Der sachliche Buchstabe

Sobald der Autor seinen Text geschrieben, dieser dann korrigiert und redigiert wurde, ist das Buch doch eigentlich fertig? Nur noch Drucken, in die Buchhandlung und verkaufen. Ganz so einfach ist das aber nicht. Mit dem fertig geschriebenen Text fängt das Kunsthandwerk des Typografen nämlich erst an. Er macht den Text erst mit viel Feingefühl und manchmal viel Einfallsreichtum lesbar. Wir widmen dieser ehrwürdigen Kunst unser Themenspezial und starten mit einer Jobbeschreibung der Typografie.

Diese Typogeeks … ich kann sie jetzt verstehen

Beginnen wir mit etwas Anekdotischem und Popkulturellem: Ich schaue hin und wieder ganz gerne die Serie “The Middle”. Die zentrale Figur ist Brick, der jüngste Sprössling der Familie Heck, der seit klein auf mit größter Hingabe liest und sich in jeder Beziehung für Bücher begeistert. In einer Folge startet er einen Podcast (inzwischen kann das ja jeder). Seine Mutter begegnet der Idee mit Begeisterung, bis sie hört, dass es um Fonts (also Schriftarten) gehen soll. Doch immerhin hat Brick einen Fan, der auch mehr als enttäuscht ist, als er schließlich aufhört – und der Zuschauer lacht: Zwei Geeks, die sich so dringend brauchen, weil sie die einzigen sind, die sich für ihr Thema interessieren. Auch ich habe gelacht.

Mittlerweile verstehe ich sie. Denn ich habe begonnen mich mit Typografie und damit auch mit Schriftarten zu beschäftigen – und ich bin fasziniert. Diese ganzen Geschichten die dahinter stecken, welche Schrift wie entwickelt wurde und welche sich am besten liest, wieviel Kunst dahinter steckt. Deswegen könnte ich jetzt trotzdem Arial kaum von Helvetica unterscheiden, und Times New Roman liest sich für mich wie Garamond. Aber ich verstehe die Faszination, darüber nachzudenken, welche Schriften wie entstanden sind, warum sie gut sind, welche wunderbaren Eigenheiten sie haben und welche vielleicht weniger passend sind.

Ich sehe vor lauter Schriften den Text kaum

Fassen wir kurz die Geschichte der Druckschrift zusammen: Allgemein wird die Druckerpresse von Gutenberg als der Beginn der Schriftarten gesehen. (Es gab zwar bereits vorher ähnliche Ansätze in Ostasien, aber die sind für unser Alphabet relativ irrelevant. Und außerdem ist das nochmal eine ganz andere Geschichte, mit der gern sich Sinologen und Japanologen auseinandersetzen dürfen.) Da vorher jede Seite in Handarbeit hergestellt wurde, gab es auch keine einheitliche Schrift. Dank Gutenbergs beweglichen Lettern konnten alle Seiten gleich, alle Buchstaben auch einzeln gut aussehen und so ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Bei Gutenberg waren es noch schwere und verzierte Buchstaben (vielleicht auch, damit sich die Stempel besser prägen lassen). Nach dem Erfolg der Buchpresse verbreitete sie sich jedoch schnell in ganz Europa und andere Drucker entwickelten eigene Alphabete, die auch immer schlanker wurden – gerne auch inspiriert von der römischen Antike, und die Italiener entdeckten, dass kursive Schrift platzsparender war. So entstanden über Jahrhunderte tausende verschiedene Schriften, von denen die Gestalter meinten, sie seien besser zu lesen. Manche von ihnen waren nie wirklich gut, andere sind in der Geschichte verschwunden, wieder andere wurden in der Neuzeit neu entdeckt und einige sind scheinbar nie alt geworden.

Der größte Einschnitt in der Schriftgestaltung war aber wohl die Entwicklung des Computers: Zum einen, weil seitdem jeder beim Schreiben verschiedene Schriftarten wählen und somit Vor- und Nachteile testen konnte. Zum anderen wurde die Gestaltung neuer Schriften viel leichter, weil die Designer nicht mit Metallen und Gießwerkzeugen hantieren mussten, sondern direkt am Computer arbeiten konnten. Viele alte Schriften wurden für die neue Verwendung neu aufgelegt und konnte auch leicht verändert werden.
Video.

Dass sich der Blick auf Schriftarten inzwischen nachhaltig geändert hat, machen vielleicht zwei Geschichten deutlich:

1994 arbeitete Vincent Connare bei Windows. Zu der Zeit wollte die Firma gerade ein neues Programm veröffentlichen, in dem ein Hund dem Nutzer Tipps geben sollte, um die Angst vor der neuen Technik zu nehmen. Connare fand jedoch, dass die Schrift nicht zu diesem niedlichen Hund passen würde. Inspiriert von Comicheften der 90er und ihren Sprechblasen entwickelte er Comic Sans. Comic Sans wurde hipp. Sie war so unschuldig, lustig und mit ihren vielen Rundungen sehr angenehm zu lesen. Doch dann tauchte sie einfach zu oft auf und so bildete sich eine Front, die dieser Schriftart den Krieg angesagt hat. Den will ich hier gar nicht auswälzen, sondern nur kurz darauf hinweisen, was auch Simon Garfield in seinem Buch „Just my Type“ anspricht: Nach diesem doch sehr populären Kampf wussten die Leute, was Schriftarten sind, selbst Möchtegern-Rapper kennen heute noch Comic Sans.

