Jedes Jahr für zwei Tage

Das ist schon eine irre Sache: Der Global Game Jam. Auf der ganzen Welt setzen sich Spielentwickler für zwei Tage zusammen und denken sich zu einem abstrusen Thema ein Spiel aus. Klar, das sind keine Milliarden-Level-Spiele, es braucht keine Tausend Spielstunden für den Abschluss. Die Grafik ist auch nicht HD (aber überraschend gut). Das Beste sind die vielseitigen Ideen, die tatsächlich funktionieren. Auch in Leipzig haben sich elf Teams getroffen und sich Spiele zum diesjähringen Jam-Thema Ritual ausgedacht. Nach den ersten 24 Stunden durfte ich mir die vorläufigen Ergebnisse ansehen.

Der verlorene Sohn

Die Story ist kurz erklärt: Der Spieler hat seinen Sohn durch ein seltsames Portal verloren. Jetzt muss er Rituale ausführen, um in verschiedenen Welten nach seinem Sohn zu suchen. Um eigene Portale öffnen zu können, muss der Spieler rituelle Gesten ausführen. Deswegen sucht er in jeder Welt Zettel, die das Symbol zeigen, das er dann nachzeichnen muss. Es scheint ein sehr entspanntes Spiel zu sein, denn bisher ist noch kein Widerstand eingeplant, es besteht aber die Überlegung eines Multiplayers, bei dem noch nicht ganz klar ist, ob der kooperativ oder kompetiv ist. Zur Halbzeit stand erstmal die grobe Mechanik: In der Ego-Perspektive wandert der Spieler durch eine hügelige Landschaft auf der schon einige Zettel zufällig verteilt sind, die aber noch nicht die richtigen Symbole zeigen.


Tod den Fischmenschen!

Der Titel ist eigentlich auch das Ziel des Spiels: die Invasion der Fischmenschen aufhalten. Dafür muss der Spieler durch verschiedene Tore, die er nur mit Hilfe von Elementzauberritualen öffnen kann. Also zieht er los, um Monster zu töten, die ihm diese Magie verleihen können. Es ist ein simple Idee, die aber schon seit Jahren viel Spaß macht. Vielleicht soll die Optik deswegen pixelig und schwarz-weiß sein. Zur Halbzeit scheint die Spielmechanik zu funktionieren, nur die optischen Effekte funktionieren noch nicht so gut. Irgendwie scheinen die Texturen in den Ebenen zu verrutschen, und es möchte doch niemand seinen Charakter unter der Erde sehen.


In memoriam, Prof. Snape

Inspiration für dieses Spiel war der undurchsichtige Zaubertrankmeister aus dieser bekannten Buchreihe über einen jugendlichen Zauberschüler. Die simple Aufgabe ist folgende: Nach Anleitung deines Lehrers soll der Spieler Zutaten in den Zauberkessel werfen. Natürlich will er selbst der Beste sein und versucht deswegen die anderen Spieler zu behindern, mit Schubsen, Stehlen, Frostzaubern und vielem mehr – das alles ohne vom Lehrer erwischt zu werden. Bis zur Halbzeit ist noch nicht deutlich, wie spaßig das ist. Das Design scheint vielversprechend, doch mehr als die Steuerung und das Aufnehmen von Zutaten ist noch nicht möglich.


Herz, Herz, Niere, Herz

So stellt sich wohl jeder ein Ritual vor: das Ziegenopfer. Durch ein Loch im Boden droht ein Tentakelmonster/gott hervorzukriechen. Zur Besänftigung muss der Spieler (als absurder Fischmensch) in der richtigen Reihenfolge Ziegenorgane in das Loch schmeißen. Dafür schubst er Ziegen in eine Kreissäge und muss gleichzeitig dafür sorgen, dass die Ziegen nicht aus Versehen in das Loch stolpern. Alles ist schon im Ansatz, aber noch sehr rudimentär. Aber die Idee wirkt schon so bescheuert, dass das Spiel bestimmt spaßig wird.


