Aufbruch und Heimkehr

Roland Schimmelpfennig gilt immer noch in erster Linie als Dramatiker, als ein besonders guter und viel gespielter. Sein Romandebüt wurde immerhin nominiert, obwohl er einige Schwächen aufwies. „Die Sprache des Regens“ ist zwar überzeugender, aber das Ende lässt rätseln.

SchimmelpfennigWie ein Traumbild erscheint am Horizont des Meeres eine Stadt. Glänzend und unwirklich schwimmt sie auf dem Wasser. Es ist als ob sie alle und niemand gesehen hat.

– Wie das sein könne, was das gewesen sei, diese Stadt, die Stadt auf dem Meer, ein Schiff, sagten manche, viele, das war nichts anderes als ein Schiff, so große Schiffe werden heute gebaut, tatsächlich –

– Nein, sagten andere, ein Schiff kann das nicht gewesen sein, zu groß, zu gewaltig, turmhoch und strahlend –

– Wieso strahlend, das war ein schwarzes, verrußtes, öliges Ding, verrostet –

Roland Schimmelpfennig entführt uns in seinem zweiten Roman „Die Sprache des Regens“ in eine Stadt, die manchmal etwas märchenhaft mittelalterliches hat, dann aber wieder an eine abgehängte Kleinstadt erinnert, die man sich vielleicht in Lateinamerika vorstellen könnte. In zahlreichen Geschichten porträtiert Schimmelpfennig diese Stadt, die unserer Welt enthoben zu sein schein.

Geschichtennetz

Er erzählt von dem Kino „Tornado“, das für einen Aufstand sorgte, als die Stadt es geschlossen hat. Er erzählt von dem Kino-Betreiber Ugo, der jetzt als Friseur Ansprechpartner für die alle Bewohner seines Viertels ist. Von dem Polizeichef Ramiel, dessen jüngster Sohn an einem schweren Fieber leidet und dessen ältester Sohn verschwunden ist, nachdem er von der Brücke in den Fluss gesprungen ist, so wie es viele Jungen machen, wenn sie zu Männern werden wollen. Von Ruth und Mario, der bei der Eisenbahn arbeitet, deren Schwiegersohn Toni, der am liebsten mit seinen Händen arbeitet. Von seiner Frau Maria, früher Anwältin und heute Lehrerin, die jetzt im Gefängnis sitzt, weil sie etwas mit dem vermissten Jungen zu tun hatte, doch ein wirklichen Grund kann keiner erkennen.

Maria musste in einen Transporter steigen. Der Wagen fuhr die Küstenstraße entlang, in Richtung der Stadt, aber Maria wusste, dass man sie nicht nach Hause bringen würde. (…) Maria begann zu weinen. Sie wusste, was diese Fahrt in dem Gefangenentransporter zu bedeuten hatte. Es war dieselbe Nacht, in der vor so vielen vielen Jahren das „Tornado“ geschlossen worden war und die Zwillinge gestorben waren.

Wie so oft bei Schimmelpfennig sind auch in „Die Sprache des Regens“ all diese Geschichten miteinander verknüpft. Die Figuren sind miteinander bekannt oder verwandt. In beinahe jeder Konstellation verbindet sie ein gemeinsames Erlebnis. Nur allmählich und natürlich nicht in chronologischer Reihenfolge enthüllt Schimmelpfennig sein Netz. Dabei fällt es aufgrund der Fülle an Figuren gelegentlich schwer, den Überblick zu behalten, zumal die einzelnen Charaktere nicht so detailliert beschrieben werden, als dass sie der Leser ein richtiges Verhältnis zu ihnen aufbauen könnte. Da hilft es, dass der Autor immer wieder erwähnt, welche Handlung mit den Figuren verknüpft ist, manchmal ist es aber auch zu viel.

Auf der Suche nach Sprache

Dabei haben nicht alle Episoden unbedingt die gleiche Bedeutung. Einzelne Szenen füllen Leerstellen, die die Leser vorher einfach hingenommen haben. Andere Elemente der Erzählung scheinen lediglich kosmetische Bedeutung haben: Es reden zwar alle über die schwimmende Stadt, und Schimmelpfennig charakterisiert so auch die Stadtgesellschaft. Doch abgesehen davon, dass sie als Omen verstanden werden kann, hat sie keine wirkliche Verbindung mit der Handlung. Das Zentrum der Geschichte bleibt dadurch unklar. Nur der Titel lässt vermuten, dass es Sage von Vadim, dem König der 9.000 Meilen ist. Immer wieder erzählt Maria diese Geschichte von dem Herrscher von Riga und Reval, der – nachdem er von Katharine von Aragon zurückgewiesen wurde, durch die Welt wandert und die Sprache der Natur lernen will.

