Quergelesen XIX – Weidenholzer: Warum die Herren Seesterne tragen

Das Leben der meisten Menschen ist geprägt von der Suche nach Glück. Da aber niemand so richtig zu wissen scheint, was das – objektiv betrachtet – ist, scheint es keiner zu finden. Anna Weidenholzer schickt in ihrem Roman „Warum die Herren Seesterne tragen“ einen Glücksforscher auf die Suche, der unerwartete Antworten findet.

Welche Geschichte wird erzählt?

469 Kilometer, soweit ist Karl Hellmann von zu Hause weg. Er ist in einen kleinen Ort gereist, zufällig ausgewählt, um dort das Glück zu erforschen. Er hat einen Fragebogen vorbereitet, ganz nach dem Vorbild Bhutans, das das Bruttonationalglück seiner Bewohner bestimmen lässt. Also mietet er sich in ein Hotel ein, begegnet einem Hund namens Annemarie telefoniert immer mal wieder mit seiner Frau, von der der Leser nur ein seltsames Bild erhält. Vor allem aber sucht Teilnehmer für seine Forschung, also Menschen, die er befragen kann. Doch es gelingt ihm nur mäßig die nötige Distanz zu wahren: Die Probanden kontern mit Gegenfragen und immer wieder ertappt sich Karl dabei wie mehr über sein eigenes Leben nachdenkt und vermutlich mit einem Ergebnis zurückkehrt, das so nicht gedacht war.

Welchen Sound hat das Buch?

Weidenholzer schafft es mit ihrer Sprache eine wunderbare Stimmung aufzubauen. Es besteht eine skurrile Grundstimmung sich auch in den wohlkonstruierten Sätzen widerspiegeln. Besonders spannend ist das changieren der Erzählhaltung. Über große Strecken folgt ein personell gebundener Erzähler den Schritten Karl Hellmanns, seinen Gedanken und Gesprächen. Doch an einzelnen Stellen erzählt auf einmal Karl seine Geschichte. Dadurch wird diese Suche nach sich selbst, diese leichte Verwunderung, ob dieser unerwartbaren Welt wunderbar eingefangen.

Und alle Fenster finster und hier draußen ich. Bei Hirsch brennt kein Licht, die Wirtin ist ohnehin nicht zu Hause. Karl sieht hoch zu seinem Zimmer, das Fenster ist gekippt, man bemerkt es kaum. Auf Wiedersehen, flüstert er, und die Lichter des Autos blinken, als er auf den Schlüssel drückt. Auf Wiedersehen, Hotel Post, es war sehr schön mit dir.

Was sagt es sonst noch?

Das ist die schwierige Frage, die wohl keiner so richtig beantworten kann, auch wenn sich alle einig sind, dass er es ist. Letztlich steht diese seltsame Stimmung selbst im Mittelpunkt. Es bleibt das Gefühl, dass sich eben weder die Welt noch das Glück noch die Welt fassen lässt. In Zwischentönen klingt auch viel an, aber vor allem geht es auch darum, dass man sich selbst verstehen muss.

Warum sollte man es lesen (oder auch nicht)?

Es ist ein wunderbarer Roman, der mehr nicht erzählt als erzählt, denn schon der Titel lässt sich nur dürftig erklären. Aber genau darin liegt die Stärke des Romans, der ausnahmsweise auch mal alles ungesagt lässt und trotzdem viel zeigt. Gleichzeitig ist es bestimmt kein die Zeiten überdauernder Roman, denn er bleibt klein und brav, wagt nur wenig. Er besticht allein mit seinen seltsamen Charakteren und einer großen Ruhe, die immer wieder Zeit zum Nachdenken lässt, was allerdings auch mal ermüdend oder sogar beängstigend sein kann.

Anna Weidenholzer: Warum die Herren Seesterne tragen, Matthes und Seitz, 192 Seiten, 20€

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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