Der atlantische Zauberspruch

Ausgangspunkt für das Spiel von eastforge waren Mythen um Atlantis, vor allem der, nach dem die Menschen von Atlantis mit Metaphysik ein Dimensionstor öffnen konnten. Der Spieler läuft nun durch Atlantis und muss den neunstelligen Code für die neun Schaltkonsolen finden. Nach den ersten 25 Stunden können sie sich in der Egoperspektive durch das Areal bewegen und die Schaltkonsolen ansteuern. Der Hintergrund sieht schon sehr eindrucksvoll aus, aber das Spielareal ist noch sehr leer. Das sieht schon sehr eindrucksvoll aus und die ständige Spiegelung der Zahl 9 wirkt sehr motiviert, hat allerdings auch etwas von Standard-Fantasy.


Wer dient Gott am besten?

Es ist beinahe wie unsere Welt, nur eben stark vereinfacht: Drei Völkern sammeln Ressourcen, um ein Ritual zu Ehren ihres Gottes durchzuführen. Das Problem ist nur – sie hassen sich alle gegenseitig und wollen sich am liebsten auslöschen. Der Spieler ist Gott und möchte das natürlich verhindern (je mehr Anbetende, desto besser). Mit Zaubersprüchen sorgt er dafür, dass sich die Völker nicht begegnen. Nach einem Tag stehen die Karte und die Mechanik, nur die Ressourcen und die Menschen fehlen noch, aber Gott hat dafür sieben Tage gebraucht. Auf jeden Fall klingt das nach einem spannenden Konzept.


Alles kreist…

Jetzt wird es etwas simpel: Auf dem Bildschirm steht das Wort Ritual, jeder Buchstabe in einem Kreis. Der Plan ist, dass die Kreise sich bewegen und die Buchstaben langsam verblassen. Der Spieler muss dann das Wort wieder zusammensetzen. Wie genau das dann aussieht ist noch nicht ganz klar, denn zur Halbzeit war noch nicht viel fertig. Die Frage ist, ob es den Grad zwischen zu schwer oder zu einfach halten kann.


Shomen ni Rei

Karatekämpfer kennen dieses Ritual: Es heißt Karate beginnt und endet mit Respekt, oder auf japanisch „Rei“. Das Spiel wird deswegen mit der Verbeugung gestartet und beendet. Danach wird es ein bisschen beat ´em up. Der Spieler läuft auf der Straße entlang und muss andere Karatekämpfer besiegen, um Punkte zu sammeln. Die Grafik sieht simpel ist, aber dieser Minimalismus hat schon Wirkung. Es soll aber noch ein wenig Abwechslung rein, also manche Gürtelfarben sollen geworfen werden und anderen muss der Spieler ausweichen. Primär scheint es für das Smartphone gedacht zu sein und bringt wohl alle Qualitäten mit, dass man einfach nicht aufhört zu spielen.


Fangen im Dunkeln

Von Anfang war klar, dass es eine Art Fangespiel im Multiplayer werden soll. Doch das hat dem Team noch nicht als Ritual gereicht, deswegen muss die Spielergruppe der Sucher Items sammeln, um ein Ritual durchführen zu können. Doch der Fänger versucht sie zu erwischen, wenn ihm das gelingt, verliert der Spieler alle seine gesammelten Items. Die Suchergruppe gewinnt, wenn sie vor Ende der Nacht alles gefunden haben, andernfalls siegt der Fänger. (Meine Idee, dass das Ritual nur bei Nacht durchgeführt werden kann, wurde mit Begeisterung aufgenommen). Optisch wirkt das schon sehr gut, denn die Map ist eigentlich ganz schwarz, nur das nächste Stück vorm Spieler wird von der Taschenlampe erleuchtet. Das grobe Gerüst steht also schon, nur die Items sind noch nicht verteilt – ein Musiker sitzt noch am Soundtrack. Bisher sieht das nach einer sehr gelungenen Adaption eines simplen Kinderspiels zu einem asynchronen Multiplayer aus, wie es gerade eben Mode ist.


Veraltete Rituale

Vermutlich ist es das außergewöhnlichste Team in Leipzig, aus ganz verschiedenen Gründen. Zum einen nehmen sie nur inoffiziell Teil, zum anderen durchbrechen sie die Alterspyramide, denn das Team besteht aus einem Jungen und seinem Opa. Die beiden haben sich selbst eine besondere Challenge gestellt: nur außergewöhnliche Geräte zu benutzen. Sie haben keinen Computer mit Bildschirm und Tastatur, ihr Computer ist eine Steckplatte, daran schließen sie ein altes Wählscheibentelefon an und eine kleine LED-Anzeige an. Das Ziel ist es mit dem Ritual des Telefonscheibendrehens die richtige Zahl zu finden. Das ist zwar nur wenig cleverer als ein einarmiger Bandit oder das Wie-viele-Gummibärchen-sind-in-dem-Glas, aber auch genau den gleichen Reiz. Auf alle Fälle gebührt den beiden Respekt für diese außergewöhnliche Idee, die bis auf Feinheiten auch schon fertig gestellt war.


