Auf verschlungenen Pfaden Teil 2: Die Hyperromane des Italo Calvino

Die letzten Jahre im Leben Italo Calvino waren der literarischen Zukunft gewidmet. Das zeigt sich vor allem in zahlreichen Experimente, die über die surrealen Handlungen hinaus gehen. In den 60ern besuchte Calvino die Treffen der Künstlergruppe Oulipo, die seine literarischen Experimente zusätzlich befeuerte. Gerade diese Werke, obwohl sie gerade in ihrer Erscheinungsform fast konservativ bleiben, passen zu diesem Blog:

Die unsichtbaren Städte (1972)

In Anlehnung an die Berichte Von Marco Polo erfindet Calvino in “Die unsichtbaren Städte” einen fiktiven Dialog des Reisenden mit Kublai Khan. Dieses Gespräch bildet die Rahmenhandlung für 55 Prosaminiaturen, in denen fantastische und unmögliche Städte beschrieben werden.

“In Eudoxia, das sich nach oben und nach unten erstreckt, mit verwinkelten Gassen, Treppen, toten Enden und Elendshütten, wird ein Wandteppich aufbewahrt, auf dem man die wahre Form der Stadt betrachten kann. Auf den ersten Blick scheint nicht weniger an Eudoxia zu erinner als die Zeichnung auf diesem Teppich, eine Abfolge von symmetrischen Moticen, die sich an Geraden und Kurven entlang wiederholen, durchwoben von Fäden in glänzenden Farben in glänzenden Farben, deren wechselnde Bahnen du über das ganze Gewebe verfolgen kannst.”

Auf diese phantastische und symbolhafte Weise erzählt Calvino so etwas über das Wesen der Stadt (war er doch selbst ein leidenschaftliche Stadtmensch) und gleichzeitig auch über die Welt an sich. Die Form jedoch widersetzt sich jeglicher Einordnung und suggeriert, dass dieser Text keine feste Reihenfolge hat. Allerdings widersetzt sich in diesem Sinn jede Sammlung von Prosaminituren und Poesie einer festen Reihenfolge. Außerdem findet sich in der Anordnung auch eine Entwicklung, eine Art Abstieg zur Hölle widersprechen würde. So oder so regt Calvino Gedanken an.

Das Schloss, darin sich Schicksale kreuzen (1973)

Diese Geschichten-Geschichte kann als ein Experiment über Bilder und Erzählung gelesen werden. Aus der Faszination für das Tarot, hat Calvino für dessen Bedeutungsvielfalt Geschichten entwickelt. Er hat sämtliche Karten ausgelegt und anhand der Abfolgen und Kreuzungen Geschichten erzählt.

“Bei dem trüben Licht zeigen die Karten eine Nachtlandschaft, die Pokale heben sich asl Urnen, Särge, Gräber zwischen den Brennesseln ab, die Schwerter schlagen metallen wie Spaten oder Schaufeln an bleierne Deckel, die Goldmünzen flimmern wie Irrlichter.”

Gerade die mögliche Unerschöpflichkeit, an der Calvino fast zu Grunde gegangen wäre, fasziniert hier. Es lässt sich auch als eine Einladung oder Inspiration an andere Autoren, wie 1994 an Milorad Pavic, der das Motiv der Tarotkarten sogar noch weitergetrieben hatte, wie zur logischen Konsequenz: bei ihm konnte der Leser die Reihenfolge des Romans mit dem Ziehen von Tarotkarten bestimmt. Aber Calvino ging es mehr um die Bildlichkeit dieser Karten, in der sich zahlreiche Symbole und Erzählungen verbunden sind. Diese Bildlichkeit könnte im digitalen, multimedialen Zeitalter bei der Aufmachung mehr Raum bekommen.

Wenn ein Reisender in einer Winternacht (1979)

Ein Roman der Wiederholung, den doppelten Boden immer wegziehend. Calvino erzählt von Dir, dem Lesenden, der immer wieder auf die falsche Fährte geführt wird. Auf der Suche nach dem richtigen Roman fängt der Leser immer wieder ein Buch an, bricht jedoch an der spannendsten Stelle ab.

“Der Roman beginnt auf einem Bahnhof, eine Lokomotive faucht, Kolbendampf zischt über den Anfang des Kapitels, Rauch verhüllt einen Teil des ersten Absatzes. Die Buchseiten sind beschlagen wie die Fenster eines alten Zuges, der Rauch legt sich auf die Sätze. Es ist ein regnerischer Abend; der Mann betritt das Café, knöpft sich den feuchten Mantel auf, eine Wolke von Dampf umhüllt ihn; ein Pfiff ertönt über die Gleise, die vom Regen glänzen, so weit das Auge reicht.”

Es ist ein Metaroman, über das Lesen und eine Persiflage der damaligen Literaturstile. Gleichzeitig ist es aber auch eine Absage an den linearen Roman, der immer aus Anfang, Mitte und Ende bestehen soll, bestärkt durch die ständige Wiederholung. Nur dass es am Ende doch ein Ende hat, verwirrt. Vielleicht könnte sich der Verleger auch mehr trauen: Wenn Calvino von einem Fehldruck erzählt, könnte wirklich doppelte Seiten eingefügt werden. Auch mit den Fiktionsebenen könnte man mehr spielen und die erfundenen Romane graphisch noch hervorheben.

Was bleibt also nach 30 Jahren von Calvino? Zumindest ein Kanon unterhaltsamer und tiefgehender Literatur, einige Ideen für die Zukunft und vielleicht die Aufforderung an Verleger und Künstler mit dem Werk dieses Autoren noch etwas zu spielen.

Thilo
Latest posts by Thilo (see all)

Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

3 Kommentare:

  1. Pingback:Auf verschlungenen Pfaden Teil 1: Ein Porträt des Autoren Italo Calvino | schraeglesen

  2. Danke für die Vorstellung Calvinos, der oft zu kurz kommt hierzulande. Und schön, dass ihr auch Pavic erwähnt, der mit seinen Romanen Außerordentliches für die Hypterliteratur geleistet hat, auch wenn sie wohl nie wirklich populär werden, wie das ganze “Genre.”
    Trotzdem gibt es auch aktuell noch solche Versuche, ich denke da gerade an Francis Nenik und seinen Roman “XO”, der in der 2012 erschien und sehr breit besprochen wurde. Das ist ein Buch in Loseblatt-Form, das man nicht nur schräg, sondern sogar durcheinander lesen kann (und wohl auch soll). Es ist nicht nur gedruckt worden (in einer sehr schönen, bibliophilen Ausgabe), sondern auch digital frei erhältlich, weil der Autor offenbar eine Vorliebe für freie Lizenzen hat. Vielleicht wäre das Buch mal was für euren Blog.
    Hier schon mal der Link zum Text:
    http://www.the-quandary-novelists.com/xo/

    • Ich verstehe auch gar nicht, warum ich bei meiner Recherche so wenig deutschsprachiges Referenzmaterial gefunden habe, höchsten ältere Buchbesprechungen, dabei sagt Calvinos Werk doch so viel über die Literatur selbst.
      Der Nenik steht bereits auf der Liste, die 850 Seiten Sprachgewalt müssen nur noch gebändigt werden. Vielen Dank für den Hinweis!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Thilo Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert