Montagsfrage: Alles an seinen Platz

Wie jeder Buchliebhaber, um nicht zu sagen Bibliomane, umgebe ich mich gerne mit Büchern. Und noch mehr Büchern. Damit ich in der Wohnung trotzdem treten kann, brauche ich natürlich Ordnung in meinen Bücherschränken. Genau danach fragt Lauter und Leise in ihrer Montagsfrage.

Schrankspanner

Wenn ich in eine neue Wohnung komme, gehe ich immer zualllererst zum Bücherschrank und schaue , was liest dieser Mensch, kenne ich dieser Bücher und natürlich wie stehen diese Bücher im Schrank. Ich denke immer, dass mir das den besten Einblick in den Kopf der Leser*innen gibt und ich nehme es als wunderbare Anlässe für Gespräche.

Deswegen kenne ich sehr viele Bücherschränke. Bei meiner Schwester finden sich viele Bücher, die zu einer Reihe gehören und durch eine gleichartige Gestaltung zusammengehalten werden. Die stehen natürlich auch zusammen und bilden Blöcke in ihrem Bücherschrank, der deswegen sehr mit dem Willen um Vollständigkeit gestaltet ist und auch etwas Bibliophiles hat. Eine meiner Vorgesetzten (sofern ich so etwas habe) hat ihren Bücherschrank tatsächlich nach Farben sortiert. Das ist besonders eindrucksvoll, weil sich drei bis vier deckenhohe Schränke voller Bücher aneinandereihen, durch die sich ein Farbverlauf von Blau über Rot nach Grün zieht. Sie sagte mir, das fände sie zwar ein wenig mädchenhaft, aber es sei ihr egal.

Entwicklung zur Bibliothek

Aber hier soll es nicht um meine Blicke in fremde Schränke gehen, eine Angewohnheit, bei der ich mir nicht sicher bin, ob es nun ein cooler Spleen ist oder nicht doch eher eine zwanghafte Unhöflichkeit. Nein, hier soll es um meine eigenen Schränke gehen. Früher habe ich die Bücher danach sortiert, wie es gerade gepasst hat: Die schönen auf Sichthöhe, die nicht so schönen in Bodennähe. Die großen in die Mitte, weil nur dieser Regalboden hoch genug war. Als der Platz knapp wurde, habe ich begonnen in zweiter Reihe zu stellen, Bücher quer auf andere Bücher zu legen. Eigentlich gab es damals nur eine strickte Trennung: zwischen Sachbüchern und Romanen.

Doch ich bin nicht nur ein Buchfreund sondern auf ein Büchereifreund, eigentlich schon immer gewesen. Einer meiner besten Freunde konnte sich das kaum vorstellen. Er verlieh zwar Bücher, aber wenn er ein Buch lesen wollte, dann kaufte er es sich. Er hatte allerdings auch weniger Sorgen mit Geld. Ich dagegen liebe es bis heute, dass ich so viel Auswahl von Büchern habe, ohne mich mit ihrem Besitz belasten zu müssen. (Das ist wichtig für später.)

Ich hänge also auch gerne Bibliotheken rum, schlendere durch die Regale und finde immer viel zu viel. An der Uni bin ich manchmal einfach so in die UB gegangen und habe mich in der germanistischen Abteilung zwischen die Regale gesetzt. Wenn ich jemanden zufällig getroffen habe und gefragt wurde, was ich denn hier mache, habe ich oft geantwortet: Ich bin nur aus einer Laune heraus hier. Erst wurde ich mit großen, verwirrten Augen angesehen und dann setzte die Erkenntnis ein: Ach, das ist halt Thilo.

Ich mochte auch die Ordnung: Jedes Buch in der Bibliothek hat seinen Platz. Sie sind nach Autoren sortiert, nach Themengebieten. In Leipzig gibt es auch ein offenenes Magazin, in dem das einzige Ordnungsprinzip die Reihenfolge der Anschaffung ist, die durch eine klare Nummer angezeigt wird. Das Schöne ist die Mischung von Chaos und Ordnung: Niemand hat einen wirklichen Überblick, was es alles in der Bibliothek gibt, niemand könnte aus der Erinnerung sagen, welche Bücher nebeneinander stehen und doch gibt es ein klares System.

Es gibt eine wunderbare Szene in Paul Austers “Unsichtbar”: Der Protagonist arbeitet in einer Bibliothek und ist dafür zuständig, zurückgegebene Bücher wieder ins Regal zu stellen. Der Bibliothekar schärft ihm ein, wie verantwortungsvoll diese Aufgabe sei. Würde ein Buch nur wenige Bücher weiter oder gar ein Regal tiefer oder höher stehen, könne es passieren, dass es über Jahre oder gar Jahrzehnte verschollen bliebe. Diese Vorstellung hat mich fasziniert. Nicht weil ich ein Ordungsfanatiker wäre – mein Schreibtisch beweist das Gegenteil – Sondern weil es bedeutet, dass es Ordnung gibt, dass jedes Buch und damit jedes Quäntchen Wissen und Erfahrung einen festen Platz in der Welt hat.

