Journey: Musikalisches Versuchsprotokoll

Wissenschaftliche Untersuchungen führen nicht immer gleich zum gewünschten Ziel. Manchmal stellen sich erste Ansätze als Sackgasse heraus – und das auch erst nach einiger Zeit. Ich muss gestehen, ich bin mit meiner Untersuchung zum Einsatz der Musik in “Journey”  in eben einer solchen Sackgasse gelandet. Damit aber nicht alles umsonst war, werde ich meine bisherigen Ergebnisse in drei Versuchen vorstellen. Und vielleicht findet sich mit der entsprechenden Anregung doch noch ein Weg aus der Sackgasse.

Protokoll

Versuch 1: Von Urmelodien und musikalischer Sprache

  • Das Problem der Sprache
  • Von Urmelodien und dem Ursprung der Sprache
  • Journey: Rückkehr zu den Ursprüngen
  • Sprache einer alten Zivilisation

Versuch 2: Das Gesamtkunstwerk  Musikalische Spurensuche

  • Erste vorbereitende Gedanken
  • Von der Utopie eines Gesamtkunstwerk
  • Exkurs: Problemfall Videospielmusik
  • “Journey” als Gesamtkunstwerk?
  • Musikalische Spurensuche
  • Musikalische Spurensuchen (Technische Hintergründe)

Versuch 3: Musikalische Erinnerung


Unser vermummter Reisender ist mittlerweile an der letzten und kältesten Hürde seiner Reise angelangt: Eisiger Schnee umweht seinen Mantel. Zitternd vor Kälte kämpft er sich weiter in Richtung Berggipfel, kommt durch den tobenden Schneesturm aber nur zögerlich voran. Die Sicht ist versperrt; der lange Schal, der zuvor noch so fröhlich im Wind der Abendsonne getanzt hat, ist längst steif und brüchig geworden ist. Mit der letzten leuchtenden Magie, die mit der Kälte aus dem Schal gewichen ist, sind auch die harmonischen Klänge der Musik verschwunden. An deren Stelle zittern jetzt nur noch die Streicher mit dem Avatar um die Wette, werden mit jedem neuen Schneegetöse immer chaotischer – bis unser Reisender vor Erschöpfung in den Schnee fällt und auch die Streicher endlich ihre Ruhe finden. Dann herrscht völlige Stille.

Konstantin hat in seinem Beitrag bereits gezeigt, dass es nicht unbedingt Worte braucht, um eine Geschichte zu erzählen. Selbst einfache Bilder (wie etwa im Fall der Wandmalerei)  sind in der Lage narrative Elemente und Erinnerungsmotive mit sich zu tragen und dem Spieler so einen Hintergrund über den Sinn seines Handelns zu vermitteln. Sie sind aber nicht die einzige Möglichkeit.

Denn auch wenn sich “Journey” das gesamte Spiel über wortlos zeigt, zumindest in Austin Wintorys preisgekröntem Soundtrack findet unser einsamer Reisender einen treuen und recht redefreudigen Begleiter: Die Musik führt den Spieler über ihre fernöstliche Klänge in ferne Welten, gibt die Empfindungen des Avatars wieder, wenn er sich selbst nicht über Worte ausdrücken kann – sie wird dabei sogar selbst zu einer Art “Sprache”. Sie dient dem Spieler in den scheinbar endlosen (Aber eben nur “scheinbar”. Wir wissen ja schließlich, dass in Videospielen nichts wirklich “endlos” sein kann.”) Wüstenlandschaften als Wegweiser, führt “Journey” über einen musikalischen Rahmen zusammen. Sie hat erzählerisch eine so große Funktion, dass ich beinahe geneigt bin “Journey” selbst als eine Art “Musikdrama” zu bezeichnen.

Warum denn nun “Musikdrama”?

Das große Gesammtkunstwerk, das alle Gattungen der Kunst zu umfassen hat, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewissermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunsten der Erreichung des Gesammtzweckes aller, nämlich der unbedingten, unmittelbaren Darstellung der vollendeten menschlichen Natur, – dieses große Gesammtkunstwerk erkennt er nicht als die willkürlich mögliche That des Einzelnen, sondern als das nothwendig denkbare gemeinsame Werk der Menschen der Zukunft.

Richard Wagner: Das Kunstwerk der Zukunft, 1849.

Der Gedanke kam mir eigentlich recht spontan – und unerwartet: Ich hatte ursprünglich an einem völlig anderen Ansatz gearbeitet, als mir im Zuge dieser Untersuchungen plötzlich Richard Wagners musikdramatischen Schaffen in den Kopf kam und sich mit jedem neuen Spieldurchlauf stärker ins Gedächtnis drängte.