Zauberrituale im Labyrinth

Das größte Team in Leipzig – immerhin elf Mitglieder – hat sich auch die größte Aufgabe gestellt. Ihr Spiel wird über den Browser gestartet, dann muss ein Touchgerät verbunden werden, um das Ganze zu steuern. Der Spieler muss in der Egoperspektive durch ein Labyrinth finden und Monster bekämpfen. Indem er rituelle Gesten ausführt, kann er die Elemente heraufbeschwören. Dabei ist es wichtig, jedes Monster mit dem richtigen Element zu bekämpfen. Eine Besonderheit des Spiels ist, dass es immer nur vorwärts geht, ein Rückweg ist nicht möglich (in erster Linie, weil das die Speicherkapazität des Browsers überfordern würde). Sowohl die Steuerung, als auch die Mechanik war zur Halbzeit schon fertig, aber noch nicht verbunden. Leider wirkt die Aktion etwas unmotiviert, denn niemand hat sich hier die Mühe gemacht, sich eine Ambition für den Gang durch das Labyrinth oder eine Erklärung für die Unmöglichkeit des Rückweges ausgedacht. Im Zentrum stand die spannende – und für zwei Tage Entwicklungszeit doch etwas gewagte Idee – , ein Spiel zu entwickeln, dass auf zwei Bildschirmen läuft.


Rituale sind Wiederholung

Den meisten Jammern ist eine gewisse Routine anzumerken, hier ist niemand orientierungslos. Nach nur einem Tag und der Hälfte der vorgegebenen Zeit sind die Grundzüge bereits alle zu erkennen. Die Spielmechanik steht und auch einen Arbeitsteilung ist sofort klar, einer ist für die Mechanik zuständig, ein anderer für das Design und dann wird alles zusammengefügt. Zwischendurch wird immer mal rumgeschaut. Einer programmiert die Avatare und ein anderer die Items. Trotz Konzentration herrscht eine entspannte Stimmung, es ist eben doch Spaß.

Die Teilnehmer des Jams sind zwar vollkommen unterschiedlich, dennoch gibt es zahlreiche Überschneidungen. Da sind zum Beispiel die genutzten Programm: Viele Teilnehmer nutzen natürlich Unity oder Unreal zur Programmierung – aus ganz nachvollziehbaren Gründen. Wenn man diese Programme beherrscht, geht es relativ schnell, etwas zu basteln, was auch gut aussieht. Natürlich gibt es auch einzelne Ausnahmen (für Smartphones gibt es praktischere Sprachen, ein Telefon braucht keine Grafikausgaben und manche wollen lieber die alte Sprachen wie BASIC ausreizen).

Einige thematische Überschneidungen waren dann aber doch etwas verwirrend. Ein kurze Auflistung: dreimal Portale, dreimal Items sammeln, zweimal Gesten zeichnen, zweimal Elemente beschwören und, unglaublich, zweimal Fischmenschen und irgendwie besitzt doch alles so ein Fantasy-/Mystery-Setting. Natürlich müssen die Ideen für so einen Jam simpel gehalten werden, um zu schaffen, was man sich so vorgenommen hat und natürlich hat das Thema das Ganze auch ein wenig herausgefordert. Dennoch hätte ich mich gefreut, wenn die Teilnehmer vielleicht noch einmal mehr über das nachgedacht hätten, um etwas mehr zu überraschen. Oder sich einer der zahlreichen Challenges vornehmen. Wäre das nicht eine Idee gewesen: Der Spieler muss Alltagsrituale ausführen, sowas wie Zähneputzen, Kaffeekochen anziehen. Mit jedem Level werden die Hindernisse größer und die Zeit knapper. Aber das muss man auch erstmal in 48 Stunden umsetzen. Auf jeden Fall sehen die meisten Spiele nach viel Spaß aus und vielleicht zeichnet sich hier auch der ein oder andere Dauerrenner ab.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

2 Kommentare:

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