Spurensuche im Weiß

Für gefährliche Abenteuer sind sie eigentlich zu schwach und doch haben sich Kinder in Indie-Spielen zu beliebten Protagonisten entwickelt. “Ico”, “Limbo” und “Contrast” – sie alle lassen die kleinen Menschen durch eine viel zu große Welt wandern. In “Beyond Eyes” hat der Spieler es diesmal sogar mit einer besonders zerbrechlichen Heldin zu tun: Die kleine Rae ist blind und kämpft sich nun durch eine ihr unbekannte Welt, um einen ganz besonderen Freund zu retten. Das Konzept hat mich im Mai bereits bei der Ankündigung auf der E3 begeistert. In wievielen Spielen bekommt man schließlich die Gelegenheit, die Welt eines blinden Kindes zu erkunden?

Seit die 10-jährige Rae durch einen Unfall ihr Augenlicht verloren hat, fürchtet sie sich vor lauten Geräuschen und öffentlichen Plätzen. In dem heimischen Garten hat sie sich deswegen ihre eigene kleine Welt geschaffen. Fern von allen Gefahren, mit Katze Nani als Spielkameraden. Als ihr einziger Freund jedoch eines Tages nicht mehr auftaucht, sammelt Rae all ihren Mut zusammen und verlässt ihren sicheren Rückzugsort. Eine Reise ins Ungewisse beginnt.


Kein Abenteuer im üblichen Sinn

“Beyond Eyes” ist ein Adventure-Game der ganz besonderen Art, in dem es einmal keine Kämpfe auszutragen, keine großartigen Rätsel zu lösen gibt. Und doch ist die Suche nach Katze Nani für die kleine Rae genau das – ein Abenteuer: Alles ist ungewohnt, überall laute Geräusche, Menschen und Tiere. Eben alles Dinge, die das blinde Mädchen um jeden Preis zu meiden versucht hat. Auf einmal werden bellende Hunde und krächzende Möwen zu schaurigen Schattenkreaturen und Straßen zu wabernden schwarzen Wolken, an denen sich die verunsicherte Rae partout nicht vorbei wagt. Gefährliche Kreaturen trifft der Spieler damit zwar nicht, aber das Monster unterm Bett musste ja auch nicht real sein, um uns als Kind zum Gruseln zu bringen.

Schwarze Wolken bedeuten für Rae: Gefahr. (Screenshot: “Beyond Eyes” © Tiger and Squid)

Für den Spieler besteht das Abenteuer hauptsächlich darin, nicht die Orientierung zu verlieren. Denn Rae hat ihre ganz eigene Art entwickelt, die Dinge zu “sehen”. Gegenden, die sie noch nicht kennt, die sie noch nicht erforscht hat, erscheinen weiß – unbekanntes Land. Erst beim näheren Herantreten kann sie sich ein schemenhaftes Bild von dem machen, was ihr da gegenübersteht. Die Umgebung wird zu einer weißen Leinwand, die jeder Schritt mit Farbe füllt und sich erst langsam zu einem Gemälde zusammenfügt. (Das Ganze erinnert doch stark an “The Unfinished Swan” – ebenfalls ein Indie-Spiel, in dem der Spieler eine anfangs vollständig weiße Welt mithilfe von Farbkugeln einfärbt.

“Beyond Eyes”

Entwickler: Tiger & Squid
Publisher: Team 17
Release: August / September 2015
Plattformen: Xbox One /Windows / OS X /
SteamOS /Linux / PlayStation 4


Der Schein trügt

Wahllos durch die Gegend irren muss der Spieler deswegen aber trotzdem nicht: Schließlich sind auch Raes anderen Sinne seit dem Verlust des Augenlichts besonders ausgeprägt. Beispielsweise kann das kleine Mädchen schon auf größere Entfernungen Gerüche oder Geräusche wahrnehmen und sich daran orientieren. Aber Vorsicht: Der Schein trügt und so kann sich etwa das Pochen eines Spechtes beim näheren Herantreten als etwas völlig Anderes offenbaren; auf einmal zum monotonen Klopfen einer Ampel werden. Ein fataler Fehlglaube, der im richtigen Leben oft mit dem Tod bezahlt werden muss, in “Beyond Eyes” jedoch schlimmstenfalls einen Schreckmoment mit sich trägt. Denn wirklich in Gefahr geraten kann Rae dank der warnenden schwarzen Wolken und Linien ja nicht.

Im weißen Regenmeer werden selbst die unangenehm schreienden Möwen zu rettenden Orientierungshilfen. (Screenshot: “Beyond Eyes” © Tiger and Squid)

Und auch die Orientierung stellt zu großen Teilen kein wirkliches Problem dar: Rae kann sich auch über längere Zeit hinweg die wahrgenommenen Eindrücke genau einprägen und zu einem detaillierten Bild der Umgebung zusammensetzen. Und erkennt Rae Nanis Geruch wieder, weiß der Spieler ganz sicher, dass er sich auf der richtigen Spur befindet. Sobald jedoch ein Gewitter ausbricht und der Regen alles zu übertönen beginnt, helfen auch Spurenlesen und das beste Gedächtnis nicht mehr. Dann werden sämtliche Farben weggespült, der Bildschirm verwandelt sich innerhalb weniger Sekunden wieder zu einer weißen Leinwand und es heißt nur noch: Orientierungspunkt suchen, blind vorantasten und hoffen, dass Rae Nanis Spur irgendwo wieder aufnehmen kann…


Fazit

“Beyond Eyes” ist ein Spiel ohne viel Worte, das mit kindlicher Unschuld die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft erzählt. (Und mich dabei im Zeichenstil und Erzählweise immer wieder an Kinderbuch erinnerte.) Dabei muss der Spieler ausnahmsweise mal keine schweren Rätsel lösen, an keinen engen Hängen entlangbalancieren und sieht auch sonst keinen großen Gefahren entgegen, die die ängstliche Rae einfach immer in großen Bögen umgeht. Das kann auf Dauer etwas langweilig werden – an einigen Stellen hätte ich mir sicherlich mehr Möglichkeiten der Interaktion gewünscht. Es kann jedoch auch unglaublich entspannend sein, wenn ich einmal nicht ständig von Zeit- und Leistungsdruck genervt werde. Und Stress habe ich im Alltag sowieso, warum dem also nicht auch mal entfliehen.


Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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