Die Art wie sich die Musik mit dem Bildgeschehen verwebt (Auch wenn sich der Spieler eine Zeit lang in einem Bereich aufhält, scheint die Musik immer perfekt getimet zu sein). Die Art wie dieses kommentiert und mit Gefühlseindrücken erweitert, erinnerte unwillkürlich an Wagners Notizen zum “Kunstwerk der Zukunft”, dem idealen Musikdrama, in dem sich sowohl Musik, Text, als auch die dramatische Darstellung zu einem perfekt verwobenen “Gesamtkunstwerks” zusammenfügen. Mittlerweile weiß ich, dass ich mir mit meinem anfänglichen Enthusiasmus genau wie Wagner aber wohl selbst ins eigene Bein geschnitten habe.

Die Problematik meines Vorhabens

Bei der Sichtung des Materials (heißt im Konkreten: bei der Sichtung von Wagners Aufzeichnungen und Aufzeichnungen zu Wagners Aufzeichnungen – ohne die ich wohlgemerkt wahrscheinlich schon viel eher aufgegeben hätte. Denn Wagners Gedankengängen kann man nicht lange folgen, ohne nicht selbst ein wenig größenwahnsinnig zu werden) kristallisierte sich bald immer mehr heraus, dass meine anfängliche “geniale” Idee wohl an einem großen Problem scheitern würde. Und das war nicht die offensichtliche Tatsache, dass es sich bei “Journey” und Wagners Musikdramen wie dem “Ring des Nibelungen” um zwei völlig unterschiedliche Arten von “Kunstwerken” handelte, unterschiedliche Medien, unterschiedliche Arten von Aufbau und Nutzungsweisen. Diese Unterschiede ließen sich mit einer reflektierten Betrachtung gegebenenfalls sogar nutzbar machen. Das viel größere Problem war, dass sich Wagner selbst über seine eigenen Vorstellungen vom “Gesamtkunstwerk” nicht im Klaren war, seine Meinung im Laufe der Zeit immer wieder revidiert hat – und bald vor einer Vielzahl an weiteren Problemen stand, wie etwa:

  • … der Vielzahl an Begrifflichkeiten, die heute selbstverständlich im Zusammenhang mit Wagners Werken genannt werden, Wagner selbst so aber nie verwendet, mitunter sogar abgelehnt hat. Den Begriff des “Musikdramas” hat Wagner z.B immer umgangen.
  • … der Vielzahl an Schriften, in denen sich seine Gedanken und Vorstellungen permanent veränderten – teilweise widersprachen.
  • … die wirren Gedankengänge.  (Bsp. bezeichnete Richard Strauss Wagners “Oper und Drama” als das “Buch aller Bücher über Musik”, gestand aber im gleichen Zug auch ein, dass sich Wagners Gedanken oft nur schwer folgen lässt.)
  • … die missverständlichen Formulierungen, die  im Laufe der Zeit zu immer mehr Missverständnissen führten. (siehe Punkt 1)
  • … die Idealvorstellungen, die er in seinen Schriften ausführt und die meist nichts als reine Utopien, Wunschvorstellungen waren und in der Realität auch nicht von Wagner umgesetzt und erst recht nicht auf Dauer bewahrt werden konnten.

Derzeitiges Vorhaben

Nachdem ich mich also durch zahlreiche Aufzeichnungen gekämpft habe, musste ich mir schlussendlich eben doch eingestehen, dass ich an meinem Gesamtvorhaben wohl etwas gescheitert bin – was nicht bedeutet, dass ich jetzt alles verwerfen werden. Im Gegenteil: Ich nutze einfach die Gelegenheit, um euch in drei Versuchen verschiedene Ansätze vorzustellen, auf welche Weise ich “Journeys” musikalische Gestaltung mithilfe von Wagners musiktheoretischen Aufzeichnungen untersuchen “hätte können”. Auf die Weise lässt sich nicht nur gleich mal wieder eine neue Beitragsform austesten, vielleicht komme ich mit eurem Feedback – wenn auch nicht zu dem ursprünglichen Ziel dann vielleicht zu einem anderen. Das wichtigste in der Wissenschaft ist eben doch konstruktive Kritik. Und besser als mich im stillen Kämmerlein über die verschwendete Zeit zu ärgern ist es alle Male.


Journey Beiträge:

Journey: Ein Arbeitsdokument

Konstantin – Kulturelles Gedächtnis:

Journey: Eine Reise ohne Worte I Ägypten? Hier geht es doch um “Journey”

Thilo – Exkurs (“Flower”):

Das Spiel aus dem Kunstmuseum

Caecilia – Musikalisches Versuchsprotokoll:

Versuch 1 I Versuch 2 I Versuch 3

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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