Die Japanische Videospielforschung ist ein “Sonderling”. Aber wie sah das eigentlich auf der “Replaying Japan 2016” aus? Meine Eindrücke der diesjährigen Japanischen Videospielkonferenz habe ich im zweiten Teil des Konferenzberichts festgehalten.
Vier Personen mit bunten Regencapes in einem abgedunkelten Raum inmitten von unaufhörlichen Piepen. Das ist jetzt nicht der Anfang eines schlechten Witzes, sondern Eindrücke vom Pac-Man Live Experience im Rahmen der “Replaying Japan”. Am Abend des 2. Konferenztages konnten die Teilnehmer nämlich selbst einmal in die Rolle der ‘gelben Pizzascheibe’ treten und auf Punktejagd gehen. Wie das funktionieren soll? Nacheinander wurden jeweils zwei Spieler in besagten Raum gebeten. Dort wurde uns eine Tasche in Form eines Pac-Man umgehangen, in die wir nun Tennisbälle einsammeln sollten. Das Labyrinth war mit Tischen aufgestellt, die Geister waren die flatterenden Regencapes. Und im Gleichtakt mit dem monotonen Piepen sollten wir nun Schritt für Schritt auf Punktejagd gehen…
Replaying Japan 4.0: Die Erben Pac-Mans
Das Pac-Man-Spiel war aber nicht zufällig gewählt: Die vierte “Replaying Japan”-Konferenz stand schließlich ganz im Zeichen der gefräßigen Kugel und ermöglichte dabei genau das, was der japanischen Videospielforschung oft fehlt: Eine Plattform für einen direkten Austausch. (Vielen Dank dabei an Martin Roth und Martin Picard! Die beiden Initiatoren der Leipziger “jGames Initiative” haben sich in diesem Jahr für die Organisation verantwortlich gezeigt.) Vom 15. bis 17. August kamen dann Wissenschaftler aus aller Welt in Leipzig zusammen, um am Ostasiatischen Inistut der Universität in verschiedenen Paper-, Keynote- und Postersessions über JRPGs, Videospielmusik, Geschichte, Übersetzungsprobleme – und vor allem Pac-Man zu diskutieren.
Der Fokus machte sich besonders in der ersten Paper-Session “Pac-Man Theory” bemerkbar, in der sich – der Titel legt es wohl schon nahe – die drei Vortragenden dem Kultklassiker aus den unterschiedlichsten Perspektiven näherten. James Newman der Bath Spa University jagte in seinem Paper Kill Screens, Reverse Flicks and Safe Spaces: Mastering and Breaking Pac-Man im Rekordtempo durch die Ergebnisse der Pac-Man Forschung. Jaakko Suominen der University of Turku gab mit Early reception of Pac-Man in Finland dagegen Einblicke in Pac-Mans ersten Jahre in Finnland – und hatte dabei mit den üblichen Problemen der Videospielforschung zu kämpfen: Die Quellenlage, die gerade für die 80er besonders dürftig ist. Zum Schluss der Session wurde es dann in Paul Martins (University of Nottingham / Ningbo China) Paper Consumption in the afterlife of Pac-Man nochmal etwas skurriler. Wer sich schon mal mit einer der beiden Pac-Man TV-Shows auseinandergesetzt hat/auseinander setzen musste weiß sicherlich auch wieso. Ansonsten könnt ihr euch ja jetzt noch die Intros zu Gemüte ziehen oder euch über die Inhaltszusammenfassung auf Wikipedia freuen. Viel Spaß!
Pac-Man (Fernsehserie 1982/83)
Eines der Highlights war dabei ohne Zweifel der Besuch des Meisters “himself”: Pac-Man Erfinder Tōru Iwatani. Er verriet in der ersten Keynote der “Replaying Japan”-Konferenz das Erfolgsrezept seines Schützlings und gab dabei sogar Einblicke in erste Labyrinth-Notizen oder Skizzen zum Verhalten der einzelnen Geister. (Aus Copyright-Gründen durften die natürlich nicht fotografiert werden.) Wusstet ihr beispielsweise, dass jeder einzelne Geist einem bestimmten Schema folgt, damit sie Pac-Man nicht einfach alle hintereinander folgen? Der rote Geist (“Blinky” oder “Shadow”) folgt Pac-Man beispielsweise immer direkt, während sich “Pinky” (der rosa Geist) an Pac-Man’s aktueller Richtung orientiert und das Ziel bereits zu kalkulieren versucht. Solltet ihr euch damit noch tiefgehender beschäftigen wollen, findet ihr auch eine ausführliche Analyse auf gameinternals.com.
Mehr als nur Pac-Man
Pac-Man war damit zwar durchaus das Zentrum der Konferenz – keinesfalls aber das einzige Thema. Mit den zahlreichen hochkarätigen Beiträgen hat die “Replaying Japan”-Konferenz in Leipzig zeigen können, dass die japanische Videospielkultur eine ganze Bandbreite an Diskussionsthemen zu bieten hat: Sei es von der japanischen Videospielgeschichte, über JRPGs und die Diskussion ob sich die Japanischen Rollenspiele als eigenes Genre bezeichnen dürfen, die Entwicklerkultur (in die der freie Journalist John Szczepaniak zum Abschluss der Konferenz interessante und zugleich erschreckende Einblicke gegeben hatte), Indie-Spiele, Videospielmusik und nicht zuletzt meine geliebte Serious Games – um nur einige Beispiele zu nennen.
