Kindheitserinnerung: “Contrast”

Weihnachten ist für mich ein absolutes Familienfest. Wir versammeln uns vor dem Weihnachtsbaum, schlagen uns die Bäuche voll, hier und da ein kleiner Streit – aber am Ende des Tages ist dann doch wieder alles ruhig. Von so einem ruhigen Familienleben träumt auch die kleine Didi in “Contrast”. Ich habe das Indie Game einmal getestet und mich in eine Welt voller Licht und Schatten gewagt…

Eigentlich wünscht sich Didi nur einen Vater. Ein fröhliches Zusammensein mit der ganzen Familie – wie in den guten, alten Zeiten. Doch die Realität sieht alles andere als gut aus: Didis Mutter, ein Cabaret-Sängerin, muss jeden Abend arbeiten, weil der Vater einfach nichts auf die Reihe bekommt. Ständig hat er neue Ideen – und alle arten irgendwie immer in einer Katastrophe aus. Ein Nichtsnutz eben, wie er im Buche steht. So haben Schulden und Geldeintreiber längst einen Keil in das heile Familienleben getrieben. Und als auch die nächste Schnapsidee böse zu enden droht, muss wieder einmal die kleine Didi ihrem Vater aus der Patsche helfen.

Mein Schatten und ich

“The answer became clear to me when I examined the murder defendant. During his preliminary hearing, his sister described how both she and her brother created imaginary playmates after their father shot and paralyzed their mother in front of them. I met his murderous imaginary playmate during my interview. After he tried to strangle me, I had him moved to a secure interview room. Then the defendant talked to me over the phone as the quiet placid boy, while his murderous imaginary playmate talked to him from the wall beside him.”

Allison, R.B. (1997): The case of alter-personalities vs. imaginary playmates. The Forensic Examiner.

Psychopathen, Verrückte, Sonderlinge – Kinder mit Fantasiefreunden hatten in der Psychologie lange Zeit einen eher zweifelhaften Ruf. Wer mit unsichtbaren Leuten spricht, kann ja schließlich nur verrückt sein. Heute ist man da schon wieder ganz anderer Meinung: Kinder mit Fantasiefreunde gelten mittlerweile als geistig gesund, überaus kreativ – und sogar hochbegabt.

Der kleinen Didi ist das alles völlig egal. Für sie ist ihre Freundin Dawn ein wahrer Glücksfall. Die ist nämlich im Gegensatz zu einem gewissen Nichtsnutz immer an ihrer Seite. Niemand kann sie sehen und doch haben Dawns Fähigkeiten dem kleinen Mädchen schon bei so mancher Rettungsaktion geholfen.


Dawn kann sich nämlich in die Welt der Schatten begeben. Ein Knopfdruck und schon kann Dawn buchstäblich die Wände hochgehen. Ein wahrer Segen, wenn Didi bei ihren nächtlichen Rundgängen durch die Stadt der Weg versperrt wird oder einfach nicht mehr weiter weiß. Die Tür ist verschlossen? Dawn springt einfach in die Schatten – durchquert das Fenster und betätigt auf der anderen Seite des Raumes einen Mechanismus. Die Schattenspiel-Show droht zu platzen, weil die Prinzessin verloren gegangen ist? Dawn setzt sich einfach einen Hut auf und wird selbst zur Prinzessin. Sogar Gegenstände kann Dawn in die Schatten ziehen und an passender Stelle wieder in die dreidimensionale Welt zurückwerfen. Mit dem richtigen Kniff ist Dawn keine Hürde zu groß.


Ist alles nur ein Traum?

So unglaublich Dawns Fähigkeiten auch sind, so unglaublich ist auch die Welt in der sie lebt. “Contrast” spielt in einer fiktiven Stadt der 20 Jahre, einer Welt voller Schatten. Denn außer Didi und Dawn (wenn sie nicht gerade selbst zum Schatten wird) wandern nur Schattengestalten durch die Stadt. Beinahe geisterhaft bewegen sie sich durch die Stadt, Geräusche und lebhaftes Raunen tönen durch die Straßen – und doch ist außer Schatten nichts zu sehen. Und selbst die Stadt selbst scheint wie im Nichts zu schweben. Vielleicht sind Fantasiefreunde also doch realer als gedacht. Und vielleicht ist der Traum von der heilen Familie auch noch nicht ganz verloren.

Contrast

Genre: Puzzle, Plattformer
Developer: Compulsion Games
Publisher: Focus Home Interactive
Releasejahr: 2013
Plattformen: PC, PlayStation 3, PlayStation 4,
Xbox 360, Xbox One


Das Ende einer Reise

“Contrast” ist eine wunderbare Geschichte, um ein außergewöhnliches Mädchen mit einem ausgeprägten Fantasiesinn. Die liebevoll gestaltete Spielumgebung lässt Wirklichkeit mit Schatten und den Erinnerungen eines kleinen Mädchens verschmelzen und hat mich in eine Welt geführt, die mich stark an die Magie der frühen Filmkunst erinnert hat. (Die zirkushafte und wirklich traumhaft schöne musikalische Untermalung tut dabei ihr Übriges.) Die zahlreichen Rätsel treten in Form von Schattenspielen, die die Umgebung auf kreative Weise in das Gameplay einbinden und mir zeitweise so manches Kopfzerbrechen bereitet haben. Ohne mir mit einem unnötigen Schwierigkeitsgrad den Kopf wirklich zu zerbrechen.

Einziger Wermutstropfen ist jedoch die etwas rucklige Steuerung und die kleinen Bugs, die mir aber hin und wieder auch einen kleinen Lacher beschert haben. (Wenn eine Kiste plötzlich mitten an der Wand wieder aus den Schatten aufplopt und dort oben einfach schweben bleibt, hat das schon seinen ganz eigenen Charme). Aber als halb Schatten, halb Mensch kann man schon hin und wieder die Orientierung verlieren…

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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