg nach Hause haben mich erste Runde verpassen lassen und mich tatsächlich auch ein wenig meiner Aufmerksamkeit beraubt. Doch ich habe mich durch die on demand Angebote gekämpft. Deswegen versuche ich jetzt kurz (ich strenge mich wirklich an) meine Eindrücke wieder zu geben, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

“1/8 könnte auch weg”

Den Anfang macht Karin Peschka mit einem Auszug aus der Erzählung “Wiener Kindl”. Passend zum Anfang erzählt sie vom Ende der Welt. Ganz Wien scheint dem Erboden gleich gemacht zu sein, nur ein kleines Kind überlebt in der Gesellschaft eines Hunderudels, das es mit Hilfe eines Silberlöffels gefügig hält.

Ich mochte diesen Text vor allem weil mir das Bild diese kleinen Kindes, das vielleicht sogar bis zu seelischen Zerrüttung behütet wurde und nun versucht das Alphatier eines postapokalyptischen Hunderudels zu werden, gefällt. Dafür nutzt Peschka auch eine wunderbare Sprache, die teilweise stark verkürzt ist, so wie sich auch die Kultur weiter zersetzt, während das Kind, das nur ein zögerliches “w…” herausbekommt. Inhalt und Form passen hier sehr schön zusammen und es eben auch nicht nur eine Erzählung, was uns droht, sondern auch dass wir uns die Natur dermaßen unterworfen und uns von ihr entfernt haben, dass wir nicht mehr mit ihr umgehen können.

Auch die Jury war ganz angetan von dem Text, allerdings nicht vollends. Gerade die Passagen, die rückblickend das vorherige Leben des Kindls beschreibt, stören die Juroren, weil hier mehr erzählt wird als nötig (oder zu wenig, um eine Berechtigung zu haben) und die poetischen Stellen an Schlagkraft verlieren, der Vorschlag wäre deswegen kürzen.

“Der Tod ist ein einschneidendes Lebensereignis”

Der jüngste Teilnehmer diese Jahr ist der ’92 in Klagenfurt geborene Björn Treber, der in “Weintrieb” in aller Einzelheit von einem Begräbnis erzählt.

So viel will ich dazu gar nicht sagen, denn so viel passiert nicht. Es ist eben ein Begräbnis, das in allen Einzelheiten geschildert wird (sagte ich das bereits?). Tatsächlich gibt es spannende Momente, wenn diese Einzelheiten überhöht werden und zu literarischen Bildern werden. Doch irgendwie ist der Text nicht raffiniert genug, als dass er mich halten könnte an vielen Stellen zu simpel.

Die Jury war da ganz ähnlicher Meinung und nicht wirklich überzeugt von dem Text. Sie haben zwar verschiedene spannende Momente ausgemacht: Wie die radikale Realität, die der Autor in diesen Text eingehen lässt oder auch den Umgang mit dem Tod, sei es die Geringschätzung des Verstorbenen oder des Todes im Allgemeinen. Allerdings ist das alles nicht elaboriert genug und meiner Meinung rettet es den Text auch nicht, dass er auf dem Friedhof spielt auf dem Bachmann begraben liegt, warum soll diese Tote es auch richten?

“Der Text ist ein Möbiusband”

Der Letzte vor der Pause ist der österrichisch-amerikanische Autor John Wray, der seinen ersten auf deutsch geschriebenen Text vorstellt. “Madrigal” ist ein Vexierspiel mit den Erzählebenen und erzählt von dem Kraftakt des Schreibens.

Die Autorin Madrigal (sprich: Mäddrigel, also englisch, also MAD-rigal, jaha) versucht mit ihrem Bruder zu telefonieren und schafft es nicht, weil die beiden einfach nicht miteinander reden können, obwohl sie beide Schriftsteller sind. Doch vielleicht liegt genau darin das Problem, denn Maddy hat eine Schreibblockade, bis sie auf einen seltsamen Vogel stößt. Eine Rechersche im Internet führt zu einer neuen Geschichte über einen Ornithologen, der sich auf einer Expedition verläuft und einem Kartographen, der im Gesang der Vögel eine Karte erkannt haben will. Auf dieser Reise erinnert sich der Ornithologe an andere Zeiten und sind in einer Geschichte über einen Leiter… Ach, lest den Text, denn auch wenn es nicht so klingt, er ist nur 15 Seiten lang und spiegelt am Ende seinen Anfang.

Vielleicht ist es die sympathische Darbietung des Autoren, doch mich hat dieser Text überzeugt, der tatsächlich sehr amerikanisch daher kommt, in klarer Sprache, aber doch einigen schönen Wendungen und wunderbaren Ideen. Doch vor allem die Konstruktion des Textes finde ich überzeugend und die metafiktionale Note der Autorin und ihrem Kampf mit dem Text.

Auch die Jury verneigt sich vor dieser anspruchsvollen Konstruktion, wenngleich es einigen vielleich zu überkonstruiert ist. Nichtsdestotrotz ein beeindruckender Text, in dem viel steckt, der “messy” sei (warum dieses Wort, ist mir nicht ganz klar, aber wenn sie meinen), doch eben immer noch handwerklich gut und leicht zu lesen (kann man positiv oder negativ sehen).

