Märchentreffen im Wald

Wenn Stephen Sondheim ein Stück macht, kann es nur schraeg werden. Wenn dann noch ein großer Wald und lauter Märchenfiguren dazukommen, dann entsteht das Märchen-Mash-Up-Musical „Into the Woods“. Im Görlitzer Gerhart-Hauptmann-Theater haben auch wir uns durch das Dickicht geschlagen.

Ich komme an – und weiß ja eigentlich schon, was mich erwartet. Denn inzwischen gehört Stephen Sondheims „Into the Woods“ zu den Musical-Klassikern, ebenso wie Sondheim selbst. Denn Sondheim hat in der Musical-Szene neue Maßstäbe gesetzt, als er angefangen hat, sowohl die Musik als auch die Songtexte zu schreiben. Außerdem hat er sich Themen und Szenarien ausgesucht, bei denen nicht jeder denken würde, dass die auf die Musical-Bühne gehören. Für „Into the Woods“ hat er sich verschiedene Märchen genommen und sie zusammengemixt, auch mit Bezug auf psychologische Ausdeutungen. Während alle versuchen ihre Ziele zu erreichen, wird klar, was hinter den Figuren steckt und – im Sinne des Psychologen Bruno Bettelheim – hinter den Märchen. Das war immerhin gut genug für eine Verfilmung, natürlich von Walt Disney.

Ich verrate – schon einmal die Handlung, damit auch jeder mitkommt. Im ersten Akt sind die einzelnen Märchen noch klar zu erkennen. Da haben wir Jack und die Bohnenranke, Aschenputtel, Rapunzel und Rotkäppchen und (das ist neu:) ein Bäckerehepaar. Um sich ihre Wünsche zu erfüllen gehen sie alle in den Wald (eben „into the woods“), dabei laufen sie sich alle über den Weg und schaffen es bis zum Happy End. Aber wir wissen inzwischen, dass das Happy End nur ein Zwischenstopp ist. Im Zweiten Akt kommt die Frau des Riesen, den Jack umgebracht hat und tötet in kürzester Zeit ein Drittel der Figuren, was sie nicht davon abhält später nochmal Ratschläge zu geben und im Publikum für Verwirrung sorgen. Die Helden des ersten Teils, nur noch mäßig glücklich tun sich zusammen und retten ihre Welt auf brutale Weise. Am Schluss ziehen sie alle in eine WG beim verwitweten Bäcker ein.

Ich sehe – eigentlich gar nichts auf der Görlitzer Bühne des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau. Regisseur Sebastian Ritschel hat sich für eine leeren Bühnenraum entschieden, vermutlich auch deswegen, weil bei der großen Besetzung wohl kaum noch Platz für irgendwelche Requisiten gewesen wäre. Begrenzt wird der Spielraum dafür von drei großen Wänden mit vielen Fenstern und Türen, für einfallsreiche Auf- und Abtritte. Mehr Farbe bekommt die Bühne durch mehrere Videoeinblendungen, mit denen schnelle Ortswechsel möglich sind – obwohl es meistens Aufnahmen aus örtlichen Wäldern sind. Die Kostüme sind den Märchen entsprechend schlicht und mit etwas Moderne vermengt: Die Prinzen tragen goldbestickte Mäntel, Rotkäppchens Mäntelchen ist aus rotem Lackfabrikat und der Bäcker hat einen unauffälligen Dreiteiler an.

Liebe mit Nachhilfe und Umwegen (Foto: Marlies Kross)

Ich höre – Musik, klar. Sie klingt sehr eindeutig nach Stephen Sondheim mit seinen treibenden Rhythmen. Die musikalischen Motive kehren immer wieder und schaffen so wunderbare Spiegelungen. So starten eigentlich beide Akte ziemlich ähnlich mit dem Aufbruch in den Wald. So werden die Figuren auch wunderbar gebrochen, weil sie sie selbstverständlich nach ihrem Happy End nicht für immer glücklich sind. Allerdings ist Musik nicht immer sehr Abwechslungsreich und sich irgendwie auch ein Gefühl einstellt, wie „Das kenne ich doch schon“. Die musikalische Leistung in Görlitz war zwar insgesamt gut, hatte aber auch ihre Schwächen. Vor allem schwamm es stellenweise etwas, da waren die Stimmen im Orchester nicht klar genug, die Sänger nicht immer synchron und teilweise etwas kraftlos.

Ich beobachte – eine Inszenierung, die stark an den Broadway angelehnt ist. Das sagt jedoch mehr über das Stück, als über den Regisseur. Denn James Lapine und Stephen Sondheim haben ihr Musical sehr dicht gestaltet: Da gibt es synchrone Szenen und schnelle Spielortwechsel. Sebastian Ritschel hat das gut abgefangen und sehr solide mit dem Ensemble einstudiert. Die Auftritte sind klar durchchoreographiert und verzichten auf unnötige Spielereien. Die klaren Wege und Gesten der Figuren verraten so sehr viel über ihren Charakter.

Ich fühle – mich gut unterhalten, so wie offensichtlich alle Zuschauer, es wäre auch sehr schwach, wenn das nicht gelungen wäre. Denn dieses Stück ist einfach witzig, weil es die klassischen Märchenfiguren großartig bricht und dabei auch ihre Tiefen auslotet. Da hat der Wolf eine animalische Anziehungskraft, Aschenputtel hat nicht einfach nur Glück, sondern taktiert schon sehr geschickt. Allerdings gibt es auch einige Längen, denn wer viele Handlungsfäden legt, muss sie auch verknüpfen. Das wird auch mal kompliziert, wenn dann drei Märchen gleichzeitig erzählt werden. Da muss sich das Publikum schon sehr konzentrieren.

Ich denke – gar nicht so viel, was vielleicht sogar störend wäre. Denn in erster Linie geht es um den Spaß und es gibt ja auch keine großen Überraschungen in der Inszenierung. Dennoch hat Ritschel noch eine eigene Note hineingebracht, indem er das Leitmotiv „Ab in den Wald“ besonders in den Mittelpunkt gestellt hat. Der Wald – ein undurchdringlicher Ort voller Mysterien und Sehnsüchte – ist in Görlitz nicht nur ein Ort in dem Märchen halt spielen. Gerade die Videoprojektionen von Steffen Cieplik verdeutlichen die Faszination des Waldes und das Programmheft stellt die Bedeutung noch einmal ganz klar heraus: Der Wald ist nicht nur Spielort, sondern Ermöglicher der Märchen. Daneben bleibt dann außerdem die Aussage des Stückes: dass Märchen ebenso wichtig, wie zu hinterfragen sind.

Ich sage – dass das ein unterhaltsamer Theaterabend ist. Natürlich gibt es einige Abzüge, weil musikalisch manchmal etwas geschwächelt wurde und mit den Video-Einblendungen etwas zu viel rumgespielt wurde. Aber das Stück ist das, was gemeinhin „well-made“ genannt wird. Ritschel hat das aufgenommen und passend auf die Bühne gebracht. Vielleicht nicht Tony-verdächtig, aber vergnüglich, wie die vielen Lacher im Publikum bewiesen haben.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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