Bereits im Bücherfrühling war er preisverdächtig, als die Nominierung der Leipziger Buchmesse unter Genderaspekten diskutiert wurde. Zwar sei Michael Kumpfmüller auch nur ein männlicher Schriftsteller, aber wenigstens beschäftigt er sich in seinem Roman „Die Erziehung des Mannes“ mit dieser Zuordnung.
Welche Geschichte wird erzählt?
Der Protagonist, der Komponist und Musikwissenschaftler Georg, erzählt sein Leben – vor allem sein Beziehungsleben, das viele Tiefen hatte, die der Erzähler mühevoll auszuloten versucht. Er begibt sich in die Ehe, die jedoch von Beginn an mit einem gewissen Kampf einhergeht: Wer hat die Macht in der Beziehung. Dazu gehören natürlich Reibereien und zahlreiche Zweifel. Nach dem Scheitern versucht er sich dann psycho-archäologisch: Die Beziehung zum Vater (dem ersten männlichen Vorbild), der vielleicht immer etwas zu streng und abweisend war und die ersten Beziehungen zu Frauen, die er gleich mit seinem Elternhaus in Verbindung bringt. Schließlich blickt der letzte Teil in die Zukunft auf die Erziehung mit den Kindern, die nicht immer leicht ist.
Welchen Sound hat das Buch?
Kumpfmüller erzählt diese Geschichte äußerst unaufgeregt und wirklich sachlich. Allerdings auf eine Weise, die die Geschichte nicht wirklich verorten lässt: Es wird deutlich, dass der Ich-Erzähler von einem Heute zurückblickt und auch den Großteil seines Lebens in Hamburg verbringt. Aber irgendwie scheint das nur beiläufig sodass die Geschichte eben immer und überall bekommt. Auch die Figuren bleiben ziemlich unfassbar, denn Kumpfmüller hält sich nicht mit Detailbeschreibungen auf, entwirft keine klaren Bilder, sondern allenfalls Situation. Dabei konzentriert er sich ganz auf die Geschichte, die nur im Unterton etwas analytisches und selbstbefragendes hat und nicht ständig kreisende Gedanken preis gibt.
Du wolltest immer Kinder, sagte ich. Wie sollen wir Kinder haben, wenn wir nicht miteinander schlafen. Ich versuchte zu beschreiben, wie es in mir aussah, wie ausgebrannt ich war, wie verbittert, weshalb ich selbst schon glaube, dass es pervers sei. Abartig. Mit einer Frau schlafen zu wollen , ist abartig, behauptete ich. Worauf sie nur kalt erwiderte, ich hätte sie mir eben mit Gewalt nehmen müssen.
(An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass das Thema Sex etwas überpräsent ist und auch aus dem nüchternen Sprachstil etwas herausfällt. Aber gut, was ist schon ein gutes Wort für Penis, aber Schwanz klingt irgendwie unpassend ordinär.)
Was sagt das Buch sonst noch?
Das verrät wohl schon der Titel: Es geht um das Mann sein – natürlich in der Doppeldeutigkeit von aktiv und passiv, also erzogen werden und selbst erziehen. Wie schon erwähnt, sitzt Georg dafür nicht in seinem Arbeitszimmer, hört Schostakowitsch und denkt darüber nach. Die Geschichte lässt diese Gedanken in Szenen entstehen, die vor allem die Männlichkeitsbilder in Frage stellt. Georg ist als Künstler der Schaffende im Haus, während seine Frau als Lehrerin die Erzieherin ist. Doch gleichzeitig gibt sie den Ton an und bringt über lange Zeit das Geld in den Haushalt. Was sie hinterfragt ohne dabei das Rollenbild klar zu benennen. Vor allem Sexualität und Fortpflanzung wird dabei auch immer wieder thematisiert und damit auch die Frage, ob der Mann lediglich für die Zeugung verantwortlich ist, oder eben wichtiger Teil der Erziehung, was für Georg ein großer Kampf ist.
Warum ist es lesenrelevant (oder auch nicht)?
Leider ist das Buch nach den Diskussionen um Nominierungen etwas enttäuschend. Es ist wunderbar erzählt und baut eine gewisse Spannung auf, die den Leser angreift, der ein großes Interesse an dem Erzähler entwickelt. Wenngleich der Einstieg über die langjährige Freundin etwas seltsam ist, da gleich zu Beginn die These in den Raum gestellt wird, dass der Mann ein sexuelles Wesen ist, die so etwas gewollt wirkt und die Freund deswegen auch erst später Namen und Charakter erhält. Auch der Rückblick in die Vergangenheit, obwohl der gut erzählt ist und in der Gesamtstruktur äußerst sinnig ist, kommt etwas plötzlich. Doch das größte Problem ist, dass das Buch keine wirklichen Erkenntnisse liefert und doch teilweise etwas Tiefgang und vielleicht sogar etwas Brüchigkeit missen lässt: Es gibt nur die Sicht des Erzählers, der seine Fehler nicht wirklich objektiv betrachtet, auch der Generationenkonflikt vom erzogenem Mann zum erziehenden Mann hätte bestimmt mehr Zweifel ermöglicht. Insgesamt ein gut zu lesender Roman, in dem sich dieser Mann auch immer wieder (glücklicherweise nicht ständig) selbst gesehen hat, der aber auch nur bekannte Geschichten erzählt.
Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes, Kiepenheuer und Witsch, 317 Seiten, 19,99€
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