Jedes halbe Jahr gibt es einen Buchpreis zu diskutieren und jedes Halbjahr will ich mitmischen bei der Debatte um das beste Buch des Jahres. Auch dieses Mal haben Lara und ich uns zwei Bücher von der Shortlist des deutschen Buchpreises rausgesucht und darüber gesprochen, warum sie auf der Liste stehen.
Zwei Bücher aus sechs zu wählen ist natürlich viel einfacher, als aus der unüberschaubaren Masse an Titeln, die jedes Jahr veröffentlich werden. Aber irgendwie auch nicht, weil wir natürlich schon hoffen, den Siegertitel zu finden. Da wir allerdings nicht so viel Zeit haben, haben wir die Bücher ausgeschlossen, die uns zu dick uns schwer erschienen.
Schauerroman reloaded
Susanne Röckel hat mit “Der Vogelgott” den Schauerroman wieder für die Neuzeit entdeckt. Sie erzählt von einer Familie, die immer wieder einer seltsamen Vogelgestalt begegnen: Der Vater fängt ein ungewöhnliches Exemplar in einer unbekannten Berglandschaft, der jüngste Sohn kommt in Berührung mit einem Vogelgottkult in Afrika, die Tochter findet die Vogelgestalten auf Bildern eines verehrten Künstlers und der älteste Sohn stößt bei Zeitungsrecherchen auf seltsame Kinderträume.
Sehr geschickt greift Röckel das Genre auf. Sie schafft einen Sog, der wirklich dafür sorgt, dass der Leser immer angespannter wird, weil er mehr wissen will und sich auch ein wenig fürchtet. Dabei hilft ihr auch ein untrügliches Sprachgespür, denn der Roman klingt nach dem 19. Jahrhundert und wirkt dabei nicht antiquiert.
Doch was bleibt über dieser Stimmung hinaus, was erzählt der Roman wirklich: Ist es eine psychologische Parabel auf den Generationenkonflikt? Oder ganz klassisch der Einbruch des Unmöglichen und Unbeweisbaren in der rationalisierten Welt. An vielen Stellen bleibt der Roman zu vage, um wirklich Wirkung zu zeigen.
Susanne Röckel: Der Vogelgott, Jung und Jung, 272 Seiten
Literarisches Porträt eines Stadtviertel
María Cecilia Barbetta ist mit ihrem Roman “Nachtleuchten” sozusagen an ihren Anfang zurückgekehrt. Sie erzählt von dem Stadtteil Ballester in der argentinischen Stadt Buenos Aires kurz nach dem Tod des Präsidenten Juan Perón. Das sind Zeit und Ort, in denen Barbetta geboren wurde und die sie hier auf wunderbare Weise auferstehen lässt.
Mit einer reichhaltigen Sprache und mit großer Leichtfüßigkeit erzählt sie Geschichten aus diesem Dorf in der Stadt. Es sind keine tragischen oder dramatischen Geschichten – es sind Lebensgeschichten, in denen nur hin und wieder die Zeitenwende, die das eigene Land gerade unternimmt, durchscheint.
Es ist nicht die Geschichte des Umbruchs, die Barbetta erzählt, stattdessen malt sie mit Worten das Porträt eines Ortes, das manchmal unüberschaubar scheint, aber – so scheint es zumindest aus der Ferne – die Seele des Stadtteils Ballester Anfang der 1970er Jahre einfängt.
María Cecilia Barbetta: Nachtleuchten, S. Fischer, 520 Seiten
Preisrennen
Natürlich haben wir am Ende auch versucht, zu überlegen, wer den Preis verdient hätte. Dabei habe ich – selbst nur mäßig informiert – einfach Autorennamen fallen lassen, als ob sie jeder kennen müsste. Deswegen hier noch einmal die anderen vier Bücher von der Shortlist:
- Maxim Biller: Sechs Koffer, Kiepenheuer und Witsch
- Nino Haratischwili: Die Katze und der General, Frankfurter Verlagsanstalt
- Inger-Maria Mahlke: Archipel, Rowohlt
- Stephan Thome: Gott der Barbaren, Suhrkamp
Wer dann gewinnt, das werden wir alle am Montag, den 8. Oktober erfahren.
Die Musik die wir nutzen: Sweet Tania von Arnaud Martin Jazabana (CC-BY-NC 3.0).
Und vielen Dank an Lara für das Mitlesen und -diskutieren.
- Das Ich-Quartett und die Mythen-Überschreibung - Mai 28, 2021
- Episode 14: Macht und Ohnmacht - März 29, 2021
- Papier-Theater: Comic-Adaption von Dürrenmatts “Physiker” - Februar 21, 2021