Romanquartett und Schwarzer Peter

Einen Buchpreis gewinnt man nicht einfach. Erst gibt es eine Nominierung (wer Pech hat sogar in zwei Stufen) und dann nach schier unendlicher Zeit wird der Sieger verkündet. Klar, alle sagen, dass die Nominierung schon reiche, aber seien wir ehrlich: Wenn dann schon gewinnen. Und so werden alle miteinander verglichen, fast schon gegeneinander ausgespielt, wie beim Autoquartett. Und plötzlich werden Bücher zu flachen Spielkarten.

Der schwarze Peter – “Geliehene Landschaften” von Marion Poschmann

Wie vergangenes Jahr wurde ein Lyrikband nominiert (vermutlich war die Jahre zuvor nur nie so richtig klar, dass das geht). Aber natürlich lässt sich das überhaupt nicht mit einem Roman vergleichen. Hier trotzdem mal die Parameter:

poschmannThema: Poschmann beschreibt Orte in Anlehnung an die japanische Technik der geliehenen Landschaft, als das Verlegen von Orten.

Buchanfang: ???

81 Gedichte haben 81 Anfänge

Sprachliche Raffinesse: *****

Poschmann benutzt kurze Satzfetzen und entwickelt spannende Bilder, mit denen sie die Orte nicht nur beschreibt, sondern einfängt.

Lesefluss: ****

Der kann sich bei Gedicht sowieso nicht so richtig einstellen. Manchmal zieht der Staccato-Stil nicht gleich in das Gedicht hinein, aber das kann auch schön sein.

Spannung/Story: ???

Gedichte erzeugen Spannung, sind aber selten “spannend”. Und Geschichten erzählen sie zwischen den Zeilen und an den Papierkanten.

Relevanz: ****

Im Vergleich zum letztjährigen Sieger ist Poschmann fast politisch: Sie beschreibt den Einfluss des Menschen auf seine Umgebung – Ein Fakt, den viele auch mal vergessen, der aber auch nicht neu ist. Aber sie macht ihn wunderbar fühlbar.

Buchende: ???

81 Gedichte haben 81 Enden.

Marion Poschmann: “Geliehene Landschaften. Lehrgedichte und Elegien” Suhrkamp, 118 Seiten, 19,95€

Der längste Titel: “An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts” von Roland Schimmelpfennig

Eigentlich ist Roland Schimmelpfennig Dramatiker, ein sehr guter und erfolgreicher noch dazu. Schon lange wollte er einen Roman schreiben und jetzt hat er es endlich mal gewagt.

schimmelpfennigThema: Ein Mosaik aus Erzählungen um Einsamkeit in der Großstadt.

Buchanfang: ***

Lustigerweise weiß man jetzt nicht, was ihm zuerst eingefallen ist: Titel oder Romananfang. Auf jeden Fall doppeln sie sich. Ein einsamer Wolf wander nach Berlin und führt gut in den Roman ein, ist aber auch nicht so außergewöhnlich.

Sprachliche Raffinesse: ***

Die Sprache ist ebenso wenig außergewöhnlich, aber das soll hier gar kein Manko sein – siehe unten.

Lesefluss: *****

Roland Schimmelpfennig versteht sein Handwerk und schreibt wunderbare Sätze. Der Dramatiker kommt auch immer wieder durch, denn Gespräche werden bei ihm sofort zu Theaterdialogen. Einige Kritiker meinen, die fehlende Namen stören, aber das ist nun mal der märchenhafte Stil, für den er sonst so gefeiert wird.

Spannung/Story: ****

Er ist nicht nur ein guter Dramatiker, sondern auch ein großartiger Dramaturg. Er verwebt die Geschichten geschickt. Immer wieder gibt es Blickwechsel, wenn auch ein paar zu viele vielleicht. Einen Punkt Abzug, wegen zu viel technischer Effekte.

Relevanz: ****

Auch hier ist das Thema relevant: die Vereinsamung in modernen Großstädten. Wichtig, aber nicht neu. Dafür aber wieder gut eingefangen.

Buchende: *

Eine herbe Enttäuschung. Vielleicht hatte er keine Lust mehr oder nur eine bestimmte Seitenzahl zur Verfügung. Das Ende ist hart und abrupt. Sicherlich können offene Enden spannend sein, aber dann müssen sie auch spannend sein.

