Sinnlose Gewalt

Harley Quinn wird immer populärer, nicht zuletzt weil sie den Sex-Appeal in den Suicide Squad Film bringen wird. Diese Popularität hat sie zum Anlass einer Performance gemacht im Leipziger Off-Theater LOFFT. Comic auf der Bühne war meine Hoffnung – aber ich wurde enttäuscht. Das ist noch milde ausgedrückt. Harley Quinn ist eine meiner Lieblingscomic-Figuren. Mit ihrer verrückten, quirligen Art hat es mir die Superschurkin aus der Batman-Welt einfach angetan. Bei den hohen Erwartungshaltungen konnte ich also einfach nur enttäuscht werden. Was bei der Performance dann aber eintraf, war schlichtweg ein Disaster.

Sieht dramatischer als sie in Wirklichkeit ist: Promo-Bild für die Performance “Harley Qinn” / Quelle: LOFFT

Thilos Sicht: Was passiert ist schnell erzählt, denn es ist nicht viel: Wenn die Besucher den Theaterraum betreten, sitzt die Performerin Julia Blawert bereits in einem Harlekin-Anzug da. Sie erzählt ein wenig über das Theater und das selbst sie nicht weiß, was passieren wird. Dann rennt sie mehrmals gegen die Wand, tanzt ein bisschen irre herum und lädt das Publikum ein mitzumachen. Das macht sie ganz geschickt: Schon dass sie jedem in die Augen sieht, zerstört eine Hoffnung der meisten Theaterbesucher, gerade weil so wenig Leute gekommen sind, kann sich keiner verstecken. Sie spricht die Zuschauer so an, dass sie antworten müssen.

Während ich auf die Bühne gehe und einen Geschirrspüler mit Harleys berühmten Vorschlaghammer bearbeite (gar nicht so befriedigend, wie ich gedacht hätte – vermutlich hatte ich an diesem Tag nicht genug aufgestaute Wut in mir), holt sie noch mehr Leute auf die Bühne. Eine Frau soll einen älteren Mann mit einer Waffe am Boden halten (eine Anspielung auf Abramovic? Inzwischen machen das so viele Performer, dass sich das gar nicht mehr sagen lässt). Immer wieder bietet sie „‘n Euro“ an für verrückte Aktionen (lässt aber nicht mit sich handeln, ich hab’s versucht).

Caecilias Sicht: Genau aus diesem Grund hasse ich Performances auch so sehr: Immer dieses gezwungene “der Zuschauer muss mitmachen und ebenfalls zum Performer werden”. Das Ganze langweilt mich so sehr, dass ich mir schon nach 10 Minuten selbst aus Höflichkeit kein Lächeln mehr abzwingen kann. Ein beschämender Blick zum Boden und der immerwährende Wunsch nach Unsichtbarkeit. Hoffentlich entdeckt die kurzhaarige Frau im Harley Quinn Kostüm mich nicht.

Irgendwann ist es dann aber auch für mich zu spät. In der gespielten Pseudo-Quirrligkeit einer schlechten Harley Quinn-Kopie zerrt sie mich und drei andere Frauen auf die “Bühne”. Wir sollen die Arme ausstrecken, damit sie unsere Hände mit einem roten Klebeband zusammen binden kann. Ist das Kunst oder kann das weg? Das kann weg, entscheiden wir uns einstimmig und zerren fünf Minuten später unter Schmerzen das Band wieder ab. “Schließlich werden wir ja zu nichts gezwungen”, meint die Dame links neben mir. Achso, werden wir nicht? Bei der ganzen Nerverei und den gaffenden Publikum um mich herum hatte ich das fast wieder vergessen. So richtig freiwillig habe ich jedenfalls nicht mitgemacht. 

Versprechen brechen, aber keine Illusionen

Das Ziel dieser Performance von Jascha Riesselmann ist klar: die Grenze des Theaters sprengen. Zu schauen, was macht der Zuschauer überhaupt mitmacht. In der Regel sitzt der ja nur rum und schaut zu, diese Konvention soll hier ausgehebelt werden. Wie schon erzählt, gelingt das auch ziemlich gut. Allerdings ist diese Idee nur mäßig neu, denn schon seit Beginn der Performance-Kunst, wird genau das immer wieder versucht (und oft auch geschickter).

Ja, leider. Hier wird einfach nur ein ausgelatschtes Konzept bis zum Erbrechen wiederholt, dass es schon beinahe beim Zusehen wehtut. Und damit meine ich nicht körperlich, wenn die Performerin zum 15. Mal gegen die Heizung springt oder beim Dinge zerstören Splitter durch die Luft fliegen. Damit meine ich vor allem die schmerzliche Erkenntnis, sich schon wieder von einem “ach so klugen Performer” belehren zu lassen, obwohl man es doch eigentlich viel besser weiß. Nämlich, dass das alles hier absoluter Unsinn ist.

Das ist die Drohung, die Sicherheit des Publikums infrage zu stellen. Denn Distanz ist hier nur schwer möglich, gleichzeitig weiß jeder, dass es immer noch “nur Theater” ist. Obwohl sie sehr geschickt Anfang und Ende verweigern. Wenn das Publikum den Theaterraum betritt ist das Stück eigentlich schon im Gange und ein Ende mit Applaus gibt es auch nicht. Stattdessen kommt es zu Diskussion, was auf dem Theater möglich ist. Da diese Diskussion nach dem Stück etwas ermüdend ist, zumal sie auf unnötig hohem Niveau geführt wird. Ab hier können die Zuschauer auch einfach gehen. (Was Caecilia und ich auch getan haben).