Eines meiner Lieblingsthemen: Das Thema Kulturtransfer und Übersetzung japanischer Videospiele, dem sich unter anderem Minako O’Hagan (Dublin City University) in ihrer Keynote Beyond All Your Base Are Belong To Us: The art of turning 花鳥風月 into Painkiller or Osaka dialect into Welsh accent am zweiten Konferenztag widmete. In ihrer Präsentation setzte sie sich mit Übersetzungsproblemen auseinander, die gerade zwischen japanischen Videospielen und deren internationalen Versionen extreme Unterschiede (nahzu Kluften) entstehen lässt. Dabei warf sie auch die Frage auf, ob Videospiele denn einen anderen Standard an die Qualität der Übersetzung setzen würde – da beispielsweise das was in der Literatur als “schlecht” betrachtet wird (die schließlich möglichst nah am Original bleiben will) im Videospiel gerade richtig erscheint.
Spoileralarm!!! (Sicher ist sicher.)
Ein Beispiel: Das Ende von „Final Fantasy X“. In der Endsequenz verabschiedet sich Heldin Yuna von Protagonist Tidus im Japanischen mit einem „Arigatou“. In der englischen Version geht ihr aber stattdessen ein „I love you“ über die Lippen. Die Sequenz hatte mich bereits selbst beim Spielen irritiert – vor allem da sich die deutsche Untertitelung nach dem japanischen Original und nicht nach der englischer Synchronisation richtet. Und wenn man das nicht weiß, kann es schon etwas verwirrend sein, wenn plötzlich ein „I love you“ scheinbar mit „Danke“ übersetzt wird. Übrigens spielte ein Teil ihres Keynote-Titels auf das gleiche Spiel an. 花鳥風月 ist in “Final Fantasy X” nämlich eine der stärksten Waffen und bedeutet so viel wie “beauty of nature”. Der Titel war aber im Englischen zu lang und wurde deswegen mit “Painkiller” übersetzt – weil das Schwert, naja, schnell tötet und es deswegen seinen Gegnern schnell den Schmerz nimmt. Hm.
Sonderling und Technikprobleme?
Die japanische Videospielforschung ist eine Nischenforschung, ein Sonderling. Davon habe ich aber zumindest während der “Replaying Japan”-Konferenz selbst nicht mehr viel gemerkt. Zwischen lauter “gleichgesinnten” Videospielforschern erscheint die Videospielkonferenz – trotz exotischen Forschungsgebiet – auf einmal wie jede andere Konferenz und man merkt eben schnell, dass die japanische Videospielkultur eben nicht nur “Super Mario” und “Pac-Man” besteht (auch wenn beides während der Konferenz zu Ansprache kam). Es wird sich ausgetauscht, Ideen und Feedback gesammelt und Visitenkarten getauscht – jetzt heißt es nur noch den Kontakt halten, denn der Austausch ist das Wichtigste und der nächste Besuch der “Replaying Japan” wird eher schwierig. Die soll 2017 dann in den USA stattfinden. Dafür reicht mein Budget wohl nicht.
Zum Abschluss bleibt nur zu sagen, dass sich der Technik-Fluch auch durch den Rest der Konferenz gezogen hat. Denn der Beamer hatte nicht nur einfach einen Wackelkontakt, weswegen einige Präsentationen einen schönen Grünstich bekamen. Auch ich hatte während meiner Präsentation immer wieder (mehr oder weniger selbstverschuldet) mit der Technik zu kämpfen. Und so schließt sich dann wieder der Kreis. So wie es angefangen hat, geht es eben wieder weiter. Und hört auf. In dem Sinne: Ein Hoch auf den Beamer.
Anmerkung: Ich habe jetzt übrigens erfahren, dass die Technik im Neuen Rathaus immer wieder mal defekt ist. Von wegen “das ist das erste Mal passiert”. Diese Schweinehunde.
Sollte das jetzt zu kurz, zu schnell, zu konfus gewesen sein. Ein paar Kollegen haben sich auch an ihre (ausführlicheren) Berichte gewagt. Da könnt ihr auch noch mehr über die “Replaying Japan 2016” erfahren. Ansonsten könnt ihr auch noch einen Blick auf vergangene Konferenzen wagen.
Links zu weiteren Konferenzberichten:
- philosophi.ca (sehr detailliert)
- j-junk.de
- jeremiepgagnon.wordpress.com (über Iwatanis Keynote)
- Vorhang auf für die Themenreihe “Theater!” - September 24, 2020
- Festgeräusche - Oktober 29, 2018
- Forschungstagebuch: Definitionsspaß - Oktober 24, 2018
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