Ein Gespräch mit Roland Schimmelpfennig gibt es hier zu hören.

Roland Schimmelpfennig: “An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts”, S. Fischer, 254 Seiten, 19,99€

Und noch ein Dramatiker, diesmal mit komischen Namen: “Der Fuchs” von Nis-Momme Stockmann

Auch der hier ist preisgekrönter Dramatiker, doch er bleibt sich seinem Stil noch mehr treu: seine Stücke haben epische Formen und sein Roman Dialogstellen.

stockmannThema: An einem kleinen Küstenort geht die Welt unter, aber ein Einwohner war vorher schon kurz vor dem Wahnsinn.

Buchanfang: ****

Wir sind sofort in der Apokalypse und das in einem unbedeutenden Ort, das macht Lust.

Sprachliche Raffinesse: *****

Stockmann arbeitet mit viel Spaß an der Sprache und wirklich spannenden Passagen. Hinzu kommen mehrere Wagnisse: eingelegte Dramolette, Abschweifungen und Schnitte. So laufen mehrere Geschichten nebeneinander her, sortiert durch Striche am Seiten Rand.

Lesefluss: **

Natürlich muss man sich auf so ein Experiment erstmal einlassen, aber dann macht es Spaß. Problematischer ist, dass er wenig Rotstift durchgehen ließ, denn teilweise verliert Stockmann sich in seinen Ausführungen.

Spannung/Story: *****

Die Apokalypse ist doch immer spannend. Na gut, nicht immer, aber hier wird sie gekoppelt mit mythischen Abschweifungen, einem Auserwählten und einer Verschwörung. Außerdem changiert dieser Roman so angenehm zwischen Realität und Wahn, sodass auch der Leser nicht weiß, ob das Krimi, Thriller oder absurd sein soll.

Relevanz: **

Der Roman sagt wenig über unsere Welt aus. Es schimmert die Kritik an einer Menschheit durch, die von der Natur entfremdet ist und einer unterschwelligen Gewalt in jedem von uns. Der Autor forciert das jedoch nicht, aber irgendwie ist das auch schön.

Buchende: ****

Alles bleibt vage, das ist nur konsequent. Der Fuchs, heimlicher Strippenzieher, flitzt um die Ecke. Es verliert vermutlich einfach durch den Gesamtaufbau und das Ausmaß an Schlagkraft.

Nis-Momme Stockmann: “Der Fuchs”, Rowohlt, 720 Seiten, 24,95€

Ein Komiker macht Ernst: “Der goldene Handschuh” von Heinz Strunk

Normalerweise arbeitet sich Heinz Strunk an seiner eigenen Biographie ab, doch diesmal wagt er eine Milieustudie in der Hamburger Unterschicht.

StrunkThema: Der Fall Fritz Honka, dem vierfachen Frauenmörder

Buchanfang: ***

Holt den Leser nicht gleich ab, obwohl die Idee mit der Ermittlung anzufangen ganz spannend ist. Vielleicht bin ich einfach nicht die richtige Generation, denn der Fall ist mir nicht so geläufig.

Sprachliche Raffinesse: ***

Strunk bildet das Milieu in seiner Sprache eigentlich ganz gut ab, auch mit einigen schönen Ideen. Tatsächlich findet sich in der Kantigkeit der Sprache eine Ursache für die gesellschaftlichen Probleme. Ist aber auch nicht so ungewöhnlich und manchmal, gerade in der Mundart, etwas plump und durchschaubar.

Spannung/Story: ****

Eigentlich ist es gar nicht so spannend, weil es ja nichts Erfundenes ist. Heißt: wir wissen schon alles. Aber Strunk schafft es den Augenmerk nicht auf die Taten zu legen, sondern ein Gefühl für den Täter und sein Umfeld zu entwickeln. Das schafft Interesse mit Schrecken.

Relevanz: ***

Der Fall Honka war seinerzeit ein großes Medienspektakel (wer hätte es gedacht: Die Bild war’s). Insofern ist die Aufarbeitung als Roman schon spannend, gerade die Konzentration auf das Umfeld. Aber wieviel sagt das heute noch aus? Allerdings sollte es sensibilisieren für ähnliche Fälle und unseren Umgang damit.

