Warten auf den, der wahr spricht

Mit ihrem Stück „die hockenden“ hat die Debütdramatikerin Miroslava Svolikova der Regie ein großes Angebot gemacht. Sie selbst nennt es Textfläche. Die Gestalten plappern vor sich hin, wiederholen sich permanent und schaffen es so mit viel Worten, nichts zu sagen. Das Schauspiel Leipzig hat sich diesem lautstarken Schweigen versucht anzunähern.

Ich verrate – schonmal soviel: Die Gesellschaft in dem Text steckt fest. Sie wissen nicht mehr, wie sie aus der Mulde kommen und auch bei ihnen tut sich nichts mehr. Sie sitzen und reden über das Nichtstun, während sie auf eine Erlösergestalt waren, die aber auch nicht hält, was sie sich versprochen haben. Die Regie in Leipzig versetzt das an einen Ort irgendwo im nirgendwo, an dem sich die Gestalten, die keine richtigen Charaktere haben, in ihrem Warten suhlen. Der Text macht es der Regie schwer und so richtig wird die Hürde nicht genommen: Die richtige Stimmung kommt nicht auf und beim Nichtstun schweifen schonmal die Gedanken ab. Aber ich habe mich korrigiert.

Ich sehe – eine Art Gemeinderaum, in dem sich alles abspielt. Er hat gleichzeitig etwas von Altersheim mit diesen Multifunktionsstühlen und Kirche mit dem Altar in der Front. Durch Schwingtüren, die etwas von Hundeklappen haben, treten die Besucher dieses Raumes auf und ab, manchmal auch durch ein Loch im Altar. Da ist (1.) ein Alteingesessener, der einen Pollunder trägt, (2.) die hockenden, ein etwas autistisches Zwillingspaar mit zweimal roten Locken und zweimal grünem Kleid, (3.) die anderen: er im hellblauen Anzug und sie in so eine „Assi“-Block-Jogging-Look. Insgesamt ergibt sich so eine ganz absurde Mischung, die sich Ausstatterin Tine Becker ausgedacht hat. Und dann ist da noch (4.) der Besprochene, der die Erlösung bringen soll und passenderweise nur einen knappen Show-Slip trägt. Zwischendurch gibt es noch Videoeinblendungen, verzerrte Bilder und eine gruselige Puppe. Spätestens hier bekommt alles so eine groteske Stimmung, die in einer verrauchten Bühne ihren Höhepunkt findet.

Ich höre – ein seltsames Lied. Es klingt wie ein protestantisches Kirchenlied, das vom Tod handelt. Ich weiß nicht, wie authentisch dieses Lied ist. Ansonsten bleibt da der Text der preisgekrönten Autorin. Der ist stark gekürzt, aber sehr spannend gesprochen. Die Regisseurin Mirja Biel hat sich für die Stellen gute Regungen und Subtexte ausgedacht. Doch verliert der Text aber immer wieder an Bedeutung. Oft höre ich nur und nicht zu, der Text plätschert. Sie reden viel, aber haben nichts gesagt. Immer wieder schalten sie das Radio an und warten auf eine Meldung, aber vergebens. Da kommt dann endlich der erwartete Prophet, doch die Worte sind nicht mehr seine: Der Text kommt vom Band und er kann nur noch stumm seine Lippen bewegen.

Ich beobachte – eine pointierte Inszenierung. Alles ist an dem Punkt, an den es hingehört. Es ist nicht durchchoreographiert, aber jeder Einfall ist getaktet, jede Bewegung wohl bedacht. Die Blicke und kleinen Bewegungen unterstreichen die Inhaltsleere des Textes und arbeiten den Witz sehr klar heraus, teilweise kommt unnötigerweise welcher hinzu. Was die Schauspieler da leisten ist schon sehr solide, aber sie scheinen noch nicht richtig dabei zu sein, die Bewegungen wirken oberflächlich. Sie machen, was von ihnen verlangt wurde, aber es ist nicht so richtig innig und flüssig. Vielleicht gibt es zu viele Eindringlinge in der Inszenierung, denn die Gestalten reden nicht zu sich, sondern zu uns – den Zuschauern. Die Texte laufen ins Leere, doch die Blicke heften sich immer wieder ins Publikum.

Ich fühle – etwas sehr Diffuses. Da ist eine pseudo-religiöse Ergriffenheit bei diesem Lied, auch wenn der Text eine Farce ist. Doch dieses religiöse Gefühl bleibt auch bei dem Umgang mit dieser Erlösergestalt. Ständig entstehen auf der Bühne absurde Witze und erschaffen so eine lächerliche Stimmung, die nicht wirklich gebrochen wird. Der Abend hat so eine Leichtigkeit, obwohl einige Gewichte bräuchte. Doch es gibt auch unheimliche Momente, ein gewisses Unwohlsein macht sich breit, diese Videoeinblendungen haben etwas Horrormäßiges, das ich nicht richtig einordnen kann – was soll mir das sagen? Ist es das beängstigende Rituelle, das die Bühne erobert? Doch vor allem vermisse ich diese verzweifelte Stimmung, vielleicht habe ich zu viel erwartet. Doch diese Unfähigkeit zu handeln, scheint kein Problem zu sein. und wenn es kein Problem ist, braucht man auch kein Theater zu machen.