Viel drum herum geredet: Ich orientiere mich ziemlich genau an dem Ordnungsprinzip klassischer Stadtbibliotheken. Mein größter Schrank enthält Romane und ähnliche erzählende Literatur, die alphabetisch nach Autorennamen sortiert ist. Darüber gibt es ein Regal für Lyrik. Darüber ein Regal in dem Sachbücher stehen – ziemlich wild, weil ich zu wenig besitze, um sie vernünftig zu sortieren. In einem kleineren Schrank daneben stehen Theaterstücke. In einem weiteren Schrank gibt es Regalreihen, für phantastische und Science-Fiction-Literatur. Was wohin gehört, entscheide ich nach Gefühl. Dann gibt es da noch meinen Schreibtisch, der auch eine Art Bücherschrank ist. Dort stehen Bücher, die in die Kategorie Kunst/Musik/Theater gehören, vor allem Opernführer und ein zwanzigbändiges Musiklexikon.

Einige Eigenheiten

Natürlich funktioniert das nicht so sauber, wie in der Bibliothek, dafür habe ich zu wenig Bücher und vor allem zu wenig Platz. Meine Bücher stehen immer noch in zwei Reihen. Es gibt immer noch ein Regal für große Bücher und auch eines für kleine Bücher, wo ich ziemlich verquer auch die Themen Religion und Mythos abgelegt habe (Bibel, indische Märchen, japanische Mythen usw.).

Doch drei Schränken fallen besonders heraus:

1. Cillys Bücherschrank enthält vor allem Mangas, die sie seit ihrer Jugend sammelt. Das Ordnungsprinzip hier ist nicht von mir, aber es gibt eines. Es geht zum Beispiel um Genre, um Beliebtheit, um Schönheit und um Platz: Die Reihen, die auch sehr lang werden können, sollten schon auf einer Ebene stehen. Die Titel, die weniger zu Shojo oder Romance gehören, sondern eher Mystery und Horror umfassen, stehen nicht zusammen. Das Wichtigste jedoch: die schön gestalteten, die neueren Titel und jene, auf deren Besitz sie besonders stolz ist, stehen in der ersten Reihe, die anderen dahinter. Diese Schrank steht nicht im Arbeitszimmer wie die anderen Buchschränke und bildet eine Blaupause für die anderen beiden Schränke.

2. Irgendwann haben sich in meinem primären (dem oben beschriebenen) Schrank zu viele Bücher aufgestaut. Ich brauchte einen neuen Schrank. Der wiederum hatte keinen Platz mehr im Arbeitszimmer, sondern musste ins Schlafzimmer. Zum einen wäre es sinnlos gewesen, das Sortierungsprinzip über zwei Räume zu erstrecken, außerdem hatte ich diese ‘Kategorie’ schon vorher eingeführt: Eigentum für begrenzte Zeit. Hier stehen Bücher, die ich besitze, als Geschenk oder als kurzentschlossener Kauf, die ich größtenteils noch nicht gelesen habe, aber nach der Lektüre nicht behalten möchte. Ich habe diese Bücher schon, aber ich will nicht einfach nur Bücher anhäufen – ich will eine handverlesene Bibliothek haben. Das bringt uns zum letzten Schrank.

3. Im Wohnzimmer, nahe am Fenster, steht der Schrank für Repräsentation. Hier bringe ich die Bücher unter, von denen ich schwärme, die ich jedem zeigen will, die ich besonders liebe. Auf zwei Regalreihen finden sich hier alle Bücher von und über Mark Z. Danielewski, die Bücher der Visual Editions, die ersten Bücher von Open House, die Bücher von Milorad Pavic und Raymond Federman. Hier gibt es auch Bildergeschichten, wie die Comics von Dave McKean oder Chris Ware und eben überragende Pop-Up-Bücher. Dazwischen versteckt sich auch ein Buch, ohne Seiten, dafür mit Teebeuteln, mit denen wir Gäste überraschen (zumindest tun sie immer so, als wären sie begeistert). Kurz gesagt: Dieser Schrank ist auch das Herz dieses Blogs!

Postscriptum

Noch zwei Anmerkungen: Cilly hat natürlich mehr als nur Mangas: Alles zu Alice gehört ihr und noch wenige andere Romane und Comics. Doch vor allem besitzt sie Sachbücher über Sozialwissenschaft, Hörspieltheorie und besonders zum Feld der Game Studies – immerhin ihr Forschungsfeld. Und: all unsere Schränke stammen von einem schwedischen Möbelhersteller, in der klassischsten und billigsten Form. Denn das Aussehen der Schränke ist egal, solange der Inhalt stimmt.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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