Seiten-Surfen auf der Buchmesse

Mit einem lachenden und weinenden Auge haben wir uns auch dieses Jahr wieder von der Leipziger Buchmesse verabschiedet. Es ist immer wie ein Drogenrausch und der Entzug hat Nebenwirkungen. Eine Zusammenfassung des Trips.

Ich verfluche mich und mein Zeitmanagement. Diese schlechte Angewohnheit, sich selbst solange zu sagen, dass noch genug Zeit sei und ein Päuschen schon in Ordnung wäre. Doch irgendwann ist die Arbeitszeit größer, als die Zeit bis zum Stichtermin (inklusive Nacht). Jedes Jahr vor der Buchmesse nehme ich mir vor, doch dieses Mal mit allem etwas früher anzufangen und jedes Jahr wird es noch knapper.

Die Zeit vor Buchmesse

Was ich damit sagen will: Ich hatte vor und während der Messe jede Menge Stress. Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe mich leichtfertig breitschlagen lassen (leichtfertig, weil ich mein Ego sich derart geschmeichelt gefühlt hat, dass es nicht viel Überredungskunst brauchte). Also saß ich Tage und Nächte, um diese Dialoge zu schreiben und im Nacken permanent die Sprecher-Schauspieler, die wissen wollten, worauf das alles hinauslaufen sollte.

Gleichzeitig habe ich an einem anderen, gleichsam großen Projekt mitgearbeitet: Dem neuen Literatur-Podcast des Internetradios detektor.fm, der pünktlich zur Buchmesse gestartet ist. Ich habe dafür viel recherchiert, telefoniert und Interviews geführt. Das ganze Material musste dann auf handliche zehn Minuten gestutzt werden und sollte dabei ganz neuartig klingen (Letzteres ist mir, fürchte ich, nur bedingt gelungen). Außerdem habe ich noch an einer Kolumne geschrieben, in der ich mich und mein Unwissen entblößt habe.

Neben diesen Projekten und der täglichen Arbeit habe ich es einfach nicht geschafft, vernünftig durch die Kataloge zu blättern und mich für die ganzen neuen Titel zu erwärmen. Alles erschien mir profan … langweilig … abgenutzt … oder einfach unpassend. Das Frühjahrsprogramm hat mir einfach nicht gefallen und ich bin mir unsicher, ob das an meiner mangelnden Wertschätzung liegt oder der Bücherfrühling genauso schwächelt, wie der kalendarische (es schneit zum Frühlingsanfang!). Das Ergebnis war ein ziemlich löchriger Terminplan zur Messe und so eine schwelende Unzufriedenheit.

Die Zeit läuft aus

Wir sind inzwischen in der Vor-Buchmessewoche. Es ist noch nichts fertig, der Druck steigt. Das Hörspiel-Skript nahm in Form von Plots endlich Gestalt an, nur die Schreibarbeit musste erledigt werden. Ich hatte im Sinne des Blogs auch endlich den inneren Schweinehund überwunden und genug liegen gebliebene Artikel abgearbeitet, um den Verlagen wieder unter die Augen treten zu können. Für den Podcast konnte ich deswegen vor der Messe schon den Autoren Matthias Senkel zu seinem nominierten Roman „Dunkle Zahlen“ interviewen und mich auf dieser Zeit mal ganz aktuell gerieren.

Doch eigentlich waren meine Pläne viel größer: Ich wollte eigentlich, wie die Jahre zuvor die Preisträger in einem Beitrag nebeneinander stellen. Aber vielleicht, weil dieses Jahr kein Sendetermin bei mephisto drohte oder weil ich inzwischen total beschäftigt bin, habe ich es nicht geschafft.

Schon ist Buchmessewoche. Das Hörspielskript ist fertig, muss aber noch geprobt werden. Die Podcast-Skripte sind fertig, müssen aber noch produziert werden. Die Pläne eines Artikels schwirren mir immer noch im Kopf, aber mir wird klar, dass ich das verwerfen muss. Stattdessen muss ich mich um die Gespräche auf der Messe kümmern, die ich festgeklopft habe.

