Zukunftsmusik

Ich habe lange überlegt, ob ich den “Nier” Soundtrack wirklich jetzt schon vorstellen will – für mich einer der schönsten Videospielsoundtracks überhaupt und ich hatte ehrlich gesagt etwas Angst, ob ich der Musik überhaupt gerecht werden kann. Wenn ich mich aber jetzt nicht rantraue, wird es wahrscheinlich nie etwas – also warum nicht “Soundchip” mit meinem Lieblingssoundtrack beginnen lassen?

“Nier” ist wohl eines der umstrittensten – meiner Meinung nach auch am meist unterschätzten – Spiele der vergangenen Videospielgeneration. Seit der Veröffentlichung im April 2010 hat der Konsolentitel schon so einige Kritik einstecken müssen: Veraltete Grafik, schlechtes Gameplay… Dass “Nier” dahinter eine grandiose Handlung und einige überraschend kreativen Ideen versteckt, wurde oft nur von der eingefleischten Fangemeinde erkannt. (Die wohl überhaupt erst der Grund war, dass “Nier” in diesem Jahr eine Fortsetzung bekommen konnte.)

Ich schweife etwas ab. Hier geht es schließlich weniger um “Nier” an sich, als um die musikalische Begleitung. Im Vergleich zu den spielerischen Elementen wurde die Musik nämlich weitaus wohlwollender aufgenommen. Während meiner Recherche habe ich den “Nier OST” tatsächlich sogar einige Male in den vorderen Rängen einiger “Best of Videospielmusik”-Listen finden können – was meist vor allem auf Sängerin Emi Evans zurückgeführt wurde, die dem Soundtrack nicht nur ihr zartes Stimmchen lieh, sondern auch die dazugehörigen Texte verfasste. Auch für mich zählt der “Nier OST” sicher zu einer der besten – das steht schon im Teaser und das hat sich auch zwei Absätze weiter noch nicht geändert. Deswegen möchte ich euch hier auch nicht weiter mit irgendwelchen allgemeinen Einführungen und Lobhudeleien aufhalten, sondern springe direkt in den Soundtrack:

Trauerlieder

Für mich ist der passende Soundtrack für die Wirkung von Videospielen absolut entscheidend. Musik ist immerhin das einzige Element eines Videospiels, dass nicht an eine irgendwelche Grenzen von Bildschirm oder Controller gebunden, sondern den Spielen tatsächlich komplett umgeben und in die “virtuelle Welt” holen kann. Ich könnte jetzt noch irgendwelche Spieltheorien vom “magic circle” und ähnlichen umstrittenen Kram rausholen. Das lassen wir aber lieber mal. Fest steht: Wenn die musikalische Gestaltung nicht passt, wie kann dann die Stimmung eines Videospiels überhaupt richtig übermittelt werden?

Bei “Nier” ist diese Stimmung vor allem eines: Melancholisch. Das japanische Action-Adventure spielt in einer entfernten (dystopischen) Zukunft, in der das Land zunehmend von düsteren Schatten bedroht wird. Die übrigen Menschen leben zurückgezogen und in beinahe mittelalterlichen Zuständen in Dörfern und Städten. Verlust, Schwere Schicksalsschläge, Hunger und Krankheit bestimmen die Tagesordnung – so auch die des Titelhelden Nier, dessen Tochter an der mysteriösen Runenpest erkrankt ist. (Der jetzt nur am Rand erwähnt werden soll. In die Handlung werde ich mich wohl ein anderes Mal noch mehr vertiefen. Bis dahin könnt ihr auch bei Wikipedia einen Blick reinwerfen.)

Eine ähnliche Stimmung findet sich auch in der Musik in wieder, die gerade für ein Action-Adventure erstaunlich ruhig gehalten ist: Gesang, leise Gitarren- und Klaviertöne, einige Streicher und einige Perkussioninstrumente zeichnen gerade innerhalb der Stadtmauern und emotionalen Momente des Spiels ein ähnliches melancholisches Bild, wie es sich schon in der restlichen Spielwelt finden lässt. Wenig fröhliche Musik, dafür jede Menge Ruhe und versteckte Trauer. Ein Beispiel hier: “The Prestigious Mask”, ein ruhiges und eher unauffälliges musikalisches Thema der Wüstenstadt Façade, das durch die umliegenden Wolfsrudel schon einige Verluste zu verbuchen hatte, den Alltag dank skurriler Regeln dann aber doch wieder meistert.


Dagegen ist die Musik während des Kampfes und der Reise außerhalb der Stadtmauern  schon deutlich aufgeweckter gestaltet – eben schon eher so wie man sich ein actiongeladenes Rollenspiel vorstellt: schnell, markanter Rhythmus  und epischen Chorgesang. Dazwischen tauchen aber auch immer wieder einige ruhige Lieder auf und bilden so einen starken Kontrast zum hektischen Kampfgeschehen. Perfektes Beispiel dafür: “Grandma” – einer der schönsten und zugleich traurigsten Balladen des gesamten Spiels, das aber ausgerechnet während eines Bosskampfs gespielt. (Aus gutem Grund, den ich aber nicht verraten möchte. Spoiler-Alarm und so ein Kram.)

 


Die Komposition

Der Soundtrack entstand größtenteils unabhängig vom Spiel in Zusammenarbeit zwischen dem Studio Monaca (bestehend aus Keiichi Okabe, Kakeru Ishihama und Keigo Hoashi) sowie Entwickler Takafumi Nishimura. Wie Komponist Keiichi Okabe in einem Interview verriet, wurden tatsächlich sogar einige spielerische Elementen nachträglich an die Musik angepasst und nicht umgekehrt. Einige Tracks wurden später an andere Stelle verschoben – wie beispielsweise der Track “Grandma”, der ursprünglich für den Prolog gedacht war, sich später dann aber doch als (zugegeben etwas ungewöhnliche) Begleitung für einen Endbosskampf wiederfand.