Die andere Geschichte, die ebenfalls aus Garfields Buch stammt, dreht sich um Ikea: 2009 wechselte der Möbelhersteller die Schriftart, von Futura zu Verdana, damit die Schriftart von Website und Markt die gleiche war. Man hätte meinen können, dass der Wechsel von einer serifenlosen Schrift zu einer anderen gar nicht auffallen würde. Doch es fiel auf und das sogar negativ – die Kunden waren genervt, laut Garfield, weil sie der Schrift, die damals als eine der wenigen im Web funktionierte überdrüssig waren. Das beweist noch einmal: den Lesern ist Schrift durchaus wichtig und die Eigenschaften einer Schrift liegen nicht nur in sich selbst, sondern auch in ihrem Umfeld.

Deswegen erinnern uns gebrochene Schriften immer noch an die Nazi-Zeit oder zumindest an das deutsche Mittelalter. Serifenlose Schriften, wirken immer sehr schlicht und praktisch, Schriften mit Serifen stattdessen kunstvoller, fließender und verbundener. Es gibt auch den Typ Schrift, der sehr stark an Kalligraphie erinnert und damit auch gerne an die Romantik. Dagegen stehen andere extravagantere Schriften, die an alles Mögliche anknüpfen können, wie zum Beispiel die Steckbriefe des Wilden Westens.

Worauf bei Schriften zu achten ist

Ein wahrer Font-Fanatiker könnte jetzt vermutlich jede Schrift ohne Serifen (ja, es gibt mehrere) auseinander halten und analysieren: Was an ihr so besonders ist, warum sie gut oder schlecht sei. Ich bin aber kein Font-Fanatiker und deswegen möchte ich an dieser Stelle nur kurz zusammen, was das wichtige an Schriften ist:

  1. Muss sie entsprechend lesbar sein. Also, kurze Sätze können verschnörkelt sein, aber lange Texte brauchen eine Schriftart, in der sich die Buchstaben klar voneinander unterscheiden können.
  2. Muss die Schrift zum Thema passen und zur Zielgruppe. Kleine Kinder können zum Beispiel nicht alle Schriften gleich gut lesen, wobei es nicht mal zwingend um die Schriftgröße gehen muss.
  3. Gehört zur Schrift immer Geschichte. Erstens hängt die Lesbarkeit einer Schrift mit Gewohnheiten zusammen (nicht nur, aber auch), Zweitens kann die Geschichte oder die Verwendung einer Schrift, die Schrift prägen, sodass Fraktur eben zur Nazi-Schrift wird.

Was ein Typograf noch alles beherrschen muss

Mit der Entwicklung der Schriftart hat der Typograf selbst nichts mehr zu tun. Er muss damit arbeiten, was der Schriftenentwickler fabriziert hat und hat nun eben nur noch die Wahl. Die muss aber sorgfältig getroffen werden, denn mit der Wahl der Schriftart ist auch die Erscheinung des Druckwerks schon einmal grundsätzlich festgelegt. Nun muss er diese Schriftart nur noch gekonnt auf der Seite arrangieren.

Die Arbeit eines Typografen lässt sich in zwei Bereiche aufteilen: die Makrotypografie für das große Ganze, und die Mikrotypografie, die sich um einzelne Zeilen und Buchstaben kümmert. Bei beiden geht es, wie schon erwähnt, darum den Text zu dienen und ihn gut lesbar zu machen. Denn bald nach der ersten Klasse lesen wir nicht mehr Buchstabe für Buchstabe, sondern ganze Wörter oder sogar Phrasen auf einen Blick. Deswegen ist die Wahl der Schrift und wie sie gesetzt wird, so wichtig: Die Buchstaben müssen so deutlich erkennbar sein, dass das Hirn sie sofort verarbeiten kann.

Bei der Makrotypografie kümmert sich der Typograf um das Gesamtbild der Seite. Dazu gehört also erstmal die Wahl der Schriftart und wie dick und groß sie sein soll. Hinzu kommen noch die Entscheidungen, welches Papier und welche Druckart, ob Blocksatz oder Flattersatz (wie auf unserer Seite), wie der Abstand zwischen Textrand und Seitenrand ist, wie die Anfangsbuchstaben von Kapiteln, die sogenannten „Initiale“, aussehen soll und wie Bilder in den Text eingebunden werden.

Bei der Mikrotypographie geht es dann um den einzelnen Buchstaben, also: wie groß der Abstand zwischen den Wörtern und den Buchstaben im Wort sein soll, damit sie klar voneinander unterschieden werden können und die Seite in der Gesamtansicht gleichmäßig aussieht. Besonders wichtig ist dabei der Zeilenabstand, der auch Durchschuss genannt wird. Hier fliegen die Augen durch, um die nächste Zeile zu finden, wobei es ein Zeichen für schlechte Arbeit wäre, wenn der Lesende ständig in der Zeile verrutscht.

Typografie ist also eine komplizierte Angelegenheit, die ich hier nur soweit anreißen konnte, wie ich sie verstanden habe. Und dabei ging es jetzt hier nur ‚einfache‘ Texte. Kommen wir erst zu den Büchern, die nicht nur von rechts nach links laufen, sondern wild durcheinander, wird das noch viel komplexer – doch dazu an anderer Stelle mehr.



Themenbeiträge:
Einführung // Experimentelle Typografie // Geschichte der Computer(spiel)Typografie // Videospieltypografie

Besprechungen:
“Alles oder Nichts” (Papier) // “Typoman” (Digitales) // “Type:Rider” (Digitales)

 

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

3 Kommentare:

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