Buchmessedonnerstag: Technische Probleme

Die Buchmesse startet. Doch ich kann noch nicht durch die Hallen rennen. Ich sitze im Pressebereich und bespreche letzte Details für das Hörspiel, das dann meiner Meinung nach und Dank der Schauspieler-Sprecher erfolgreich über die Bühne gegangen ist. Danach wirbelte ich etwas über die Messe. Ich habe versucht, die Preisverleihung zu verfolgen und verpasst im richtigen Moment den Auslöser zu drücken, um die Siegerin Esther Kinsky ins Bild zu bekommen. Und während die Nominierten für den Übersetzungspreis vorgestellt worden, ahnte ich, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte.

Danach eilte ich zum Interview mit Ralph Hammerthaler zu seinem ironischen Künstlerroman „Komplizen“. Glücklicherweise ein sehr entspannter Mensch, denn in meinem Kopf herrschte immer noch Unordnung, die Fragen gerieten durcheinander, die Technik fiel Stück für Stück aus. Ich zweifelte an meiner selbstzugeschriebenen Professionalität.

Danach war der Tag aber noch nicht vorbei: für diesen neuen Podcast wollten wir die Gelegenheit der Buchmesse nutzen und möglichst viele Töne sammeln. Also bin ich zur Lese-Großveranstaltung L3 gehetzt und habe mir Lesungen angehört und mit elf angehenden und gestandenen Dichtern über die Relevanz von Lyrik diskutiert. Also war ich halb eins nachts wieder zu Hause, musste ich noch die Interviews für den nächsten Tag vorbereiten.

Buchmessefreitag:Terminwarten

Erstmal ein fröhliches Treffen mit den Finken vom Bücherstadtkurier und gemeinschaftliches Crossaint-Abgreifen am Stand der Stiftung Buchkunst. Danach erstmal Live-Hörspiel beim mephisto. Dann in Halle Fünf für ein Gespräch mit einem Lyrik-Verlag für den Podcast (ich bin selbst gespannt, wie diese Folge wird). Um 13 Uhr hatten Cäcilia und ich ein Gesprächstermin mit dem Romancier Thomas Stangl über seinen Roman „Fremde Verwandtschaften“. Ich glaube, ich konnte etwas den belesenen Intellektuellen raushängen lassen, den ich immer vorgebe zu sein. Aber leider habe ich vergessen zu fragen, was es mit dem Bild „Der Turmbau zu Babel“, obwohl mich diese Geschichte besonders interessiert. Vielleicht schreibe ich noch einmal eine Mail.

Es folgte eine erzwungene Wartezeit, bis die Autorin Judith Keller unseren Treffpunkt gefunden hat. Dann wurden wir aufgehalten, weil Dana Grigorcea vorbeikam und die beiden Autorinnen noch ihre Abendplanung abstimmen wollten (ein lustiges Schauspiel für alle Nebenstehenden). Nachdem das geklärt war, konnte es aber noch nicht losgehen, weil wir erstmal ein lauschiges Plätzchen finden musste, aber trotz der ungewöhnlicher Situation und schwacher drei Stichpunkte auf meinem Zettel wurde es ein sehr schönes Gespräch.

Durch das Warten und das angeregte Reden habe ich dann auch den Folgetermin verpasst – unangenehm, aber glücklicherweise schon vorgewarnt. Danach haben wir uns wieder mit den Buchfinken aus Bremen zusammengefunden.

Buchmessesamstag: Rumrennen

Endlich ein Tag ohne Termin, zumindest dem Kalender nach, dafür aber mit einer Menge Plänen. Die auch gleich schwer durch den Schnee ausgebremst worden: Unsere S-Bahn fuhr nicht, weil die Weichen zugefroren waren, die Trams fuhren mit schwerer Verspätung. Im Nachhinein habe ich gehört, dass überall Autoren und Redakteure nicht zu den Terminen erschienen sind.

Ich habe es aber relativ pünktlich auf die Messe geschafft. Vom Börsenverein zu zwei Lyrikverlegern gerannt, um über den Markt zu sprechen. Dann noch zu Neuland 2.0, zu einem Self-Publish-Anbieter, einem Plattformentwickler für e-Books und der Stiftung Buchkunst, um über die Zukunftsfähigkeit dieses Mediums zu sprechen, das auf dieser Messe so gefeiert wird. Alle für eine Podcast-Folge bei detektor.fm, die noch kein richtiges Zentrum hatte. Alles etwas gehetzt. Denn an diesem Tag konnte ich nur bis 15 Uhr auf der Messe bleiben.

