Das Bilderbuch “Allein” der chinesischen Künstlerin Goujing ist von ihrer eigenen Kindheitserinnerung geprägt. Es geht um Einsamkeit und auch etwas um Angst. Kinder zwar klein und zart, doch gleichzeitig stark, weil sie immer einen Weg sehen und problemlos jede neue Welt betreten können.
Ich hatte wohl ein recht behütete Kindheit. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals wirklich allein gewesen zu sein. Wenn meine Eltern lange arbeiten mussten, dann bin ich nach der Schule zu meinen Großeltern gefahren, oder meine Schwester hat auf mich aufgepasst, aber meisten kam bald jemand, nach dem ich nach Hause gekommen bin. Doch die Künstlerin Guojing, am anderen Ende des eurasischen Superkontinents und circa ein Jahrzehnt früher, hat eine ganze andere Kindheit gehabt.
Kindheit in China
In den 1980er Jahren herrschte in China die Ein-Kind-Politik, die natürlich zur Folge hatte, dass sich alle Elternliebe auf ein Kind konzentriert. Doch es hatte eben auch zur Folge, dass Kinder keine Vertrauten hatten, keine Geschwister. Das bedeutete oft Einsamkeit. Wenn beide Eltern arbeiten waren, mussten sich oft die Großeltern kümmern, so berichtet es Guojing in ihrem Vorwort. Doch da die Stadtflucht erst später eingesetzt hatte, lebten die Großeltern weit entfernt auf dem Land und es war ein langer Weg. Eines Tages setzte ihr Vater sie alleine in den Bus zu ihren Großeltern und diese Erinnerung wurde zur Inspiration für ihr erstes Bilderbuch „Allein“.
Eine magische Reise in unbekannte Welten
Auch ihre kleine Heldin ist oft allein zu Hause, wenn ihre Eltern unterwegs sein müssen. Aber weil das einfach keinen Spaß macht, überlegt sie sich allein zu ihrer Großmutter zu fahren. Der Bus schaukelt und ist warm. So verpasst sie ihre Haltestelle und verirrt sich im Wald. Hier trifft sie auch einen Hirsch, der sie auf ungewöhnlichen Wegen – durch Meere und Himmel – wieder sicher nach Hause bringt, wo ihre Eltern schon vor Sorge aufgelöst auf ihre Tochter warten.
Es ist schwer diese Geschichte in Worte zu fassen, denn auch die Künstlerin verzichtet darauf und lässt dafür die Bilder sprechen. Dabei setzt sie auch Techniken die im Comic bereits gut erprobt wurden. Aktion, Hektik oder auch Zeitlupe setzt sie in kleine nebeneinander angeordnete Bilder, die großen, atmosphärischen Momente bekommen eine Doppelseite. Zurecht, denn Guojing lässt ihre Heldin an wirklich magische Orte reisen, die trotz oder vielleicht wegen dem Verzicht auf Farben entsteht, der auch diese Stimmung der Nacht und des Traumes vermittelt. Sie arbeitet mit den Hell-Dunkel-Konstrasten, sowie vor allem mit weichen und runden Formen, die eben auch das Kindliche betonen.
Ich suche immer nach dem Haar in der Suppe und der großen Bedeutung der Geschichte, aber in diesem Fall scheint es banal. Ich weiß nicht, ob die Geschichte tiefgründig ist (die Bilder hätten die Qualitäten dafür) oder ob sie einfach (hier gibt es leider nur abgedroschen Beschreibungen) magisch sind. Goujing zeigt in ihrem Buch „Allein“ was Einsamkeit bedeutet, aber auch von der Stärke diese zu überwinden, letztlich auch von Kraft. Aber es ist auch einfach schön, durch dieses Buch zu blättern (bestimmt auch für Kinder).
Guojing: Allein, Jacoby & Stuart, 112 Seiten, 19,95€
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