Kindheitserinnerung: Schwarzes Loch

Weihnachten ist eine ganz besondere Zeit – was vieles heißen kann: Es ist die Zeit der Familie und der Tradition. Und damit auch irgendwie eine Zeit der Erinnerungen: an Jesu Geburt, an alles Gute im Jahr und natürlich der vergangenen Weihnachten – sofern man sich noch erinnern kann. Versuchen wir’s mal…

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Als Cäcilia mit der Idee kam, dass wir zu Weihnachten etwas über Kindheitserinnerungen machen könnten, weil Weihnachten doch ein Fest der Kinder sei, habe ich erstmal eine Augenbraue hochgezogen. Aber dann meinte sie, es ginge erstmal um Kindheitserinnerungen als Motiv. Das ist ja einfach, weil viel Literatur aus Erinnerungen schöpft, auch gerne aus Kindheitserinnerungen. Aber natürlich reichte das nicht, ich sollte auch noch über meine eigenen Kindheitserinnerungen schreiben. Wie ich Weihnachten gefeiert habe und ein tolles Buch geschenkt bekommen habe. Also gut!

Ich fürchte, da hat sich nichts eingebrannt, das jetzt auf der Oberfläche meiner Hirnrinde stehen würde. Vielleicht muss ich mich noch mehr anstrengen.

Da passiert trotzdem nichts. Ich werfe mal einen Blick ins Fotoalbum, da findet sich ja möglicherweise ein Bild von mir mit einem Buch.

Nein, keine Weihnachtsbilder. Meine Eltern haben immer gefilmt, die Filme sind jetzt nicht hier. Vielleicht kann ich da zu Weihnachten nochmal drüber schauen. Aber es muss es doch etwas geben, denn meine Mutter meinte, wir hätten immer Bücher bekommen, damit wir Bücher lieben lernen.

Büchererinnerungen

Das hat zweifelsohne tadellos funktioniert – zum Leidwesen meiner durchhängenden Bücherregale. Ich kann mich auch noch an viele Büchergeschenke erinnern: Mein erstes hieß wohl “Daniel und die Zwergpiraten” oder so ähnlich. Das handelte von einem Jungen, der in einem See ein winziges Schiff voller daumengroßer, lebendiger Piraten findet und ihnen hilft. Aber das habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, wohl so zwischendurch bekommen. “Harry Potter” hat auch mich wieder in einen Lesewahn geholt und war tatsächlich ein Geburtsgeschenk von Freunden. “Sieben Tage Hexerei” aus dieser Chrestomanci-Reihe – die erste Auseinandersetzung mit dem Hans Wurst und Gegenstand einer schlechten Lesewettbewerbsleistung aufgrund mangelnder Vorbereitung – war ebenfalls eine Geburtstagsgeschenk eines Freundes.

Zum “Herr der Ringe” hatten mich die Filme verführt. Die Bücher waren mal ein Geschenk, als ich länger von zu Hause weg war (der anspruchsvollste Fantasy-Roman, den ich kenne). Paul Auster begegnete mir in der Bibliothek – zu früh, dass ich ihn hätte verstehen können, aber zu einem Zeitpunkt, dass es mich immerhin reizte später einen Büchergutschein zu opfern um die “New York-Trilogie” lieben zu lernen (meine erste Begegnung mit einer Metareferenz). Und Joey Goebel war mein erster Schatten, der mich nach einer Leipziger Buchmesse verfolgt hat, mich zum relativ zeitnahen Kauf veranlasste und mich zu einer ersten Bücherfreundschaft führte. Zur Buchmesse habe ich ebenfalls Jahre später “Unendlicher Spaß” (und die leitende Hand der Buchpreise) kennen gelernt, das später als ein Geschenk für Zwischendurch auf dem Bett lag. Zwischendurch habe ich übrigens auch zweimal Walter Moers’ “Stadt der träumenden Bücher” geschenkt bekommen – der Titel war ja naheliegend. Zum Geburtstag habe ich Dan Brown bekommen, den ich im Buchladen entdeckt habe, bevor er zum Kinoanwärter wurde (was nachträgliche Schmähungen nach mehr Leseerfahrung nicht mindert). Wieder auf der Leipziger Buchmesse habe ich Roberto Bolanos opus magnum “2666” entdeckt und damit den Autor und die lateinamerikanische Literatur lieben gelernt. “2666” war im Übrigen das erste Buch, das ich mir gebraucht gekauft habe. Doch das Highlight meines Buchschranks ist Danielewskis “House of Leaves”, das ich sozusagen zur Hälfte geschenkt bekommen habe.

Erinnerungsstützen

Doch nichts davon hat mit Weihnachten zu tun. Am besten versuche ich meine Erinnerungen aufzufrischen in dem ich mich an alles andere erinnere. Vormittags haben wir immer den Baum geschmückt. Oft war ich nachmittags in der Kirche als Teil dieser Krippenspielkinder und habe mir die Weihnachtsgeschichte angehört.

Ich erinnere mich an ein Weihnachten, wo ich jede Menge “Herr der Ringe”-Zeug geschenkt bekommen habe, allem voran die extra lange Version von Die Rückkehr des Königs mit der ich Cäcilia nerven kann. Ich habe als kleine Kind auch eine Eisenbahn mit grünen Plastikschienen bekommen, aber ich erinnere mich gar nicht an dieses Weihnachten sondern nur an das Bild davon. Einmal habe ich auch – meine Schwester wollte es mir unbedingt vorher verraten – eine Hot Dog Maschine bekommen, die nützlicher ist, als es klingen mag.

Da fällt mir ein: Gerüche und Geschmäcke sollen ja die Erinnerung unterstützen. Wir haben vor der Bescherung immer Kartoffelsalat mit Würstchen gegessen. Es ist nur gekaufter Kartoffelsalat und Würstchen aus dem Glas, aber vielleicht hilft es.

Nein, kein Erfolg.

An eine Begebenheit aus meiner Kindheit erinnere ich mich aber ganz genau. Es war zur Kindergartenzeit und wir wollten mit der ganzen Gruppe einen Ausflug machen. Also schön in Zweierreihen aufgestellt und losmarschiert. Ich ging neben meiner dunkelhaarigen Kindergarten-Freundin (war ich damals schon ein Schwerenöter?). Ich war ganz vertieft darin ihr etwas zu erzählen (bestimmt übertriebener Unsinn – ich hatte schon immer etwas zu viel Fantasie). Als ich mich nach vorne drehte um wieder auf den Weg zu schauen, war da plötzlich eine Laterne und der Weg zu knapp zum bremsen – und so bin ich frontal dagegen gelaufen.

Das würde dann auch alles andere erklären.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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