Messesonntag: Frühstück und Kaufrausch

Das sollte nun wirklich der Tag der Entspannung werden. Wir haben mit den Menschen vom Bücherstadtkurier, die jetzt ja mehr waren als obskure Twitter-Accounts, gefrühstückt. Also waren wir dann erst zum Mittag auf der Buchmesse und haben uns mit Lara zu treffen. Weil sie nicht wirklich viel Zeit hatten sind wir nochmal durch die Hallen gewieselt, um neue Bücher zu suchen – und zu finden. Dabei habe ich auch gleich ein paar Bücher abgestaubt. Dann war wieder Live-Hörspiel – zum letzten Mal. Am Verlagsstand von Kleine Gestalten sind Cäcilia und ich etwas ausgerastet, nachdem sie uns auch nochmal versichert hatten, dass man auch mit Karte zahlen kann.

Mit einem Umweg zum Guggolz-Verlag, wo mir Sebastian Guggolz ein paar Antworten gegeben und ein Buch gegeben hat (Danke dafür!). Zum Schluss haben wir uns noch in Halle 1 zwischen die ganzen Manga-Freaks gewagt. Aber da gibt es kaum noch Bücher, sondern nur noch Merchandise. Wir haben uns da noch anstecken lassen und haben Geschirr gekauft. („Die gehen auf die Buchmesse und kommen mit Schüsseln und Teetassen wieder!?“) Noch vor dem offiziellen Ende, verabschieden wir uns von der Messe.

Danach setzt die Entspannung ein, dieses wohlige Gefühl, endlich alles geschafft zu haben. Doch dann das Bedauern: Über den ganzen Messestress habe ich den Todestag von Laurence Sterne verpasst – der perfekte Anlass endlich mal ganz viel zum Tristram Shandy zu machen. Schon wieder eine verpasste Chance.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

6 Kommentare:

  1. Manchmal stelle ich mir vor, wie diese Buchmesse wohl aus der Perspektive der Bücher aussieht, wie sie an den Messeständen in ihren Regalen stehen, und vor ihnen hasten die Menschen vorbei, kreuz und quer durch die Hallen, und nur ab und an greift einer im Vorbeistürmen ins Regal, zieht eines von ihnen heraus und steckt es sich in die Tasche, um weiterzuhasten…
    Und dann liegt es da, dieses Buch, in der Tasche, bei den anderen Hineingestopften, und die Cover und Klappentexte schauen sich an und schütteln unmerklich ihre Köpfe, derweil im Innern die Buchstaben anfangen durcheinanderzukullern, und wären da nicht die Zeilen, es würde ein riesiges Durcheinander geben, es würde – kurzum – in den Büchern aussehen wie auf der Messe… 🙂

  2. Hach, man spürt förmlich den Stress, wenn man sich den Text durchliest 😀

    Anfangs bin ich auch mit einem anderen Blickwinkel über die Messe. War für ein Online-Magazin dort unterwegs, hatte noch keinen Blog. Und da bekam ich auch den Stress zu spüren. Habe versucht so viele Termine wie möglich zu machen.
    Inzwischen mach ich das nicht mehr. Notiere mir Signaturstunden, interessante Lesungen und versuche sie einzuhalten. Gerade am Wochenende, ist das Zeitmanagement meist für den A**** da es kaum ein Entrinnen im Menschenstrom gibt. Du musst sich seinem trägen Rhythmus anpassen 😉

    • Ich muss sagen, dass ich den Stress eigentlich sehr mag – aber dieses Jahr war es arg chaotisch. Aber sonst gehört für mich auf der Messe von einem Termin zum nächsten zu eilen, zum Rausch dazu. Auf meinem Handy gibt es immer noch eine SMS mit dem Inhalt: “Thilo, du hast ein Interview. JETZT! Da musste ich noch von Halle 2 auf die andere Seite der Glashalle. Und deswegen habe ich gelernt zwiachen meinen Terminen auf der Messe immer eine halbe Stunde Puffer zu lassen, denn die Menschenmenge ist da gnadenlos.

    • Liebe Dana, das war gar nicht so sehr als Vorwurf gemeint. 🙂 Vielleicht hat das Judith erst in die richtige Stimmung versetzt. Aber wenn Du es wieder gut machen möchtest, findet sich bestimmt mal die Gelegenheit, dass wir uns auch einmal zu einem Interview treffen, bisher hat es leider nie geklappt.

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