Das richtige Buch zu verschenken ist äußerst schwierig. Jeder hat einen ganz anderen Geschmack, für die einen soll es aufregend sein, für die anderen historisch, tiefgründig und was es nicht noch alles gibt. Dazu kommt noch, dass jedes Jahr so viele spannende und Bücher erscheinen, sodass die Auswahl immer schwerer wird. Für mich war dieses Buch jedoch eines der eindrucksvollsten in diesem Jahr, obwohl man es ganz normal liest: „Winters Garten“ von Valerie Fritsch. Es ist eine poetische Erzählung, die zwischen Gegenwartsbeschreibung und Dystopie steht. Für mich war es eines der besten Leseerlebnisse in diesem Jahr.
Worum geht es?
Anton Winter ist in einer Gartenkolonie aufgewachsen, abgetrennt von der naheliegenden Stadt. Hier steht alles im Einklang zur Natur. Ein kompletter Gegensatz zu seinem urbanen Nachbarn. Doch etwas scheint mit der Welt selbst nicht in Ordnung zu sein: Auch diese Gartenkolonie scheint langsam zu sterben. Jahre später hat es Anton Winter in die große Stadt gezogen, doch es keine Stadt, wie wir sie uns vorstellen würden. Die Menschen wandern umher, haben alles verloren und warten nur noch auf das Ende, das sich hier ganz schleichend nähert. Mitten in dieser Trostlosigkeit, findet Anton jedoch überraschend die Liebe, deren Annäherung so merkwürdig irreal wirkt in dieser entmenschlichten Stadt. Kurz bevor das Ende da ist, ziehen beide zurück in die verlassene Gartenkolonie und versuchen im Angesicht der brennenden Stadt sich eine neue, familiäre Idylle aufzubauen.
“Es war eine heilige Kinderzeit in diesem Garten und in desem großen, todesvernarrten Haus, in dem Anton Winter so sehr zu Hause war und nichts anderes lernte, als ein großer Mensch zu werden und am Ende so klein zu sein, wie alle anderen und keine Angst davor zu haben.”
Worum geht es wirklich?
In erster Linie ums Werden und Vergehen, also den natürlichen Kreislauf des Lebens. Immer wieder ist der Tod mit dem Leben verbunden. Diese Natur scheint jedoch gestört zu sein, immer wieder überschattet der Tod das Leben. Auch darum geht es, um unser gestörtes Verhältnis zu unserer Umwelt, die uns selbst langsam auffrisst, weil wir sie nicht mehr verstehen. Irgendetwas wichtiges scheint abhanden gekommen zu sein. Die Stadt hat alles überlagert: das verschnellerte Leben und die Isolation hat den Menschen etwas genommen: sie wissen nicht mehr wer oder was sie sind. Sie streifen genau so durch die Stadt, wie die ausgebrochenen Zootiere.
“Während Anton Winter in den Nächten von dem Garten seiner Kindheit und dem Tod seiner Großeltern träumte, war der Schalf aller anderen voll von wirren Träumen, aus denen die Welt, die man kannte, zusehend verschwand. Es schien, als fräßen die Träume auf, was man je gesehen hatte, als zersetzte sich die Welt im Traum und wurde fremd, wie sie auch am Tag den Menschen von einer bekannten zu einer unbekannten geworden war.”
Warum ist das gut und für wen?
Es ist vor allem die Sprache. Der Autorin ist anzumerken, dass sie als Photographin arbeitet, denn ihre Sprache ist so bildhaft, und doch beschreibt sie eine Welt, die niemals mit Bildern dargestellt werden könnte. Es ist ein sprachlicher Rausch, der wegen dem Überbordenden und Bildhaften oft mit Romantikern und Surrealisten verglichen wird. Natürlich fordert diese Sprache, die immer nur kreist und das eine oder andere Bild ist auch mal zu flach oder zu viel. Doch Valerie Fritsch schafft eine Stimmung der Verunsicherung, das nahende Ende ist die ganze Zeit präsent und spürbar, jedoch ohne schreckliche Ereignisse, es passiert einfach. Freunde der kunstvollen Sprache lässt es noch Tage später nachdenklich zurück.
Valerie Fritsch: Winters Garten, Suhrkamp, 155 Seiten, 16,95€
Hinweis zum Kauf: Da der Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, ist er in fast jedem Buchladen zu bekommen oder schnell bestellt.
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