Montagsfrage: Ein schraeger Wunschzettel

Schon seit Wochen quellen die Weihnachtsregale über vor Schokoladenweihnachtsmännern, Adventskalendern und Weihnachtsbaumschmuck – ja, die Lebkuchenhäuschen sind sogar schon fast wieder ausverkauft. Also reden in der Montagsfrage alle über ihre Bücherwunschzettel.

Der Wunschzettel

Der drohende Exzess

Manchmal platzt mir schier der Kopf, wenn ich daran denke, wie viele Bücher jedes Jahr in Deutschland erscheinen – von der Welt mal ganz zu schweigen. (Letzteres könnte man vielleicht noch ignorieren, denn wie viele Sprachen kann ich schon lesen, aber der deutsche Markt ist nun mal im Bereich Übersetzungen sehr stark.) Anzunehmen, dass jede Neuerscheinung gut ist, wäre übertrieben. Vermutlich nicht mal jedes zweite. Aber selbst wenn es jedes zehnte wäre, wäre die Liste der guten Bücher des Jahres schon ziemlich lang. Und so geht das doch eigentlich schon seit Jahrzehnten (mindestens) und die ganzen Klassiker nicht zu vergessen (1001 Bücher, die ich gelesen haben sollte, bevor ich sterbe!).

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Liste der begehrten Bücher könnte leicht bis zum Mond reichen (vielleicht auch wieder zurück). Mein feuchter Traum ist ja auch ein Büchergutschein über eine Million. Aber seien wir ehrlich: Wann soll ich das alles lesen und wo soll ich das alles unterbringen, und sehe ich dann nicht im nächsten Jahr nicht trotzdem wieder ein gutes Buch, das ich nicht habe. Also setze ich doch lieber auf die öffentliche Bibliothek und beschränke meinen Konsum.

Selbstbeschränkung

Deswegen habe ich mich irgendwann dazu entschieden, nicht einfach jedes Buch zu wollen, das interessant klingt. Stattdessen beschränke ich mich auf bestimmte Bereiche, die sich zum einen dadurch auszeichnen, dass da nicht jedes Jahr Massen erscheinen – und dass ich sie einfach mag:

1. Lyrik des 21. Jahrhunderts

Da bin ich eher durch Zufall drauf gestoßen, als ich bei mephisto 97.6 für die Literatur verantwortlich war. Damit auch alle Formen der Literatur vorkommen, habe ich auch Lyrik bestellt. Dann wurde auch noch Jan Wagner mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und ich habe noch mehr zeitgenössische Lyrik bestellt. Dabei habe ich gemerkt, wie überschaubar das Feld ist, und vor allem wie spannend. Trotzdem schreibe ich Lyrik jetzt nicht unbedingt auf den Wunschzettel, aber ich behalte das immer gerne im Auge.

2. Dramen

Wer sich gut auf dieser Seite umsieht, weiß dass ich Theater liebe. Und ich liebe es nicht nur, ins Theater zu gehen, ich lese auch mit großem Vergnügen Theaterstücke. Für mich ist das ein ganz anderes Lesen, dass mir besonders Spaß macht. Das Spiel mit der Sprache wird hier (gerade aktuell) exzessiver betrieben, was ich immer spannend finde; der Klang der Sprache steht ja logischer Weise im Vordergrund. Auch die Handlung – das sich etwas ereignet ist immer klar, denn Theater ist Aktion und seitenlanges Gedankengeschwurbel hat hier keinen Raum. Stattdessen werden meine eigenen Gedanken viel mehr angeregt, weil vieles vage bleibt, zwischen dem Sprecherwechsel, der das Theaterlesen prägt, bleibt jede Menge Raum übrig. (Bestimmt gibt es irgendwann einen sehr ausführlichen Text über das Theaterlesen.)

3. und das Außergewöhnliche

Letztlich ist es das, was diesen Blog prägt: Bücher, die von der Norm abweichen, die Experimentieren. Wie das begann, habe ich ja schon einmal beschrieben. Neben der Tatsache, dieses Feld überschaubar ist und es wirklich nett ist, die verschiedenen Techniken zu vergleichen, wenn man alle Spielarten kennt, fordern diese Bücher viel Zeit – zum Vertiefen und Wiederlesen.

Genau von diesen Büchers habe ich tatsächlich eine Liste, die bereits seit einigen Jahren an meiner Pinnwand hängt. Manchmal nutzt Cilly diese Liste, wenn sie gerade kein anderes Geschenk weiß (so viel anderes wünsche ich mir auch gar nicht). Deswegen sind auch einige Titel auf dieser Liste bereits durchgestrichen, aber sie ist immer noch lang genug.

Was wirklich drängt

Nun habe ich mich schon beschränkt und führe seit Jahren eine Liste mit Wunschtiteln, und trotzdem bleibt die Auswahl viel zu groß! Also nenne ich jetzt einfach mal ein paar Bücher, die mir gerade nicht aus dem Kopf gehen:

Die Stücke von Sasha Marianna Salzmann: Ihr Roman „Außer sich“ hat mich total begeistert! Schon vorher hat mich die Tatsache gereizt, dass sie vorher Theaterstücke geschrieben hat. Ich hatte, bevor ich den Roman gelesen habe, auch bereits in einige Stücke hinein gelesen und es hat sich gezeigt, dass man diesen Roman viel besser verstehen kann, wenn man auch ihre Stücke kennt. Deswegen bin ich gerade sehr begierig darauf, Salzmanns komplettes Werk in meinem Schrank zu versammeln.

Die Federmans

„Die Stimme im Schrank“ von Raymond Federman: Das bietet natürlich einen Anknüpfungspunkt an unser letztes Themenspezial. Dort habe ich das unglaublich faszinierende Buch „Alles oder nichts“ besprochen und mich daraufhin mit dem Übersetzer Peter Torberg getroffen, der meinte, dass zwischen „Alles oder nicht“ und „Take it or Leave it“ (die beide bereits in meinem Schrank stehen), noch ein Buch gehört, nämlich „Die Stimme im Schrank“. Dessen Satz soll genau dieses Gefühl, im Schrank zu eingesperrt zu sein, vermitteln. Jetzt will ich natürlich wissen, wie gut das funktioniert.

„Die menschliche Stimme“ von Cocteau und Cain: Ebenfalls im Rahmen unseres Schwerpunkts bin ich auf die typografische Interpretation von Jean Cocteaus Stück „La voix humaine“ durch Barbara Cain gestoßen, in das ich mich komplett verliebt haben – vielleicht auch, weil hier gleich zwei meiner Vorlieben zusammenkommen.

Eine Doppelseite aus Cains “Stimme”

Es reizt mich gerade einfach weiter zu schreiben – die Bücher von Pavic, „Mixquiahuala Letters“, Menschen aus Papier, Rayuela… Aber aller guten Dinge sind drei, deswegen stelle ich euch meine Liste lieber nach und nach vor, nachdem ich die Bücher gelesen habe. Bis dahin hoffe ich, dass ich am Weihnachten ein bis zwei schöne Bücher bekomme. So wahrscheinlich ist das gar nicht, denn aus unerfindlichen Gründen meint mein Umfeld, ich hätte bereits genug. Könnt ihr das verstehen?

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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