Wenn die Steine aber versuchen, von der Zukunft zu sprechen, gehen ihnen die Worte Aus. Sie könne sich keine Zukunft vorstellen, und deshalb können sie darüber nicht sprechen, sie können auf der Suche nach den passenden Worten dafür nur schreien, brüllen, und dann zerbersten sie manchma, oder es bebt dann die Erde.

Es sind fast schon lyrische Momente, die Schimmelpfennig hier heraufbeschwört, wenn auch etwas simpel. Die Sprache in „Die Sprache des Regens“ ist klar und im besten Sinne spröde. Oft wirken die kurzen Kapitel eher, als ob der Autor eine Szene umreißen wolle. Allerdings klingt der Roman dadurch nicht billig: Der Ton untermalt die märchenhafte mythische Stimmung der Erzählung, die auf unnötige Ausschmückungen verzichtet, sondern nur erzählt, was erzählt werden muss, auf das Nötigste herunter gebrochen.

Reprisen

Statt detailreichen Beschreibungen greift Schimmelpfennig auf Wiederholung und Variationen zurück. Die Sage von König Vadim wird immer wieder auf ein Neues erzählt, gerne auch mit kleinen Abwandlungen – jedes Mal ein wenig mehr. Ähnlich klingt es auch bei anderen Erzählsträngen, die immer wieder von anderen Szenen unterbrochen werden. Wenn sie wieder aufgegriffen werden, dann wird nicht nahtlos angesetzt, sondern die Szenen überlappen sich. Der Roman bekommt dadurch eine gewisse musikalische Qualität und einen harmonischen Gesamtklang. Die allerdings manchmal auch etwas mehr Mut vertragen könnte, denn nicht immer alles zu einer Figur erzählt werden, wenn sie wieder einmal in Aktion tritt.

Isabel und Philipp, die die schwimmende Stadt gesehen hatten, liefen am Meer entlang, bis sie die Mündung des Flusses erreichten. Sie trafen auf dem Weg auf keinen Menschen. Sie liefen am Ufer des Flusses entlang stromaufwärts.

Situation oder Handlung

„Die Sprache des Regens“ ist ein typischer Schimmelpfennig. Während sein Romandebüt eindeutig in Berlin angesiedelt ist, hat er für seinen Folgeroman einen Ort erfunden, der wieder die großartige Qualität besitzt, gleichzeitig hier und dort zu sein. Das erschwert die genaue Definition von beidem auf bereichender Weise erschwert. Wie schon in seinen erfolgreichen Werken „Auf der Greifswalder Straße“ und „Der goldene Drache“ spielt er virtuos mit den Handlungssträngen. Dadurch gewinnen zwar seine Figuren nicht unbedingt an Tiefe, aber der Ort eine besondere Lebendigkeit erlangt. Doch – und das kann durchaus auch negativ sein – ist es eine erwartbare  Struktur.

Aber sie wirkt stimmiger und weniger konstruiert, als noch in „An einem eiskalten, klaren Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, denn er verknüpft hier nicht mit Taschenspieler-Chaostheorie entfernte Figuren miteinander, sondern entwirft ein Beziehungsgerüst, dass natürlich gewachsen zu sein scheint. Das Ende hingegen weist erneut Schwächen auf, auch wenn es nicht so abrupt ist, wie noch im Wolfsroman. Denn trotz der Figurenfülle scheint es kaum Entwicklung zu geben. (Der Tod zählt auch nicht). „Die Sprache es Regens“ ist weniger ein Roman, sondern ein großes Setting, ein Tableau geschichtenträchtiger Figuren. Es ist ein starkes Setting, das allein macht jedoch noch keinen guten Roman. Gerade bei diesem, manchmal schon märchenhaften Ton, wünscht man sich weniger Repetition und mehr Transformation. Es ist wirklich ein Vergnügen diesen Roman zu lesen, nur das Ende hinterlässt einen schalen Geschmack.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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