Der Körper ist ein Fundort von Geschichten. Er ist ein Mikrokosmos, ein ganzheitliches System, das das Universum spiegelt. Ebenso wie das Universum herrscht im Menschen das Verlangen, den Körper zu erkunden. Mit ihrem Buch „Hauthaus“ taucht Dana Ranga in den menschlichen Körper und changiert dabei zwischen Lyrik und Prosa.
Die Mystik des Körpers
Beginnen wir mal nicht direkt mit dem Buch, sondern mit einem anderen. Es gibt eine Szene in Ecos „Das Focaultsche Pendel“ in dem sich Casaubon mit seiner Geliebten über Numerologie unterhält. (Ich erinnere mich nur Dunkel, ich war jung habe nur die Hälfte verstanden:) Sie fragen sich welche Bedeutung die Zahlen haben und kommen dabei auf den eigenen Körper zurück: 1 Körper, mit 2 Seiten (also 2 Arme, 2 Beine und so weiter), 5 Extremitäten/Finger/Sinne, 9 Körperöffnungen und so weiter. Das zeigt uns bereits, wie viel Erzählung im eigenen Körper steckt.
Dabei kommen mir auch sofort daoistische Philosophien in den Sinn, die Organe mit Sinnen, Farben, Elementen und Stimmungen verknüpfen – die Assoziationskette kann also riesig sein.
Die Schulmedizin ohne Gefühl
Doch dieser Mystik scheint sich Dana Ranga in ihrem Band „Hauthaus“ nicht folgen zu wollen und wählt als ihren Ausgangspunkt lieber die Schulmedizin. Die laut Ranga aber mit ihrem naturwissenschaftlichen Blick auf den Körper nicht alles erkennen können.
sie zeichnen auf
sie knacken Zell-Codes
erfahrene Hacker der Lust
Diebe der Intimität
sie suchen das Leben mit dem Skalpell und triumphieren
Bei jedem Examen
und doch wissen sie nichts über sich
über Schönheit und Liebe
Struktur unterstützt Funktion
im Körper waltet Anarchie
Den Organen nachspüren
Mit diesem Gedicht „Anatomie“ leitet Dana Ranga ihre Textsammlung ein und es ist auch das letzte Mal, dass sie so deutlich wird, so kritisch spricht. Das ist auch gut so, denn denn auch wenn sie mit Sprache umgehen kann, es hat etwas Banales. Den restlichen Band über zeichnet sie Bilder und erzählt Geschichten. Es wäre jetzt leicht, mit irgendwelchen Körper-Metaphern dem Buch nahe zu kommen, dass ihre Worte wie ein Skalpell schneiden, dass sich “wie Sys- und Diastole, Gedichte in schlanken Versen und im Blocksatz gefügte Prosagedichte” abwechseln. Obwohl es natürlich stimmt, soll es das mit diesen Vergleichen gewesen sein. Jeder der folgenden 15 Texte ist dabei mit einem wichtigen Organ des Körpers übertitelt und spürt diesem nach, wie Leber und Lunge und Hoden und Herz.
… Tag für Tag für Schlag für Augenblick, jede Systole ein Schachzug, am Ende verliert man, der Tod gewinnt, ich gewinne nur, solange ich seinen Sieg verspäten kann, Systole um Zug um Schlag, Denkpause, Diastole, ich atme aus, Galeerenarbeit oder Stepptanz, ich bin Zeitgeber, Rhythmus und Takt, Schlag für Schlag…
Die Texte unterscheiden sich jedoch nicht nur optisch, sondern auch im Umgang mit dem Thema. Die Prosa-Gedichte erzählen eine Situation oder eine Geschichte. Die Vers-Gedichte assoziieren sehr frei und bleiben dabei in gewisser Weise auch dem Äußerlichen verschrieben, immerhin fallen sie auch selbst optisch heraus. Denn die Verse sind hier nicht linksbündig wie sonst üblich, sondern zentriert gesetzt. Vielleicht um auf die Symmetrie des Köpers zu verweisen. So flechten sich die Bilder untereinander fort.
Allerdings sind die Verbindungen zu den Organen nicht immer offensichtlich. Beim zitierten Text „Herz“ mag es gehen, diese Aufregung, diese Gefühle, der Takt – das ist deutlich und wird vielleicht deswegen gerne als Beispiel genannt . Doch mir wird nicht klar, was die Erzählung, das Prosa-Gedicht mit Milz, Niere und Leber zu tun hat.
Trauer erfasst den Körper
Möglicherweise sagt das aber mehr über mich aus und wie wenig ich meine Körper kennte. Gleichzeitig zeigt es auch, wie gut sich Dana Ranga mit dem Körper auseinandergesetzt hat. Immerhin ist sie Arztkind und hat selbst Medizin studiert – wohl nicht ganz aus eigenem Wunsch heraus. Doch wie der einleitende Text bereits verrät, als eine Art Vorwort, ist ihr die reine Medizin zu pragmatisch. Ranga fehlt das Menschliche, das im Menschen verborgen liegt – nirgends deutlicher als in den Eierstöcken.
neun metamere
zwei Pole und eine Achse
links spiegelt rechts
(hätte ich eine Wurzel
dann hätte ich auch einen Spross)
und das All spiegelt die Erde
ich bin kein Seestern
mit raiärer Symmetrie
Stückwerk bin ich
Segment für Segment
gleiche Funktion bei ungleicher Abstamung
(nur ein kleines Würmchen
wer nannte es Embryo?)
Geschickt bewegt sich Dana Ranga mit ihren Texten zwischen Prosa und Lyrik. Es ist ein bildstarkes Erzählen und Nachdenken mit einem klaren Rhythmus. Die Texte kennen keine Pausen, gehen immer weiter, denn Organe kennen keinen Sonntag (höchstens der Magen, wegen dem Braten). “Hauthaus” ist ein melancholisches Buch, in dem viel Trauer liegt. Ich würde sogar so weit gehen, dass da eine Spur von Angst vor der Vergänglichkeit innewohnt. Dieser Textband ist keine leichte Kost, doch voll köstlicher Worte.
Dana Ranga: Hauthaus, Suhrkamp, 63 Seiten, 19,95€
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