Texte des Schweigens

Seit Jahren wollte Levin Westermann seiner Faszination für Marina Zwetajewa ausdruckt verleihen, doch seit Jahren haben ihm die Worte gefehlt. Doch dann hat seine Worte um die Worte der russischen Dichterin gelegt. So ist ein Gedichtzyklus entstanden, der gleichzeitig Biographie und Reflektion ist.


Zwei Männer suchen sich ihren Weg durch einen Wald, außer einem Reh scheinen hier keine Tiere zu sein. Sie scheinen etwas gefunden zu haben. Sie sprengen ein Loch in den Boden und begeben sich unter die Erde. Es wird düsterer und einsamer. Schließlich erreichen sie ihr Ziel: Einen See in der Mitte die Statue des Anagrammatikers. Doch nur einer von beiden wird sie erreichen.

Vom Verschwinden

Die Gedichte im Band „3511 Zwetajewa“ von Levin Westermann sind melancholisch. Über allem scheint der Tod zu schweben und eine Art Verdrossenheit durchzieht die Geschichte über Tschechow, Achill und Marina Zwetajewa.

Neben dem Titel gebenden Zyklus enthält der Band zwei weitere Zyklen und eine kurze, surreale Erzählung. Zunächst begleitet Westermann den russischen Autoren Tschechow auf eine Reise. Der Anfang lässt den Tod bereits erahnen, wenngleich der erste Satz die Jahre lang reifende Keimzelle dieses Projektes war.

die röntgenbilder ließen keinen zweifel zu.

Es klingt als würde der Arzt hier seinen eigenen Tod vorraussehen und sich auf diesen Weg vorbereiten. So werden die Bilder immer absurder, bis der Leser schließlich einen Ort erreicht, der mit der Wirklichkeit spielt.

und die zeit ist ein quadrat auf grauem grund.

dämmerung, der wind zieht an. Tschechow geht voran

und sucht nach einer route durch den schnee.

Es sind dichte Texte, in denen Westermann diese Reise erzählt. Oft reiht er nur Phrasen und Wörter aneinander. Dadurch bekommen die Miniaturen Tempo, doch der gute Rhythmus verhindert, dass die Texte dadurch gehetzt klingen. Im Gegenteil bleibt die Stimmung eher ruhig und getragen. Der drohende Tod macht Druck und lässt die Zeit in einem anderen Licht erscheinen. So finden sich neben den klar umrissenen Bildern der Reise auch wunderbare Metaphern der Zeit: „und die zeit ist eine box aus schwarzem holz“, heißt es an einer Stelle (nicht Black Box, wie ich im Interview behaupte, so plump muss es nicht sein). Ein Zyklus der nachdenklich mach und Visionen entstehen lässt.

Der Sport des Tötens

Auch der folgende Zyklus scheint der Zeit enthoben zu sein. Dem Leser begegnen zwei große Figuren der Antike Achilles und Kassandra. Doch sie scheinen trostlos bis ins heute überlebt zu haben, als würde der Krieg nie aufhören. Achill rast todesmüde mit dem Auto durch die Nacht oder geht in die Schlacht. Er hat Ärger mit Kassandra, weil es kein Ende findet und mit Agamemnon, weil er in der Pressekonferenz seine Gegner nicht genug ehrt. Es entsteht eine seltsame Stimmung des Krieges als Sport.

Doch Kassandra weiß auch, dass das nciht stimmt. Er wird sich nicht ändern, sah sie ihn doch letzt Nacht im Traum: ein Gott des Gemetzels mit Klingen aus Stahl, um ihn tausend Leichen, das Wasser eines Flusses rot vor Blut. Und Achilles?  Er weiß, dass sie es weiß – wie immer.

Jedem Gedicht ist ein Zitat der Autorin Simone Weil vorangestellt, die sich mit der Gewalt in der Illias auseinander gesetzt hat. Er reibt sich an den Texten Weils, doch gleichzeitig treibt Westermann die Gedanken weiter auf die Spitze. Er erschafft hier absurde Situationen, die etwas abgestumpftes haben und zeigen, wie aktuell die Figuren bleiben können.

Auf den Spuren von Zwetajewa

Das Kern- und Glanzstück dieses Bandes bleibt jedoch die Annäherung an die Autorin Marina Zwetajewa, die auch immer deutlich eine Annährung bleibt. Der Zyklus ist eine Reaktion, eine Biographie und der Versuch diesen Menschen zu Verstehen. Marina Zwetajewa war ebenfalls Dichterin in der Zeit der Oktoberrevolution. Kurz nach dem Krieg ging sie ins Exil, doch nachdem ihre Familie wieder in Russland lebte, ging auch sie zurück.

Diese Texte besitzen viele Ebenen: Da wandert oder spaziert ein Mann (ist es vielleicht der Autor) und denkt über Marina Zwetajewa nach. Dann gibt es Betrachtungen der Autorin, Mutmaßungen über ihren Gemütszustand, anhand von Blicken auf Fotos oder ihren Texten. Doch an vielen Stellen ist der Text einfach biographisch (mit Bildern), erzählt die Geschichte von Marina Zwetajewa als eine Geschichte von Leiden und Einsamkeit.

Dazwischen finden sich immer wieder Zitate aus den Briefen der russischen Autorin. Doch sie stehen nicht gesondert als Vorsatz, sie sind Teil der Texte und stechen aus ihm heraus. Westermann hat diese Stellen in blau drucken lassen und verleiht Zwetajewas Worten anderes Gewicht. Sie scheinen wie Gravitation zu sein, um die sich die anderen Worte wie Sterne sammeln. Auf den ersten Blick fallen sie aus dem Text heraus, doch beim Lesen wird deutlich, dass sie das Zentrum sind. Die Anteilnahme des Autors an dem Menschen wird deutlich.

Fazit: Dicht und klar

Am besten sind Westermann Gedichte dort, wo sie auch am verdichtetsten sind. Jedes Wort in diesem Buch hat seine Berechtigung und der Autor beweist, wie wenige es von ihnen braucht, um Bilder entstehen zu lassen. Die Lektüre dieses Buches versetzt den Leser nicht in gute Laune, sondern eine viel tiefgreifendere, angenehm nachdenkliche Stimmung.

Levin Westermann: 3511 Zwetajewa, Matthes und Seitz, 91 Seiten, 18€

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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