Montagsfrage: Ich liebe es wild … durcheinander

Schon wieder Montag und die Frage lautet: Gab es ein Buch, bei dem du nach dem Lesen sofort wusstest, dass du es nochmal Lesen willst? Für mich eine schwierige Frage und trotzdem könnte die Antwort nicht eindeutiger sein.

Weil neu ist immer besser…?

Mein Leseverhalten ist durch ein Bild geprägt: Ich bin in einem gut 20 oder 30 Meter langen Raum, ungefähr zweieinhalb Meter hoch und stehe zwischen Regalen, die bis zur Decke hoch voller Bücher stehen – pro Regal bestimmt 2.000 Bücher und es sind sicherlich 20 Regale. Es ist nur ein Raum von vielen. Eigentlich ist er ziemlich hässlich, keine Stühle, die Steinwände geweißt, ebenso wie die metallenen Regalkonstruktionen. Ich wandere für Stunden hindurch und verliere mich vollkommen: Ich ziehe ein Buch heraus und blättere darin. Irgendwie führt es mich direkt zum nächsten Buch und zum nächsten und zum nächsten und zum nächsten …

Tatsächlich ist das Gefühl, so viele Bücher gleichzeitig lesen zu wollen, oder schon gelesen haben zu müssen, älter als dieses Bild. Doch richtig spürbar ist es mit diesem Bild geworden und dass ich heute in der Gründungsstadt der Deutschen Nationalbibliothek lebe – wo eigentlich jedes Buch deutscher Sprache in greifbarer Nähe steht – ist da nicht hilfreich.

Lange Rede, kurzer Sinn

Ich lese in aller Regel kein Buch zweimal, das ist gar keine Option für mich. Sobald ich ein Buch fertig gelesen und gedanklich verarbeitet habe, muss ich weiterziehen zum nächsten (hoffentlich) guten und wichtigen Buch. Denn die Wiederholung würde mich nur von der neuen Erfahrung abhalten und ich komme doch so schon nicht hinterher.

Erst neulich habe ich mich mit einem Freund unterhalten, und mich darüber mokiert, dass es dieser Goethe ja einfacher hatte als belesener Mann zu gelten. Wie viele Bücher musste man dafür gelesen haben? 300? Die Hochzeit von Schriftstellern und Buchdruck sollten erst noch folgen. Und dann will man ja nicht nur die wichtigen Bücher lesen – daneben gibt es auch viele andere schöne. Ich bin also nicht der einzige und es geht hier auch nicht nur um die unzählbaren Neuerscheinungen jedes Jahr: Es gibt zahlreiche Listen mit Büchern, die man unbedingt gelesen haben sollte, auf denen auch immer wieder Kleinigkeiten zu finden sind, wie die Odyssee, das Nibelungenlied, Krieg und Frieden, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Die Brüder Kamarasow, Der Name der Rose, Unendlicher Spaß usw. Insofern wohnt da eine große Unruhe in meinem Lesen.

Neue Erkenntnisse (Neue Kompositionen)

Deswegen gibt es natürlich trotzdem Bücher, die ich immer gerne bei mir stehen haben, die ich gerne immer wieder in die Hand nehme, um in Erinnerungen zu schwelgen (die wiederrum eigentlich recht gut erhalten sind), oder um einen Aspekt für einen Artikel nochmal zu überprüfen oder einer neuen Theorie nachzugehen. Ich lese auch gerne noch einmal Anfänge, starke Momente oder Gedichte – einfach um mich an dem Klang der Sprache zu erfreuen. Doch oft reicht es mir schon eines meiner Lieblingsbücher in die Hand zu nehmen, um mich an seine Großartigkeit zu erinnern.

Tatsächlich gibt es aber ein Buch, bei dem ich sogar vor dem Lesen geahnt habe, dass ich es mehr als einmal lesen müsste – vor allem weil es beim zweiten Mal nicht mehr dasselbe sein konnte. Die Rede ist von Marc Saportas “Composition No. 1”, ein Buch das nie die gleiche Gestalt besitzt. Es gibt ja viele Bücher, die Ähnliches für sich reklamieren: Spielbücher, Johnsons Unglücksraben. Und beim zweiten Mal ist die Geschichte trotzdem die gleiche. Nicht so bei “Composition No. 1”: konsequent im Präsens geschrieben, wird dem Leser das Gefühl vermittelt, dass genau das in genau diesem Moment geschieht, und die nächste (lose) Seite ereignet sich danach. Es ermöglichen sich also verschiedene Handlungsverläufe, die natürlich nicht tiefgründig sind, eher an Kurzgeschichten erinnern, aber das Konzept scheint zu funktionieren. Aber um das herauszufinden, muss ich “Composition No. 1” einfach noch einmal lesen.

So viel für heute, irgendwann erzähle ich gerne mehr zu diesem Buch.

Thilo
Latest posts by Thilo (see all)

Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

2 Kommentare:

  1. Marc Saporta? Eine äußerst seltene Empfehlung. Chapeau! Nicht nur, weil Saporta hierzulande kaum bekannt ist (er hat nach “Composition No. 1” nur noch einen weiteren Roman geschrieben und ab den 1970er Jahren eher literaturwissenschaftlich und kulturpolitisch gearbeitet), sondern auch, weil die “Composition No. 1” selbst für französische Verhältnisse der 1960er Jahre ein Experiment war – und noch immer eines ist. Allerdings nur für die, die ein vollständiges Exemplar des fluktuativen Zettelkastens besitzen. Schon der Rezensent der “Times” sah anno 1962 die einzelnen Blätter dieses “Book in a Box” davonfliegen, als er – an irgendeinem Strand am Mittelmeer sitzend – seine Rezension zu verfassen versuchte.
    2011 gab es dann eine Neuedition von Saportas Buch, wobei er nicht der einzige ist, der lose Seiten zu einem Roman (= vielen Romanen) gereiht hat. B. S. Johnson “The Unfortunates” wurde ja schon erwähnt, aber weithin unbekannt hierzulande ist das Buch “Santa Esperanza” des Georgiers Aka Morchiladze, das aus 36 Heften besteht, die sich in freier Kombination lesen lassen. Kann man auch bei Wind lesen. Und sogar drüber schreiben 🙂

    • Erkenne ich da einen ebenso großen Freund der experimentellen Literatur? Vielen Dank für den Kommentar und die Anekdote. und ich kann mit freuden sagen, dass alle drei erwähnten Bücher in meinem schrank stehen, auch Morchiladzes Santa Esperanza (wenn ich darüber nachdenke, waren es allesamt Geschenke, aufgrund der an anderer Stelle erwähnten Liste), sehr schön dass du ihn hier noch erwähnst. Natürlich sind da noch Artikel geplant, und es stimmt: Bei Saporta (ich habe übrigens die englische Ausgabe, auch weil mein Französisch sehr schwach ist) ist vorsicht angesagt, aber ich bin bei meinen schönen Büchern sowieso übervorsichtig, bei Morchiladze kann da allerdings noch etwas dauern, weil das irgendwann einmal Teil eines Spezials zu Reisen werden soll. Doch wenn wir schon so wunderbare Bücher aufzählen, möchte ich noch auf einen (vermutlich bereits bekannten) Titel hinweisen, den ein früherer Kommentator bereits erwähnt hatte: XO von Francis Nenik.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert