Das Spiel aus dem Kunstmuseum

Ich habe lange überlegt, den Beitrag anders zu betiteln, so etwas wie “Der Traum einer Blume”, oder “Das entspannendste Spiel”. Ich bin mir sicher, dass jeder dieser Titel Aufmerksamkeit geweckt hätte – schließlich steckt “Flower” voller faszinierender Aspekte. Der Fakt mit dem Museum lässt aber sicher jedem erstaunte Augen machen und zeigt wohl am besten, dass thatgamecompany bereits vor “Journey” hat eines der bemerkenswertesten Videospiele überhaupt entwickelt hat. Obwohl ich ja eigentlich ein großer Freund der gepflegten Kritik bin, wird das hier fast ein Loblied.

Foto: thatgamecompany

Wir Stadtkinder haben doch alle dieselben Träume: die freie ungetrübte Natur. Sich durch das Gras  wälzen, den Wind auf der Haut spüren, all diese Farben mit den Augen aufnehmen. Der andere ist, die Welt zu retten – natürlich. Ein Traum, ein Bedürfnis, das von vielen Videospielen erfüllt wird, bei denen man unter viel Anspannung durch eine virtuelle Welt sprintet, um zahllose Gegner zu bekämpfen. Was für ein unnötiger Stress, wenn ihr mich fragt. Die Welt retten muss doch nicht immer anstrengend sein, so frustrierend. Glücklicherweise träumen Blumen da anders, zumindest in dem Videospiel “Flower”. Einsam, verlassen und entfremdet stehen hier die Blumen mit hängenden Köpfen im Fensterrahmen und schauen melancholisch auf die Straßen der Großstadt mit ihrem Abgasnebel und den rauschenden Lichtern. Nur ihre Träume geben ihnen Kraft und ähneln damit denen der Menschen.

Ich bin ein Blütenblatt!

“Flower” gibt mir die Möglichkeit in diesen Traum einzutauchen, mich von allem Stress zu lösen. Im ersten Gedanken fand ich die Spielidee schon etwas absurd. Wer ist denn auch jemals in den Traum einer Blume eingetaucht und dort zum Blütenblatt geworden? (eigentlich zum Wind, aber ich habe mich irgendwie immer mit dem Blütenblatt identifiziert). Ich habe zwar schon mehrfach gegen riesige Pflanzen gekämpft sei es nun in Arkham Asylum oder zur Rettung von Eden (einem anderen äußerst kunstvollen Spiel). Doch die Gedanken mit einer einsamen Fensterbretttopfblume zu teilen scheint dann schon etwas – seltsam…

… und zugleich traumhaft schön! Und das muss stimmen, ich bin wahrlich nicht der erste, der das feststellt. Es war ein geradzu befreiendes Gefühl, “Flower” das erste Mal zu spielen. Die Steuerung ist so simpel, dass ich einfach nur den Controller hin und herkippen musste und mich stattdessen auf dieses Gefühl einlassen konnte, das Gefühl teilte ein Blütenblatt im Wind zu sein:

Ich, ja ich rausche durch die Wiese und bringe andere Blüten dazu sich zu öffnen und mein Schweif wird immer bunter und länger. Ich wiege mich im Wind, ich tanze.

Huuiii! Huuuuuuiiiiii!

Pure Entspannung – und eine Ökobotschaft

Für alle Träume/Level habe ich etwa eine Woche gebraucht – was etwas absurd ist, wenn man bedenkt, dass “Flower” eigentlich in einer Stunde durchgespielt werden kann. Aber so habe ich nicht gespielt. Wenn ich mit einem Level fertig war, dann habe ich das System ausgestellt. Es war so schön, ich wollte es mir aufteilen, so wie man es früher seinen Süßigkeiten gemacht hat. Ich wollte den Genuss verlängern, wollte mich am nächsten Abend wieder hinsetzen und mich entspannen. Denn das “Flower” im Grunde: pure Entspannung.