Doch dann war eben das der Rahmen und wir haben dennoch nichts neues gelernt, weder über das Theater, noch über uns. Denn von dem angekündigten Terrorismus war nicht viel zu spüren. Aber die Performerin hat ja schon gesagt, dass sie es mit dem Ankündigungstext nicht so genau nehmen.

Na, vielen Dank auch. Dann will ich es mit dem Eintritt später auch nicht so genau nehmen. Mal ganz Ehrlich: Zeugt das nicht von absoulter Dreistigkeit den Zuschauer mit einem spannenden Thema ins Theater zu locken, nur um dann mit einem großen “Haha” alle Erwartungen wieder fallen zu lassen. Und ja – Harley Quinn hätte das vielleicht auch getan. Aber Harley Quinn hätte das wenigstens mit Charme gemacht.

Harley Quinn oder Harley Qinn

So stellt sich auch die Frage wer war das auf der Bühne?

Eigentlich sollte Harleen Quinzel den Verbrecher namens Joker behandeln, denn er ist ja nicht böse, sondern geistesgestört. Doch natürlich besitzt sie die nötige Faszination für diesen Job. Vielleicht ist das der Grund, warum sie dem Verbrecherclown verfällt. Seitdem ist sie Harley Quinn, die alles für ihren Mister J tun würde. Auch sie ist dem Wahnsinn anheim gefallen, vollkommen Impuls gesteuert und mehr als der Joker, der zwar Angst und Schrecken verbreiten will, die Verkörperung des Terrors. Denn ihre Zerstörung hat keinen Sinn, sie tut es aus Spaß, vollkommen ohne die Konsequenzen zu bedenken.


Übrigens ist Harley Quinn eigentlich gar keine richtige Comic-Figur, sie schwebt vielmehr darüber. Paul Dini hat die Figur für die Sendung „Batman: The Animated Series“ entwickelt. Dann bekam sie ihre eigene Comic-Reihe. Auch in der Serie „Birds of Prey“ (die ich nicht lange ausgehalten habe) spielt sie eine wichtige Rolle, allerdings hat sie da nur wenig, von ihrem charmehaften Irrsinn. Den großen Erfolg hatte sie dann als zentrale Figur in der Batman: Arkham-Reihe, die ebenfalls von Paul Dini entwickelt wurde. Jetzt ist sie in: Hat wieder eine eigene Reihe, wird ständig als Kostümvorlage genommen, ist prominentes Mitglied des Suicide Squad und hat demnächst ihren ersten Filmauftritt.



Auf der Bühne des LOFFT heißt sie Harley Qinn, vielleicht aus rechtlichen Gründen, vielleicht um von Anfang an klar zu stellen, dass das nicht wirklich Harley Quinn ist. Denn auch wenn die Plakate und die Werbung das nahelegt, hat die Bühnenfigur nur wenig von der Comicfrau. Die Ausstattung erinnert stark daran und auch einige Details, wie dieses zerstörerische und etwas irre. Aber sie ist bei Weitem nicht so Impulsgesteuert, verkörpert die Figur nicht (sie behauptet das auch nicht), hat allerdings auch keine der Ideen hinter der Figur aufgenommen.

Terror hin oder her – der Terror, den ich hier zu sehen bekomme, hat nichts mit der beinahe kindlichen und garantiert blinden Zerstörungswut der On-Off-Freundin des Jokers zu tun. Ständig werden wir von der schlechten Kopie zu irgendwelchen wahn”witzigen” Aktionen gezwungen, während die Echte Harley Quinn den ganzen Wahnwitz wohl einfach selbst getrieben hätte – mit einem großen Lachen auf den Lippen. Die falsche Harley Qinn lacht aber nur kurz künstlich und lässt alles den Zuschauer machen.

Der pure Schrecken

Das ist für Fans der Figur natürlich eine Enttäuschung, aber Theater darf ja auch mal enttäuschen. Aber eigentlich nur die Erwartungshaltung, doch leider hat das Stück darüber hinaus noch zahlreiche Schwächen. Die schauspielerische Leistung ist streckenweise sehr dilettantisch, zumindest an den inszenierten Stellen. Die Idee, das Publikum auf die zu bringen, ist nach 10 Minuten klar, mehr ist es dann aber nicht. Es fehlt der gesamten Performance an Struktur: Es gibt keine Entwicklung und auch keine Erkenntnis beim Publikum über sich selbst. Dabei hätte die Figur auf der einen Seite wesentlich mehr geboten und wäre auf der anderen Seite für die diese flache Idee nicht nötig gewesen.

Für mich bleibt vor allem eine Frage: Warum der ganze Wahnsinn? Warum musste gerade Harley Quinn dran glauben? War das einfach nur der Versuch, den Zuschauer ins Theater zu locken, um ein schlechtes Stück wenigstens durch die Stoffwahl etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen? Hätte sich dafür der Joker aber nicht viel besser geeignet (der durch seine manipulierende Art vielleicht auch besser zum Ziel der Performance gepasst hätte)? Hatte der Künstler einfach nur die Figure nicht verinnerlicht, war es also Faulheit? – Womit wir wieder am Anfang meiner Fragen wären: Warum musste denn dann gerade meine Harley Quinn dran glauben? Zurück bleiben also nur Verwirrtheit, Genervtheit, Langweile … und jede Menge Disaster. Wenigstens das hat die falsche Harley Qinn also erfolgreich hinterlassen.

Thilo
Latest posts by Thilo (see all)

Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert