Super-Techno-Optimismus á la Silicon Valley trifft auf pessimistischen Pragmatismus europäisch-akademischer Prägung. Das ist der Konflikt, dem sich der titelgebende Kraft in Jonas Lüschers Roman stellen muss. Im Gespräch plädiert der Autor für eine weniger mathematische Welt und die Fähigkeit zum Optimismus.
Einsam, in die Stille geworfen sitzt Rhetorik-Professor Richard Kraft im Turmzimmer. Doch es ist nicht der Elfenbeinturm der Wissenschaft, den der Tübinger gewohnt ist. Es ist die Nadelspitze des Silicon Valley: Über seine Schulte blickt Donald Rumsfeld im Hoover Tower in der Stanford University. Richard Kraft hat von einem alten Studienkollegen eine Einladung für eine Art gedanklichen Wettstreit zugespielt bekommen. Jetzt soll Kraft eine Abhandlung darüber schreiben, “Warum alles, was ist, gut ist und warum wir es dennoch verbessern können.” Doch er verzweifelt daran, er sitzt in diesem Zimmer und bekommt nichts zu Stande. Er denkt an sein Studium, an seine gescheiterte Ehe, die mit Hilfe des Preisgeldes von einer Million Euro beendet werden soll und imaginiert sich in das beschauliche Tübingen zurück. Er versucht einfach zu Schreiben, was der Auftraggeber Tobias Erkner wohl hören will, ein pragmatischer Plan für den Sieg. Aber selbst das überzeugt ihn nicht.
Überzeugend, vermutlich wegen eigener Erfahrung lässt Lüscher zwei Welten auf einander prallen. Er selbst wollte eigentlich eine Doktorarbeit darüber schreiben, dass wir eine Welt der Narration statt der Zahlen brauchen. Seiner eigenen These folgend hat er angefangen zu erzählen, statt sachlich zu philosophieren. Irgendwann hatte er dann auch selbst das Silicon Valley besucht und diese Stimmung der Stanford University eingefangen. Es ist diese Spannung, die Lüscher genau einfängt, die die Stärke des Romans aufmachen. Dieses Gegeneinander von der sogenannten Neuen und Alten Welt, wobei beide Seiten ihre Schwächen zeigen. Professor Kraft wird nicht zum Sympathieträger, dazu ist er zu verzweifelt, zu abgehoben, ja – tatsächlich zu pessimistisch. Aber auch die Player des Silicon Valley mit ihrem widersprüchlichem Technooptimismus haben etwas verschreckendes. Nach dem Motto, alles in Maßen, scheinen sie jede Grenze zu übersteigen, wenn sie Gemüse künstlich herstellen möchten. Allerdings passiert sonst nicht viel mehr im Roman. Es ist eine bedächtige, gut erzählte Geschichte – auch wenn die Momente, in denen sich ein Wir-Erzähler einschaltet, wie ein Fremdkörper wirkt. Lüscher erzählt tiefsinnig von den Neuen Geistesströmungen , die (bei einem philosophischen Autoren wenig überraschend) an Streitereien von Leibniz und Voltaire erinnern.
Jonas Lüscher: Kraft. C.H.Beck, 237 Seiten, 19,95€
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