Da ist nicht dieser Stress den andere Videospiel, trotz ihrer spannende Stories, mit sich bringen. An denen ich auch gerne mal verzweifle, weil ich nicht immer das nötige Geschick – oder erst die Geduld – besitze. Gleichzeitig ist diese Art der Entspannung auch nicht die eines tumben Simulatoren, denn eigentlich habe nur eine Aufgabe: Ich befreie die Natur aus ihrem Schlaf, ich vernichte diese wuchernden Strommasten. Guter Strom kommt aus erneuerbaren Energien! Ehrlich gesagt, ist mir “Flower” da auch etwas zu pathetisch, in seiner Weise wie ich dafür Sorge trage, dass sich die Windräder drehen, dass durch das Zerstören der Strommasten die Stadt wieder hübsch wird. Aber geschenkt, immerhin bekommt so auch der letzte das Gefühl, wie gut sich Natur anfühlt und darüber vergisst, dass sein Rechner vermutlich nicht von Ökostrom angetrieben wird.

Und was bleibt ist auch dieses Gefühl. Ich habe es geschafft, und es war gar nicht anstrengend. Ich komme bei diesem Spiel zur Ruhe und kann es immer wieder spielen. Die Musik tut da ihr Übriges. Die Komposition von Vincent Diamante ist beruhigend, aber es ist der gesamte Sound der “Flower” so harmonisch macht: Immer wenn ich eine Blume zum öffnen bringe, gibt sie einen bestimmten Ton von sich, ich werde fast selbst zur Musik.

Flower
Genre: Entspannungsspiel? Meditation?
Developer: thatgamecompany
Publisher: Sony Computer Entertainment
Release: 2009
Plattformen: PlayStation 3, PlayStation 4,
PlayStation Vita

Und alle rufen: Kunst!

Für mich ist dieses Spiel ein Paradebeispiel, ein moderner Klassiker. Einmal sollte ich einen Beitrag von der gamescom für “Kultur heute” beim Deutschlandfunk schreiben, selbstverständlich ging es da um Hochkultur. Und auch hier wollte ich wieder von “Flower” schwärmen. Mein Totschlagargument dabei: “Flower” ist seit 2013 ein Museumsstück. Das Smithsonian American Arts Museum hat es in seine Sammlung aufgenommen. Da ist es dann egal ob andere Videospiele es vielleicht auch verdient hätten. Viel wichtiger ist das Zeichen, dass das Smithsonian damit setzt und vor allem, dass “Flower” es auch auf jeden Fall verdient hat.

Dabei geht es nicht um ein besonders gut durchdachtes Storytelling, genausowenig wie um außergewöhnliches Design. Es geht um das reine Spielerlebnis. (Die Begründung des Museums war, dass “Flower” eine körperliche und virtuelle Choreographie sei.) Es geht nicht um das reine audiovisuelle Erlebnis – das man im Grunde auch in einem Let’s Play auf sich wirken lassen könnte – sondern um das Gefühl, dass sich nur beim Spielen selbst einstellt: Der Spieler tanzt in gewisser Weise mit dem Blütenblatt, folgt ihm über die Bewegung des Controllers. Er wird eben Teil der Kunst.

“Flower” ist eines der besten Spiele die ich kennen, weil es mich gleichzeitig erhebt und entspannt – so wie man es sich eben bei einer mysthischen Meditation vorstellt. Damit ist thatgamecompany schon in seinem frühen Jahren zu einem hellen Stern am Videospielhimmel geworden. Jeder wahre Freund des Videospiels, nicht diejenigen für die das nur Aggressionsersatz und Allmachtsfantasien sind, sollte dieses Spiel besitzen. Weil es einfach wunderbar hilft von einem stressigen Tag runterzukommen. Und mit dem Argument “Das ist Kunst!”, kann man dann vielleicht auch den letzten Skeptiker zum Spielen überreden.


Journey Beiträge:

Journey: Ein Arbeitsdokument

Konstantin – Kulturelles Gedächtnis:

Journey: Eine Reise ohne Worte I Ägypten? Hier geht es doch um “Journey”

Thilo – Exkurs (“Flower”):

Das Spiel aus dem Kunstmuseum

Caecilia – Musikalisches Versuchsprotokoll:

Versuch 1 I Versuch 2 I Versuch 3

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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