Buchende: *

Ja, solide… Eben das Ende des Lebens und des Falls, das musste rein. Aber offensichtlich so dröge, dass ich kurz nochmal nachschauen musste, wie genau das Ende war.

Heinz Strunk: “Der goldene Handschuh”, Rowohlt, 255 Seiten, 19,95€

Der ewige Historiker: “Frohburg” von Guntram Vesper

Der kürzeste Titel dieser Reihe und vor allem nicht das erste Mal, dass Vespers ihn nutzt. Denn schon seit Jahren arbeitet Vespers sich an seinem Geburtsort Frohburg nahe Leipzig ab. Doch trotz des kurzen Titels der längste Roman (1000 Seiten), neben allem anderen muss ich gestehen: Ich habe ihn nicht komplett durchgelesen.

g-Vesper-Guntram-FrohburgThema: Vespers Leben in Frohburg, der Umzug in den Westen und noch viele andere Geschichten

Buchanfang: *****

In einem elliptischen Stil versetzt Vesper den Leser sofort in den kleinen Ort. Total spannend, poetisch und schön.

Sprachliche Raffinesse: ****

So einen starken Auftakt kann niemand halten – würde es auch nicht besser machen. Aber immer noch eine spannende Sprache, die viel von einem Gedankenstrom hat, ohne es zu sein

Lesefluss: ****

Was soll ich sagen, es ist lang und viel, das schreckt ein bisschen ab. Ein Absatz oder eine Zwischenüberschrift mehr hätten geholfen. Aber davon abgesehen hat es einen angenehmen Rhythmus.

Spannung/Story: ****

Geschichte ist immer spannend und öde zugleich. Allerdings bricht Vesper es spannend auf, indem er andere Stimmen einbindet und so eine Revue aus Erinnerungen schafft.

Buchende: ***

Wie sollte es enden, wenn nicht mit dem Tod. Solide zu Ende gebracht. Oder nicht?: Der Werkkomplex ‚Frohburg‘ endet bestiimmt erst mit Vesper selbst.

Guntram Vesper: “Frohburg”, Schöffling & Co., 1008 Seiten, 34€

Ein kurzes Spiel mit den Karten

Also wie schon festgestellt: Poschmann ist raus. Denn die Jury wird sich wohl kaum noch einmal für einen Lyrikband entscheiden, zumindest nicht so nah am letzten Mal (das wirkt ja nur abgekupfert). Aber für Lyrik ist dieses Schlaglicht der Nominierung schon stark genug.

Wir stellen fest, dass sie alle so ein bisschen im Mittelfeld spielen. Irgendwie ist da auch das Gefühl, dass die beiden Dramatiker zusammen den Sieger von 2014 ergeben: „Vor dem Fest“ von Šaša Stanišić. Herumstreunende Füchse (oder eben Wölfe), ein Mosaik aus Geschichten, ein Dorf voller hervorbrechender, mythischer Erinnerungen.

Aber kommen wir zu Vergleich: In Sachen Lesefluss macht Schimmelpfennig niemand was vor, dafür müsste er in punkto Ende stark einstecken. Aber das blieb wenigstens im Kopf, im Gegensatz zu Strunk. Der zeigt bei alles Aspekten schwache Perfomance und braucht viel Glück um siegreich zu sein (so eine Karte gibt es immer, dafür gibt es hier keine mit Höchstleistung). Da kommt Stockmann schon besser, der volle Leistung bei sprachlicher Raffinesse und Spannung bringt, dafür aber bei Lesefluss total versagt, auch keine hohe Relevanz mitbringt (wobei das bitte schön kein Totschlagargument sein sollte). Doch es ist ja vor allem der erste Satz, der überzeugen sollte (das dachte Schimmelpfennig sich auch) und hier bleibt Vesper ungeschlagen. Dafür bringt er keiner anderen Stelle Höchstleistung, bleibt aber auf überdurchschnittlichen Niveau und ist vielleicht die praktischste Karte. Aber wir wissen alle: Die Lieblingskarte ist nicht unbedingt die stärkste, das Auto muss geil aussehen.

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird immer am ersten Messetag verliehen und ist mit 15.000€ dotiert.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

Ein Kommentar:

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