Von Beginn an war “Star Wars” mehr als eine Filmsaga, es war eine Sammlung von Geschichten. Insofern war George Lucas ein Visionär, dass er bereits Ende der Siebziger mit Büchern und Comics Geschichten aus seinem Universum erzählen ließ. 2012 war sofort klar, dass es einen Einschnitt durch diese weit entfernte Galaxis geben wird. Doch es zeigte sich, dass der Einschnitt noch größer werden sollte.
Selbstverständlich reichte es schon immer aus, wenn man einfach nur die “Star Wars”-Filme gesehen hatte. Doch hier wurde bereits Appetit auf weitere Geschichten geweckt: historische Ereignisse wurden angesprochen und dass jede Figur eine eigene Geschichte hat, war sowieso klar. Deswegen entstand neben den Filmen schnell ein sogenanntes “Expanded Universe”, also eine ganze Masse an Werken, die genau diese Flecken mit Erzählungen füllen sollte. Der Einstieg war leicht, denn man musste nur die Storypunkte aus den Filmen kennen – von Jedi, Sith und intergalaktischen Verstrickungen wissen – und schon eröffneten sich zahlreiche Geschichten. Manche Leser konnten so einen einzelnen Aspekt näher betrachten, ein erwähntes Ereignis nachvollziehen. Andere würden zum Thema “Star Wars” gerne promovieren: sie kennen alle Biographien, erstellen Schaubilder zu historischen Ereignissen und verfassen Abhandlungen zu Lichtschwertern.
Eine kollektive Super-Geschichte
An solchen Stellen zeigte sich, wie komplex dieses Geschichten-Universum geworden war. Es enthiellt so viele Fakten, dass es ganze Kompendien füllte. Dabei waren die Filme nicht einfach nur eine Inspiration für einzelne Geschichten. Das Expanded Universe bildete ein weitverzweigtes Story-Konvolut, das sich in beliebiger Reihenfolge lesen ließ und sich aller Medien bediente. Geschichten wurden angedeutet und an anderer Stelle weiter erzählt, einzelne Figuren bekamen einen tieferen Hintergrund und es ermöglichte stilistische Experimente im “Star Wars”-Setting, wie Jedi-Krimis oder Sturmruppen-Zombie-Horror. Das erweiterte “Star Wars”-Universum konnte fast als Paradebeispiel für transmediales Erzählen gesehen werden, das verschiedene Zugänge ermöglichte, sowie die Eigenheiten und Vorzüge jedes einzelnen Mediums berücksichtigte.
Ob das immer künstlerisch so wertvoll war, soll hier gar nicht diskutiert werden, zumal es große qualitative Schwankungen gab. Sicherlich waren da keine Nobelpreisverdächtigen Schriftsteller am Werk, die Seriendramaturgie wurde vermutlich genauso selten reflektiert, wie die visuellen Möglichkeiten des Comics. Höchstens einige Videospiele stachen noch hervor im Vergleich zum restlichen Markt. Doch das Erweiterte Universum hat der “Star Wars”-Saga so viel Tiefe verliehen: Diese ganze Galaxie wurde so reichhaltig und komplex, und ließ interessierte Fans nach Informationen wühlen. Es hat starke Frauen gezeigt, Figuren von flachen Archetypen zu kantigen Charakteren geschleift, dem schwarz-weiß/Gut-Böse-Kampf mit einer langen, 10.000 Jahre währenden Geschichte versorgt. Doch all das war einmal.
Die Revision
Disney verkündete 2014, dass alles was sich viele Fans über die Jahre angelesen haben, niemals geschehen ist: Das gesamte erweiterte Universum wurde abgeschnitten und für null und nichtig erklärt. Die Fangemeinde hat aufgeschrien, weil es so viele spannende Figuren verloren hat und nicht mehr weiß, was es noch glauben soll, unzählige Stunden des Lesens und Spielens wurden für gegenstandslos erklärt. Dabei hat doch gerade dieses transmediale Erzählen die Marke “Star Wars” so groß gemacht: sie hat sich in allen möglichen Medien festgesetzt, ist zur Meme geworden und hat mehr Rezipienten erreicht. Möglicherweise hätte es die Prequel-Trilogie – die vielleicht nicht allen gefällt, die aber neue Generationen erreichte – ohne den Zuspruch von “Star Wars”-Buchautoren und dem Willen von Hintergrundgeschichten nie gegeben.
Ausreden und Ausflüchte
Die Erklärungen und Begründungen seitens der neuen Götter dieses Universums klingen dabei eher dürftig und beinahe nach Ausflüchten: J.J. Abrams meinte, ihm habe einfach an Zeit gefehlt, dieses große Universum zu sichten. Das sagt viel über den Willen und die Energie aus, die hinter dem Projekt “Disney’s Star Wars” steht. Letztlich ist das nur ein weiterer Beweis, dass es hier nur ums Geld geht. Denn es war keine Eile geboten, es wurden nur Arbeitsstunden gespart. Es bestand die Sorge, dass der geplante Film nicht in dieses Universum hineinpasse. Dabei ist doch genau das die Stärke, dass es viel Platz bietet. Wäre es unmöglich gewesen Fans einzuladen, Fragen der Continuity, der Passgenauigkeit mit anderen Geschichten zu überprüfen und zu diskutieren? Vermutlich hat auch hier der Wille gefehlt.
Abrams meinte, es gäbe tausende Fans, die sich im erweiterten Universum nicht auskennen würden. Sicherlich muss man dem neuen kreativen Kopf zustimmen: Dieses erweiterte Universum war unübersichtlich geworden und steckt voller Fehltritte, Missetaten und Widersprüche. Doch die neue künstlerische Leitung wäre die Gelegenheit gewesen, alle diese Werke zu sichten, sie in den neuen Kontext einzuordnen und andere Werke ungeschehen zu machen, so wie es jeder gute Relaunch tut. Doch statt die zahlreichen Fäden zu entwirren, wurde der Gordische Knoten nicht nur durchgeschlagen, sondern gleich verbrannt.
Ein neues Universum?
Vielleicht steckte da eine Machtfantasie dahinter: die neuen Generäle der Sternenkriege wollen das Universum nach ihren Vorstellungen gestalten und die Vergangenheit der Figuren nur so erzählen, wie es ihnen passt und sich nicht von langjährigen Fans rein reden lassen. Natürlich soll es ein neues komplexes Universum geben, so wie Disney es auch mit dem Marvel Cinematic Universe hält, nur das “Star Wars” hier fast als Vorbild gesehen werden kann. Vielleicht werden sie bei ihrem Versuch die Galaxie neu mit Geschichten zu füllen auf Werke stoßen, die doch gut und spannend waren und es dann bedauern oder es kleinlaut wieder aufnehmen. Denn was soll mit tausend Titeln passieren? Werden sie Teil eines blühenden Paralleluniversums? Damit muss sich das neue Universum erstmal messen können.
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