Schon wieder Herbst, schon wieder Buchpreis: In diesem Jahr gibt es viele Frauen, viele Debüt und natürlich wichtige Themen. Lara und ich haben uns zwei vielversprechende Titel rausgesucht und gelesen.
Was waren das für Wochen und Monate! Mir wird mal wieder klar, was “Zeit ist relativ” bedeutet: Hat der Buchpreis so wie der Nobelpreis für ein Jahr ausgesetzt? Denn ich fühle mich, als hätte ich seit zwei Jahren nicht mehr geschlafen. Andererseits, wenn ich so auf den Output schaue, könnte ich meinen, dass nur drei Monate vergangen sind, denn viel geschafft habe ich wohl kaum.
Am Anfang dieser Podcastfolge habe ich versprochen, dass ich mal einen Text darüber schreibe, was eigentlich so los ist. Ich wollte über eine Hochzeit schreiben, die neue Namen entstehen ließ. Und darüber, wie Vollzeitarbeit einen so aussaugt, dass man kaum noch Elan für so einen Blog hat. Bleiben wir eben vorerst bei der Literatur.
Ein kurzer Überblick zum Buchpreis
6747 Seiten dick ist die Longlist, sofern ich mich nicht verzählt habe. (Hat es jemand komplett durchgeschafft? Bestimmt gab es jemanden, der etwas mehr Zeit hatte als ich.) Das Klingt viel, aber eigentlich gibt es keine großen Ausreißer: Als wirklich breiter Wälzer gilt allenfalls Osangs Roman “Das Leben der Elena Silber” mit etwas über 600 Seiten (Wälzer fangen für mich erst jenseits der 700 Seiten an). Nur zwei Titel blieben unter den 200 und müssen sich fragen lassen, ob es nicht doch Novellen sind. Alle anderen bleiben mit um die 300-400 Seiten im guten Mittelmaß und lassen sich gut verkaufen.
Schauen wir aber einmal auf die Verteilung der Bücher: Viele haben sich schon darüber gefreut, dass Ausnahmsweise mehr Frauen als Männer nominiert waren, auf der Shortlist hält es sich auch immer noch drei zu drei. An meinen flüchtigen Eindruck gemessen, auch alle sehr verdient und nicht nur für eine angenommene Quote. Es wurde Zeit! Insofern ist das Verhältnis der Debütanten überraschender: immerhin acht von 20 und drei von sechs auf der Shortlist. Dafür haben sich die kleinen Verlage nicht durchsetzen können. Nur fünf Titel stammen aus kleinen Verlagen, wobei man sich schon fragen muss, ob Matthes & Seitz und Wallstein noch als klein gelten (und ob die vier Titel aus dem Hause Hanser als unabhängig gelten).
Thematisch ist es eine gute und relevante Mischung, die sich durchaus an den Fragen der Zeit abarbeitet: Wie leben wir zusammen, was passiert mit unserer Gesellschaft oder schwelte das schon immer in uns. Dabei gibt es natürlich klassische Themen wie der Familienroman, politische und personelle Studien, sowie die Wende. Als Trend der vergangenen Jahre würde ich außerdem noch die 60er und 70er Jahre ausmachen, in diesem Jahr gleich in zwei Titeln die hauptsächliche erzählte Zeit. Sprachlich blieb das meiste handwerklich sauber, aber wenig mutig. Es scheinen alles gut erzählte Geschichten zu sein, aber oft auch nicht mehr.
Im Internet gefeiert
Unser erster Titel war schon vor seiner Veröffentlichung in aller Munde. Ich war damals komplett irritiert, weil ich nicht verstanden habe, woher das kam. Es geht um Kitsungi von Miku Sophie Kühmel, die auf Blogs schon auf die Leseliste gesetzt wurde und auf Instagram zahlreich gezeigt wurde. Vor allem Lara hat das neugierig gemacht und so haben wir nach diesem Buch gegriffen.
Im Nachhinein kann ich es auch gut verstehen, denn das Buch hat vieles, was im Internet bei jungen Lesern begehrt wird: Eine leichte Faszination für das Japanische, Mittzwanziger, die ihren Platz in der Welt hinterfragen und ein Plädoyer für neue Formen des Zusammenlebens. Glücklicherweise steckt hinter dem Hype, trotz einiger Abzüge, mehr – wie die Nominierung für den deutschen Buchpreis beweist.
Miku Sophie Kühmel: Kitsungi, S. Fischer, 304 Seiten
Unvereinbare Themen
Ich habe in der letzten Woche vier Bücher gleichzeitig gelesen, aber mein letztes Fußballspiel haben ich vielleicht vor vier Jahren gesehen. Dennoch war ich sehr interressiert an dem Roman “Nicht wie ihr” von Tonio Schachinger, weil mich die Mechanismen hinter dem Sport spannender finde als den Sport selber und lieber auf die Tabelle schaue, als das eigentliche Spiel.
Und Schachinger enttäuscht nicht. Er blickt hinter die Kulissen, ohne reißerisch an bekannte Fußballbiographien anzuknüpfen (soweit ich das beurteilen kann). Es geht um Sein und Schein, um Auftrumpfen und Druck im professionellen Fußball. Aber vor allem geht es um Identität und wie man sie auf einer solchen Bühne bewahren kann.
Tonio Schachinger: Nicht wie ihr, Kremayr und Scheriau, 304 Seiten.
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