Quergelesen VIII – Lange-Müller: Drehtür

Es ist vielleicht das aktuellste zeitdiagnostischste Buch auf der Liste, zumindest auf den ersten Blick. Denn Katja Lange-Müller betrachtet die Situation freiwilliger Helfer, die einen seltsamen Stand haben, über die Welt am Abgrund und die Frage nach dem Sinn im eigenen Leben, das voller Projektionen ist.

Welche Geschichte wird erzählt?

Es ist vor allem nicht nur eine Geschichte, sondern mehrere, die durch eine Situation, ein Bild verknüpft sind. Da steht die gealterte Krankenschwester Asta im Flughafen an der Drehtür und raucht eine Zigarette nach der anderen und denkt immer wieder an einzelnen Begebenheiten zurück, die alle vom Helfen handeln. Wie die Protagonistin versucht einem verirrten Koreaner zu helfen, wie sie eine Kolonie von sozialen Faltenwespen ausrotten will, wie sie eine Katze beschützt und von ihrer Freundin Tamara Schröder, die Teil der Revolution sein wollte und am Ende doch ein Hilfsprojekt für indische Frauen startet. Es ist eine Kreisen in den Erinnerung, denen vor allem eine Frage zu Grunde liegt, wohin jetzt?

Welchen Sound hat das Buch?

Katja Lange-Müller besitzt einen wunderbar leichten, assoziativen und reflexiven Stil für diese Art der Geschichte. Gleich zu Beginn umkreist sie einzelne Wörter, die sofort diese Stimmung von Gedanken und Erinnerungen aufzeigen, aber auch ein Denken über Sprache selbst anregen. Dafür bohrt sie sich regelrecht in die Gedanken von Asta Arnold. Denn was, wie ein allwissender Erzähler aussieht, kippt schnell in den Ich-Erzähler, in dem Asta selbst ihre Erinnerungen erzählt, wobei der Wechsel so beiläufig geschieht, dass er beinahe unbemerkt bleibt. Aber auch die Erinnerungen kommen Asta beinahe unbemerkt. Sie steht da ruhig und unentschlossen im Transitraum der Drehtür und schaut sich um, wobei ihr immer wieder einzelne Episoden ins Gedächtnis kommen. Die durch den Zugang über Asta etwas leichtfüßiges Bekommen, die zwar eine zynische Betrachtungsweise aus der Ferne zulassen, der auch Witz besitzt, aber eben auch die Problematik darunter.

Doch riskant, erregend riskant, ist die Helferei trotdem. Du stehst mit einem Bein im Misserfolg, denn oftmals sind deine Bemühungen am Ende vergebens, was dir aber nicht immer vergeben wird, nicht einmal von dir selbst. Dafür, zum Ausgleich gewissermaßen, stehst du mit dem anderen, dem goldenen Bein, bei mir war es das linke, in so tewas wie irdischer Heiligkeit.

Was sagt das Buch sonst noch?

Vor allem reflektiert es über den Menschen selbst, der hier ein besonderes Bedürfnis offenbart, nämlich sich über andere zu definieren, das Helfersyndrom als Versuch seiner eigenen Existenz Wirkung zu verleihen. Es beginnt schon mit einer Desorientiertheit: wie Asta da am Flughafen steht und zunächst keine Sprache findet und keine Heimatgefühle, sodass sie sich fragen muss: Wohin gehöre ich. Lange-Müller zeigt die Protagonistin in Beziehungen mit Männern, aber vor allem in ihrem Willen mit anderen Menschen zusammen zu sein, sozial zu sein, wie die Wespen in ihrem kleinen Studentenzimmer in Leipzig. Dabei lotet die Autorin aber auch alle Seiten des Hilfsarbeit aus: Wir sehen Tamara Schröder, die beinahe zufällig dahin kommt, deren Hilfe als selbstverständlich und fast schon erzwungen wird. Aber es zeigt sich auch dieses Gefühl von oben herab, gegenüber denen, den geholfen werden muss. Die Helfenden haben auch etwas Fremdes, wie sie sich in diese neue Welt einschleichen und auch schlechte Seiten haben. Vor allem macht sich in Asta eine Dringlichkeit breit, eine Form von Sucht, die das Gefühl geholfen zu haben auslöst. Denn jetzt, wo sie nicht mehr helfen darf, wo sie sozusagen verbannt wurde, bleibt bei ihr nur ein Gefühl der Leere. Nachdem Asta nicht mehr die Krankenschwester ist, sich auf andere konzentrieren kann, wird sie auf sich zurückgeworfen und muss sich fragen, was für sie Leben noch bedeutet.

Warum ist es lesenrelevant (oder auch nicht)?

Weil es einfach einen wunderbaren Ton besitzt, der erzählerische Kraft mit Überlegungen verknüpft. Es sind wunderbare kleine Anekdoten, die Katja Lange-Müller hier erzählt, eben auch in einer wunderbaren Art, die nicht zu schwer ist, aber die Geschichten durchaus zur Geltung bringt. Doch ob es wirklich ein Roman ist bleibt fragwürdig, denn im Großen und Ganzen sind es einzelne Erzählungen, die auch mehr schlecht als recht aneinander geknüpft sind, denn so viele Menschen, die an andere erinnern, findet man auch am Flughafen nicht. Aber da lässt sich drüber hinwegsehen, denn insgesamt vermitteln die Geschichte ein Gesamtbild und führen dann doch zu einer Erkenntnis über die Protagonistin.

Katja Lange-Müller: Drehtür. Kiepenheuer und Witsch, 224 Seiten, 19€

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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