6.124. „Na sag schon!“ Sechstausendeinhundertvierundzwanzig Seiten. So viel will, soll, darf, möchte ich lesen, damit ich auch gehaltvoll mitdiskutieren kann (als ob gehaltvolle und informierte Diskussionen erwünscht wären, aber egal). Wie immer bin ich noch ziemlich uninformiert, also mache ich es, wie alle anderen auch: und schaue nur mal so ganz oberflächlich.
Zahlenspiele
Sechs Autorinnen und 14 Autoren, das wird überall sehr explizit geschrieben, aber über das 1:2-Verhältnis regt sich hier niemand auf, wie noch im Frühjahr, ist ja auch abgeschmackt. Sieben Titel aus dem Frühjahr, zwölf aus dem Herbst, einer sogar aus dem letzten Herbst. Die Jury spricht von einem guten Jahrgang – aber das sagen sie auch jedes Jahr! Die Verlagsaufteilung scheint mir in diesem Jahr etwas unausgewogen: fast die Hälfte der Nominierungen kommen aus drei großen Verlagshäusern, Fischer stellt allein sogar ein ganzes Viertel. Dennoch haben es die kleinen Verlage wieder geschafft: Lenos, Jung und Jung, die Frankfurter Verlagsanstalt. Schon seit Jahren zeigt sich, dass auch die Kleinen große Literatur machen. Allerdings war die Auswahl vergangenes Jahr in Verlagshinsicht vielfältiger. Aber das spricht vielleicht weniger gegen die Auswahl, sondern eher gegen die Aussage eines guten Jahres. Doch mit Matthes und Seitz, sowie Jung und Jung sind ja auch wieder Verlage auf der Liste, die schon Preisträger gestellt haben.
Schon wieder die…
Genauso sind viele Autoren Wiedergänger: Kirchhoff, Lewitscharoff, Meyerhoff, Lange-Müller, von Steinaecker, Stamm, Stadler, Händler, Melle. Sie alle waren schon mal auf der Liste. Aber natürlich haben es auch junge Autoren geschafft, auch Debütanten sind zu finden, sogar welche mit Chancen. Aber natürlich geht auch das Geschrei wieder los, wer denn nicht alles fehle. Ich zähle mal auf: Mosebach, Kracht, Genazino, Ruge, Vespers, Stockmann… Müßig, obwohl ich mir letzteren auch gewünscht hätte, weil er einfach nicht stur von oben nach unten schreibt, sondern etwas spielt.
Einige Beobachtungen
Natürlich ist die Frage groß, nach inhaltlichen Zusammenhalten, nach thematischen Beobachtungen. Glücklicherweise ist es diesmal nicht ganz so historisch, kein großer Kopetzky, kein wiederholter Wenderoman, nur Falkner geht etwas in diese Richtung. Natürlich kommt das Thema Flucht zum Tragen: Doma erzählt von der Flucht, Lange-Müller von desorientierten Helfern und auch Steinbeck erzählt vom Reisen. Es geht auch um Tod und Krankheit, wie bei Melle, der aus seiner Depression berichtet, Platzgumer erzählt von der Auseinandersetzung mit dem Tod. Es gibt auch phantastische Elemente, wie von Steinaecker die Postapokalypse erzählt oder Lewitscharoff Danteforscher entrücken lässt. Viele der Romanfiguren dieser Liste setzen sich mit ihrem Leben einfach auseinander, graben sich hinein oder begeben sich auf Abstand, wie Kirchhoff oder Kaiser-Mühlecker. Kumpfmüller und Kubiczek fragen nach der Liebe. Weidenholzer und Leupold schicken ihre Figuren auf Reisen, die sie letztlich zu sich selbst führen sollen. Und auch Meyerhoff erzählt die Geschichte seines Joachims weiter. Es ist also auffällig, dass die meisten Erzählungen um Einzelfiguren kreisen, keine großen Panoramen aufmachen. Das Politische bleibt hier im Kleinen, wobei hier noch einmal „Hool“ von Winkler erwähnt sei, der aus dem Rand der Gesellschaft erzählt, wie der immer preisverdächtige, Leipziger Autor Meyer.
Insgesamt hat bei mir diese Liste nichts besonderes ausgelöst. Vielleicht weil es viele bekannte Namen sind (insofern hatten es der vorurteilsbeladene Mosebach, oder der immer gleiche Genazino auch gar nicht nötig). Über den Sound dieser Liste vermag ich an dieser Stelle noch nichts zu sagen. Ich werde mich durchlesen ( – querlesen – schraeglesen – ) und von jedem zugeklapptem Buchdeckel berichten und dann noch mal ein Fazit vermelden. Also Sechstausendeinhundertvierundzwanzig Seiten. 6.124, 6.124, 6.123…
P.S.: Schöne Gedanken habe ich hier und hier gefunden.
P.P.S.: Und noch eine Idee zu dieser Longlist: Vielleicht haben sich die Juroren diesmal nicht um irgendwelche Rahmen gekümmert. “Ach wir haben schon zweimal Fischer? Oh, ist jetzt gar nichts von Hanser drauf? Haben wir den Wenderoman vergessen?” Nur eine Vermutung, wäre aber eine schöne Herangehensweise. “Hier gilt’s der Kunst!” … oder dem Markt?
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