“Der Text braucht diese Auslegung”

Danach ging es mit Noemi Schneider weiter und ihrem Text (Achtung auf die richtig Schreibung) “Fifty Shades of Gray”, in dem sie von zwei Frauen erzählt, die nach Nordafrika fliehen.

Eigentlich ist damit schon alles erzählt, denn ein Großteil des Textes ist Dialog und Beschreibung wie sich die Baronesse und die Autorin, die sie begleitet, aus dem Abendland entfernen. Ich bin ganz ehrlich: Der Text hat mich wenig überzeugt und deswegen bin ich ihm auch nicht so recht gefolgt. Es gibt viele Binnenerzählungen: Wie sich eine dunkle Wolke über Europa ausbreitet, denn 50 Shades fo Gray und die ständigen Zwischenüberschriften wie Cool Gray beschreiben eine Verdunkelung (Dunkeldeutschland), die Fernseher begleiten das Elend, die betuchten fliehen, besuchen zum letzten Mal die Kulturstätten, diskutieren warum Malina ein guter Name sei und sprechen mit Gott, der gerade Backgammon spielt.

Wie bereits erwähnt, mich hat der Text nicht überzeugt. Ständig kommt die Baronesse mit Plattitüden “was du heute kannst besorgen.” Auch darüber hinaus scheint der Text eben ein lapidarer Dialog auf einer lapidaren Reise zu sein. Vielleicht kann man da eine Menge reinlesen, man kann es aber auch lassen.

Auch bei der Jury stieß der Text nicht auf überschwängliches Wohlwollen, auch hier wirkte der Text zu flach, zu beliebig. Natürlich gab es auch verteidigende Worte (man hatte sich auch auch für den Text entschieden), das gerade das Lapidare die drohende Apokalypse konterkariere und so viel über unsere Gesellschaft und Kultur aussage. Gleichzeitig hieß es auch, dass die Apokalypse aber auch nicht jeden Text gut mache (verständlicher Einwand, nach dem zweiten Weltuntergang des Tages). Doch der wichtigste Punkt: Diese Apokalypse ist in der Darstellung nicht glaubwürdig, denn der Zwang sei nicht spürbar, eigentlich sei doch nichtmal klar, was hier der Untergang bedeute. Deswegen, so das eigentliche Schlusswort, kann man viel in den Text reinlesen, aber es steckt nicht unbedingt alles im Text (so würde ich das mal für mich übersetzen).

“In dem Roman funktioniert das”

Den Abschluss macht Daniel Goetsch mit einem Romanauszug “Der Name”, der von einem gescheiterten Schriftsteller erzählt, vom Nachkriegsdeutschland und der Suche nach einer guten Geschichte.

Ich halte es kurz, weil mich zu diesem Zeitpunkt schon ein bisschen die Konzentration verlassen hatte und der Text nicht packend genug war: Maxim Diehl will endlich wieder was schreiben, doch nichtmal sein Leben scheint ihm spannend genug. Stattdessen hängt er sich an den amerikanischen Offizier Jack Quintin, der von seiner Arbeit im Nachkriegsdeutschland berichtet, von einer Affäre mit einem jungen Mädchen und seinen eigenen Zweifeln.

Noch eine Wiederholung an diesem Tag: Ein Text über einen Autoren der eine Geschichte erzählt. Leider ist diese Geschichte, ebenso wie die Konstruktion nicht sonderlich überzeugend. Der Text versucht sich stilistisch in die Zeit einzufühlen, doch bricht die Rahmenhandlung das nicht in einem Maße auf, dass es mehr sein könnte als veraltet, sowohl sprachlich, als eigentlich auch inhaltlich.

Die Jury bespricht auch ziemlich schnell das Grundproblem: Es sind zusammengestellte Romanauszüge. Vielleicht funktioniert der Text über eine längere Strecke, in einem größeren Rahmen. Das wirft dann auch die Folgefragen auf, ob die Textauszüge klug zusammen gestellt seien. Allerdings ist es in meinen Augen etwas müßig, zu diskutieren, ob der Roman besser sei, denn es geht bei diesem Wettbewerb nur um diesen Text, und der scheint einen Großteil der Jury nicht überzeugt zu haben.

Heute war’s

… nicht ganz so überzeugend. Es gab zwar schöne Momente auch zwei spannende Texte, wie ich finde. Allerdings krankte eben doch ein Großteil unter handwerklichen Schwächen, seien sprachliche Fähigkeiten, die seltsame Anlage des Texte oder die schlechte Konstruktion. Es ist allerdings faszinierend, wie sehr sich Themen und Bilder wiederholen: Die Postapokalypse, die Suche der Schriftsteller, der Bezug zur Natur – Zufall oder Tendenz der aktuellsten Literatur?

Morgen geht’s weiter

… mit meinem persönlichen Favoriten: Ferdinand Schmalz. Aber ich bin nicht unvoreingenommen, denn ich habe ihn mal zu einer Uraufführung getroffen und fand ihn sehr nett. Ob mich sein Text überzeugt und ob die anderen Autoren morgen besser sind, dass könnt ihr live bei Twitter unter dem Hashtag #tddl verfolgen. Auch ich werde hier hin und wieder meine Kommentare dazu geben, sofern es meine eingeschränkte Multitasking-Fähigkeiten zu lassen. Ansonsten versuche ich mich morgen auch wieder mit einer Zusammenfassung.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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