Elementar-Gedichte

Der Buchmesse-Frühling ist endgültig da und der Countdown zur Leipziger Buchmesse tickt. Die Jury hat heute Vormittag die Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse bekannt gegeben.

Die Preisverleihung des Preises der Leipziger Buchmesse 2016 (Foto: Thilo Körting)

Als die Nachricht kam, stand ich gerade im Sendestudio bei mephisto 97.6 und sollte mit meinem Kopf ganz woanders sein. Dennoch habe ich gefiebert, dass mir die Liste endlich gebracht werden würde – die Liste mit den Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse. Und nur eine halbe Stunde später habe ich zusammen mit dem Kollegen versucht, mir einen Überblick zu verschaffen über diese Liste (ich bin ja leider noch schlecht informiert über diesen Bücherfrühling, aber das soll jetzt der Startschuss sein.)

Jetzt ist es fast schon ein Brauch, etwas Allgemeines zur Liste zu sagen – ich will hier mal vor allem bei der Belletristik bleiben, man kann ja nicht alles wissen. Laut Aussage der Jury, war die Auswahl wohl nicht ganz leicht (aber das ist ja jedes Jahr die Standard-Ansage). Im Vordergrund stand vor allem der Versuch, möglichst vielfältig zu sein . Und auch wenn ich mir immer noch einen starken Theatertext wünschen würde – insbesondere nachdem im vergangenen Jahr zwei so herausragende Dramatiker nominiert wurden –  ist es der Jury gelungen, sehr unterschiedliche Bücher hier auf die Liste zu bringen:

  • Der Schweizer Lukas Bärfuss ist mit seinem Band “Hagard” auf der Liste, der nicht zum ersten Mal für einen Buchpreis nominiert ist. Allerdings konnte ich mit “Koala” nichts anfangen, ich kann mich mehr an die Abneigung erinnern, denn an die Gründe, warum. Ich glaube, es war mir erzählerisch einfach zu sehr verquast. Doch dieser Titel beschreibt eine spannende Situation, nämlich wie ein Mann, einfach aus einer Laune heraus beginnt, eine Frau zu verfolgen. Eine seltsame und mitreißende Erzählung – so klingt es zumindest.
  • Als Nächste steht da eine Büchnerpreisträgerin: Brigitte Kronauer. Für viele ein Highlight der Liste, für den MDR passt es nicht so ganz. Ein Band der etwas verzweigter erzählt, der Figuren Legenden erfinden lässt, damit sie ihren Verlust vergessen (oder verarbeiten).
  • Fast schon wie eine Tradition wird ein Lyriker nominiert, mit einem etwas absurden Band: Steffen Popp schreibt “118” Gedichte über die 118 Elemente des Periodensystems und zeigt sich vor allem als Wortakrobat. Vielleicht ein Zeichen, dass diese Tradition etwas mehr gesetzt ist, nachdem Wagner und Poschmann doch noch sehr beschreibend waren.
  • Anne Weber lässt in ihrem Roman “Kirio” ihren Erzähler suchen. Das trifft natürlich das Herz meines Verstandes, der immer frohlockt und META! schreit. Dabei wohnt auch diesem Text etwas mythisches und legendhaftes inne, so klingt es zumindest beim Verlag.
  • Und zu guter Letzt kommt noch ein Band, der nach Gedicht, Metafiktion, Binnenerzählungen und Roman mit Sog noch eine neue Note hereinbringt: Natascha Wodin nähert sich in ihrer biographischen Erzählung, oder der literarischen Biographie “Sie kam aus Mariupol” dem Leben ihrer Mutter an, die sowohl unter Stalin als auch unter Hitler leiden musste. Eine Mischung aus Recherche und Literatur, wie schon 2014 “Vielleicht Esther”.

Gibt es ein Thema, dass sie alle verbindet? Das macht so einen Überblick ja immer besonders elegant. Bei Deutschlandradio hörte ich, es gänge um das Existentielle. Und da haben sie nicht ganz unrecht: Es geht um die Stoffe, die die Welt bilden. Es geht um die Berechtigung einer Figur, die ihren Erzähler sucht. Es geht um Angst, Trauer und Tod. (Das setzt sich übrigens auch in den Sachbüchern, beispielsweise mit einer Biographie zu Siegfried Kracauer, fort.) Allerdings geht es in guter Literatur doch immer um das Existentielle. Vielleicht geht es auch um das heimatliche, gerade in den Sachbüchern tauchen Themen wie Europa und das Abendland auf. Auch bei der Belletristik geht es um die Fragen wo gehöre ich hin. Was mir viel mehr ins Auge fällt, ist der Begriff der bei der Beschreibung der so unterschiedlichen Titel gleich zweimal fällt: Legenden. Für mich ist das das Thema: “Kirio” als Schelmenroman und moderne Heiligenlegende, die Fabulierer von Kronauer, die Legenden um die großen Diktaturen des 20 Jahrhunderts. (Das Thema zieht sich ebenfalls in den Sachbüchern fort, wo es zum Beispiel auch um Wolken geht; allerdings ist hier das Legendhafte die Triebfeder).

Wie immer sucht man natürlich auch nach der Kritik bei so einer Liste – gab es eine falsche Wahl, fehlt jemand. Doch viel zu meckern gibt es wohl nicht. Einzig Deutschlandradio Kultur bemängelt, die Titel seien zu neu. Doch das klingt für mich nach einem dürftigen Versuch der Kritik. Schließlich nominiert Leipzig immer mehr Frühjahr als den vergangenen Herbst, vermutlich haben die Frankfurter schon alle guten Titel abgegrast und die damals so schmerzlich vermissten Autoren Genazino und Mosebach waren vielleicht doch nicht so überzeugend. Die Liste scheint gelungen, mit vielseiten und gewagten Titel, einem ausgeglichenem Geschlechterverhältnis (wer darauf achten möchte). Zwar springt mir nicht sofort ein Titel ins Auge, wie Stanisics “Vor dem Fest” oder Stockmanns “Der Fuchs”, aber ich freue mich schon auf die Lektüre.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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