Auf der Suche nach einem Weckruf

Wiederholungen ermüden. Menschen, die viel lesen, kennen das bestimmt. Wenn einem plötzlich jedes Buch so erscheint, als kenne man es schon. Auch diejenigen, die viel oder vielleicht sogar professionell ins Theater gehen, sind manchmal einfach genervt vom Theater. So geht es auch dem Kritiker Jan Küveler, der deswegen diese Streitschrift mit dem Titel “Theater hassen” geschrieben hat. Und all dieser Hass ist auch sehr schön verpackt, aber ist er auch gerechtfertigt?

Ein gelobter Regisseur ist Gordon Kämmerer, hier sein “herzerlfresser” aus Leipzig

Es ist so hübsch…

… deswegen wurde das Buch eben auch von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten Bücher des Jahres ausgezeichnet. Der dünne und flexible Umschlag ist in leuchtend roten Stoff gewickelt, der zusammen mit dem Schlagwort “Theater” sofort an den Vorhang erinnert. Der Titel “Theater hassen” ist mit güldenen (ja, “güldenen”) Lettern eingraviert, deren Schriftart so sehr an die 20er Jahre erinnert, eine Zeit als das Theater langsam ernsthaft Konkurrenz vom Film bekamt und wo – wenn man dem Autoren so zuhört – die letzte große Zeit des Theaters gewesen sein könnte. Dieses Buch fasst sich wunderbar an und die Gestaltung, innen wie außen, zeigt klar, worum es im Text gehen soll.

Doch was steht eigentlich drin?

Jan Küveler ist Theaterkritiker für die “Welt” (also die Zeitung) und geht deswegen sehr oft ins Theater. Wie zu erwarten ist, wurde ihm dabei irgendwie langweilig und so beklagt er sich über die deutsche Theaterszene: Überall gibt es nur das gleiche zu sehen, die Intendanten geben sich die Klinke in die Hand und auch die so gerühmten Berliner Festspiele, wo die zehn besten Inszenierungen des Jahres gezeigt werden, ist ein zumeist inzestuöser Verein, zu dem stets dieselben Künstler eingeladen werden. Kurz gesagt: Jan Küveler ist genervt vom Theater und enttäuscht, weil es sich nichts mehr traut.

Um das zu unterstreichen lässt er eine große Anzahl von Beispielen aufmarschieren, die Küveler offensichtlich länger als eine Kritik lang beschäftigt haben. So lässt er sich über den naturalistischen oder reduzierten Stil aus. Oder er erzählt Anekdoten, von beinahe schon historischer Qualität, wie zum Beispiel als Fassbinders Stück “Die Stadt, der Müll und der Tod” nicht uraufgeführt wurde, weil sich die jüdische Gemeinde dagegen gestellt hat. Eine weitere Anekdote dreht sich um den wohl berühmtesten, vielleicht den letzten großen Theaterkritiker: Gerhard Stadelmaier, dem bei einem Theaterabend ohne vierte Wand der Block gestohlen wurde. All dieses Erzählungen und Beschreibungen werden durch ein Fazit zusammengehalten: Küveler findet das Theater und die ganze Szene mutlos.

Wenige, aber gute Erkenntnisse

Das Wichtigste vorab: Küveler hat recht. Theater kann wirklich nerven und er nennt dafür auch gute Gründe. Inszenierungsstile werden schnell manieriert und nutzen sich ab – kennt man einen, kennt man alle – und Überraschungen, wie sie sich Küveler wünscht, erhofft man dann doch oft vergebens. Aber das sind nur wenige, andere versuchen sich den Texten ja vor allem über Zeitgeist und Themen zu nähern, die dann ja auch oft zwei Probleme haben: Entweder sind sie so verkopft, dass das Publikum ewig braucht, um sie zu entschlüsseln oder sie reden ihm nach dem Mund. Deswegen hasst Küveler das Theater, insbesondere das der Elfriede Jelinek. Seiner Meinung nach sucht sich die Nobelpreisträgerin einfach ein aktuelles Thema, reichert es mit Klassikerbezügen an und formuliert ansonsten nur Allgemeinplätze aus, die ihr Stammregisseur Nicolas Stemann auch gerne so stehen lässt. Für Küveler wäre es mutiger, Unsicherheiten zu erzeugen.

Aber Theater findet ja heute nicht nur im jahrhundertealtem Setting statt: Text, Bühnenbild, Schauspieler. Allerding gefallen Küveler auch die Formennicht , die mit solchen Traditionen brechen . Wenn die Performance-Gruppe “She She Pop” ihre Väter ausstellt, dann greift das Küveler nicht an und installative Arbeiten behaupten in seinen Augen nur ganz neu zu sein, obwohl sie nur darauf setzen, dass sich der Zuschauer wie immer verhält.

Manchmal blickt er auch auf die andere Seite, die der Kritiker. Laut seiner Beobachtung sitzen die meist alle so gelangweilt herum, wie Küveler selbst, trotzdem loben sie den Tag am nächsten Tag in den Himmel. Das ist eine Haltung, die natürlich aus dem Axel-Springer-Verlag stammt (“nur wir sagen die Wahrheit”), aber ganz aus der Luft geholt ist es auch nicht, denn niemand möchte lauwarme Kritiken über lauwarme Abende lesen. Das gibt also Einblicke in das Verhältnis von Kritik und Theater, das eigentlich auch besser sein könnte.

Für wen ist diese Buch eigentlich was?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Auf der einen Seite ist es für die interessierte Theatergänger und Feuilleton-Leser und solche, die es werden möchten. Denn Küveler wirft geradezu um sich mit den Namen der aktuellen Szene – durchaus mit einem Unterton, als ob man die zwangsläufig kennen müsste. Aber da der Umschlag schon verrät, dass nur wer das Theater liebt, das Theater hasst, werden wohl nur Theaterliebhaber wirklich zum Band greifen.

Aber ist dieses Buch wirklich für dieses Leute? Der Ton klingt eben nicht immer danach. Immer wieder zieht Küveler auch popkulturelle Vergleiche heran, zum einen um hier einen Antagonismus herzustellen, aber eben zum anderen auch um mit einem anbiedernden Ton. Auch die Aussagen sind den erfahrenen Theatergängern wohl schon bekannt.

Was gut ist

Jan Küvelers “Theater hassen” ist ein kurzweiliges Buch, denn Küveler hat einen flüssigen und lockeren Stil um seine Argumente darzulegen, die durchaus ihre Berechtigung haben. Allerdings tappt er an einzelnen Stellen in die gleiche Falle – seine Beispiele für gutes Theater kreisen zum Beispiel wie das Theatertreffen immer wieder um dieselben Namen, wie Frank Castorf oder Milo Rau. Außerdem hat seine Entnervtheit auch etwas überhebliches (er weiß allerdings, dass es danach klingt), denn es ist ein Luxusproblem, denn dass der vierte Abend von Thalheimer wie der erste aussieht, fällt nur dem auf, der schon den ersten gesehen hat und die beiden anderen auch.

Es tut zwar gut zu lesen, wie sehr das Theater nerven kann, es einmal auf Schwarz-Weiß zu haben, eigentlich wäre da aber noch Raum für mehr gewesen: Küveler hätte genauer sagen können, was warum schlecht ist und was genau gut sein kann – wirklich als These mit Beispielen und nicht nur an Beispielen. “Theater hassen” bleibt eben doch nur eine anregende Streitschrift, die dem Frust Luft schafft. Eine Denkschrift mit streitbaren Ton wäre aber vielleicht spannender gewesen.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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