Ich denke – dass die Regisseurin hier gar nicht so sehr den Aspekt der Wiederholung und das Dörfische herausarbeiten wollte, wenngleich das mit ihrem Thema ein wenig einhergeht. Nein, es geht um die Hoffnung – auf Wahrheit, Sinn oder Erlösung (?). Eine Frage, die heute immer mehr Gewicht bekommt. Wir kennen so viele Wahrheiten, dass wir kaum noch Antworten formulieren können. Natürlich wird das nicht so klar, aber vielleicht hätte es das nur kaputt gemacht. Doch sie sitzen da und klammern sich an den Boden auf der Suche nach Ursprung und bereden ihre Endlichkeit, ihre Unfähigkeit wirkliche Kontrolle auszuüben. Sie setzen ihre Hoffnung in den Propheten. Dabei vereinnahmen Sie ihn so sehr, dass er gar nicht mehr kann. Sie machen ihn zum Jesus, mit Kelch in der Hand und einem Lendenschurz, der nur am Kreuz enden kann. Zum Schluss ein Ende im reinigenden Feuer, doch die neue Welt hat sich nicht gebessert, denn darin lag die Antwort nicht. Oder?: irgendwie geht es um das Leben selbst. Um die Frage, wo wir herkommen und wo wir hingehen. Ob der Tod immer dazu gehören muss. Dass es immer wieder dasselbe ist, also doch eine Wiederholung. Aber trotzdem auch hier die Suche und die Hoffnung auf Erlösung.

Ich sage – eine grundsolide, aber nicht begeisternde Inszenierung. Der Umgang mit dem Text war sehr lobenswert, denn er wurde wirklich mit einbezogen, es wurde wirklich mit ihm gearbeitet. Allerdings zerfasert das gesamte Endprodukt etwas. Ein Freund sagte, es sehe aus wie jede andere Inszenierung moderner Texte: Ein bisschen Chor, ein bisschen nackte Haut, ein bisschen Video usw. Und er hatte Recht. Es mangelt bei aller handwerklicher Sauberkeit etwas an Konzentration. Was soll die Stimmung sein, was die Handlung, was die Idee? Auch das bleibt weiterhin verborgen. Das spiegelt zwar den Text wider, aber ohne Hoffnung auf eine Antwort, kann man sich das auch sparen. Also ein Besuch ist keine Verschwendung, aber eine Erlösung ist auch hier nicht zu erwarten.

Ich lese – eine nicht sehr überzeugte Kritik in der Leipziger Volkszeitung. Für Karsten Kriesel war das alles zu bedeutungslos. Er lobt eindeutig die Ausstattung in ihrer Vielseitigkeit und Stimmung. Und er lobt die schauspielerische Leitung, die überzeugt mit “tapsiger Angstroutine, Redenschwällen oder stummen Spiel”. Da hat er schon recht, sie haben es sich sehr gut angeeignet, aber teilweise war es mir zu technisch. Aber der ganze Abend hat für den Rezensenten der LVZ Schwächen. Er sieht das Dilemma, “Wenn es gilt Lakonie, Stillstand und Langeweile zu Papier und auf die Bühne zu bringen.” In seinen Augen ist das nicht gelungen, der Text bietet zu wenig und die Inszenierung geht damit nicht mutig um. Im Vergleich habe ich schon harte Einschnitte gesehen, habe das Problem mit der inszenierten Langeweile und Bedeutungslosigkeit aber auch gehabt. Und: der Kollege von mephisto 97.6 beschreibt den Abend als “dystopische Skizze”. Doch die scheint ihn kalt gelassen zu haben, sodass er nicht von der Mutlosigkeit, der Lethargie und dem Konformismus gespürt hatte. Der Text war ihm zu nüchtern und hatte nichts von der Virtuosität der Landsmännin Elfriede Jelinek. Der Text sträube sich regelrecht gegen eine Inszenierung, weil eben nichts passiert und es eben nur Prosa sei. Allerdings meine ich, dass das die Inszenierung dann herausarbeiten müsste, denn der Text gewinnt erst durch den Körper seine Bedeutung. Doch auch die gefiel Julien Reimer nicht, es wurden nur die üblichen Mittel genutzt, die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hätten und die Stimmung des Textes nicht wirklich in Bilder übersetzt hätte. Er hat sich gelangweilt.

„die hockenden“ von Miroslava Svolikova am Schauspiel Leipzig in der Regie von Mirja Biel. Die bisher geplanten Aufführungen: 21. April, 29. April, 4. Mai, 20. Mai.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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