Gesungenes Wort

Sprache und Wörter spielen in “Nier” eine zentrale Rolle: Ein sprechendes Buch als Reisebegleiter und ein weiteres sprechendes Buch, das die Welt endgültig in den Untergang treiben kann; verlorene Verse, die der Spieler suchen muss, um mächtige Zauber freizuschalten und ein Dorf, das völlig in einen tiefen Schlaf gefallen ist und nur noch in Wörtern träumt.

Im Soundtrack tauchen diese Wörter im Gesang auf, der sich in irgendeiner Form in nahezu jedem Musiktrack finden lässt – sei es nun allein durch die Stimme von Sängerin Emi Evans in ruhigen Liedern wie “Grandma” oder “The Ultimate Weapon”, aber auch euphorischeren wie “Hills of Radiant Winds”; dem chorischem “Kampfgeschrei” in “Blu-bird”, oder eher atmosphärischer Begleitung in “His Dreams”. Selbst in den doch eher instrumentalen Musiktracks wie “The Prestigious Mask” lässt sich noch in verfremdeter Form die Vokalmusik rudimentär erkennen.

Sprache der Zukunft

Bei den Liedern stechen dabei vor allem die von Sängerin Emi Evans verfasst Texte hervor. Auf Wunsch des Komponisten Keiichi Okabe sollten die nämlich nicht traditionell in Englisch oder Japanisch – oder irgendeiner anderen existenten Sprache – verfasst werden, um die Spielwelt dadurch besser repräsentieren zu können und nicht von der Synchronisation abzulenken. Tatsächlich gibt es nur ein einziges Lied, dessen Text überhaupt eine wirkliche Bedeutung in sich trägt (der Ending Song “Ashes of Dream”, der in einer von vier Sprachversionen jeweils nach einem der vier Enden zu hören ist) – alle anderen Liedtexte verfasste Emi Evans in Fantasiesprachen, die viel mehr eine Emotion als einen Inhalt übermitteln sollten.

 

Mr. Okabe was actually very good and apart from saying “this part I’d like you to sing softly but intensely,” or “this part is the climax so please sing loudly here,” he pretty much left me to it and let me sing my own interpretation of the melody. I just had to use my imagination and decide for myself what kind of feelings to convey. I was interested to learn afterwards that after I had put down the vocal tracks, the composers would listen to my singing and often base their arrangements on the feeling of my voice.

– Emi Evans

 

Die Fantasiesprachen der einzelnen Lieder basieren dabei nicht auf einer einheitlichen, sondern auf verschiedenen Sprachen, deren Klang Evans übernahm und so verfremdete, wie die jeweilige Sprache in der Zukunft klingen könnte. Beispielsweise wurde “Grandma” in einer Art futuristischen Französisch verfasst, “Kainé” orientiert sich an Gälisch und “The Wretched Automatons” an Englisch.

 

Altogether I wrote songs in 8 languages based on Gaelic, Portuguese, Spanish, Italian, French, English and Japanese. I would find clips of language lessons for the required psuedo-language on the Internet and then just listen over and over to get the sounds and rhythms into my head and also try writing down passages in the language too in the hope I could absorb something extra. Then it was just a matter of trying to imitate the flow and fit similar sounds around the melody.

– Emi Evans

 

“Song of Ancients” ist übrigens das einzige Lied, das keine bestimmte Sprache zur Vorlage hat. Das Überbleibsel einer alten Zivilisation sollte auf einer vollkommen imaginären Sprache aufbauen, weswegen sich Sängerin und Texterin Evans bei ihrer Recherche auf verschiedene Sprachen stützte und daraus eine neue bildete:

 

For this particular song, I listened to as many different languages as I could on YouTube and took a little inspiration from each one and jumbled them all together. I was happy with the result but really anxious as to how I would be able to go on and create several more different sounding languages. I was very relieved when MoNACA then started giving me more specific instructions. Basically, as NieR is set in the future, the MoNACA team decided they wanted me to image how our languages of today would sound after thousands of years, so with the exception of “Song of the Ancients,”I felt that rather than creating made up languages for each song, I was taking a specific language, respectfully manipulating it and then aging it a few thousand years.

– Emi Evans

 

Ein Fazit? Kein Fazit.

Und damit wären auch die wichtigsten Aspekte der Musik genannt und ich stehe vor der grauenvollen Aufgabe, alles abschließend und möglichst neutral zu bewerten. Ich würde nur in die Lobeshymnen verfallen, die ich die ganze Zeit zu verhindern versucht habe. Abschließend kann ich euch den Soundtrack von “Nier” eigentlich nur wärmstens ans Herz legen – über das Spiel lässt sich vielleicht streiten, aber die Musik ist wirklich nahezu perfekt. Wenn ich das noch nicht rüberbringen konnte, bleibt mir am Ende nur noch Youtube aufzudrehen, den “Nier OST” in Dauerschleife zu hören und meinen Artikel dann nochmal zu überarbeiten. So richtig gerecht bin ich der Musik dann irgendwie doch nicht geworden.

Update: (Ein Tag später.) Ich komme immer noch nicht zur Ruhe. Das habe ich schon befürchtet – immer das gleiche mit diesen persönlichen Lieblingen. Entweder man schwärmt die ganze Zeit oder ist eh nicht mit dem zufrieden was man geschrieben hat. Geht mal also davon aus, dass da wohl noch ein neues Fazit kommt, hört euch bis dahin einfach den Soundtrack an und macht euch selbst ein Bild. Es lohnt sich in jedem Fall!

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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