Ein Kreis hat kein Ende

Wir haben bereits gesehen, dass vielen Autoren ein Ende gar nicht mehr ausreicht. Oft gibt es so viele Möglichkeiten, dass man sich gar nicht entscheiden möchte. Caroline Günther ging es vielleicht ähnlich, allerdings hat ihr Buch “EinSatz” einfach gar kein Ende.

Ein Satz, ein einzelner Satz kann der Beginn einer guten Geschichte sein, so wie ein Schritt der Beginn einer guten Reise ist. Manche Sätze fallen dabei sehr kurz aus, andere füllen mehrere Seiten und gelegentlich reicht ein Satz vollkommen aus, um eine Geschichte zu erzählen.

Den Einsatz muss man auch wagen. Im Poker heißt das zuweilen, dass man alles geben muss. Auch im Sport spielt man mal mit mehr, mal mit weniger vollem Körpereinsatz. Doch auch abseits der Spiele sind Körper und Geist der Einsatz den wir bringen. Hin und wieder, Musiker werden das besonders gut kennen, muss man seinen Einsatz finden. So auch in diesem Buch.

es ist egal, wann ich einsetze, denn immer schon ist der Text und immer schon bist du vor mir da, und es ist auch egal, wann du einsetzt, es ist egal, wie und warum du einsetzt, denn sobald du dir diese Fragen stellst, bist du bereits mittendrin

Eine Klageschrift

So beginnt und endet das Buch „EinSatz“ von Caroline Günther. Wobei Anfang und Ende hier relative Parameter sind. Denn der eine Satz, aus dem der Text besteht, endet nicht in einem Punkt sondern beginnt wieder von vorn und bildet so einen Kreis.

Natürlich erzählt ein Buch, das sich einer so ungewöhnlichen Form bedient, keine einfache Geschichte, insofern lässt sich dieses Buch auch nicht einfach in eine Schublade stecken. Der Text entwickelt Momente, die an einen Roman erinnern, klingt mal nach einem Essay, mal nach Lyrik. Es ist ein kreisender Gedankenstrom, in dem sich die Autorin scheinbar Luft macht.

weil ich es nicht mehr ertrage, euer Gejammer nicht mehr hören kann, eure Beschwerden, ihr, die ihr doch alles habt, Mann oder Frau und Kinder, ein Haus zwei Autos, eine Familie im Ort, die babysittet, zwei Urlaube im Jahr, eine Fußbodenheizung und einen offenen Kamin, eine Spülmaschine, einen mindestens 27 Zoll großen Mac und eine Putzfrau, künstliche Fingenägel und wöchentliche Termine bei der Kosmetikerin, Tennis und Golf, einen Holzkohlegrill der Extraklasse, eine Dauerkarte des 1. FC, eine goldene VISA-Karte und ein Konto vierstellig im Plus, und ihr doch bemerken müsst, wie unangebracht es ist, euch bei mir auszuheulen

Körpergeschichten

Die Gedanken des erzählenden Ichs in “EinSatz”, das den Leser auch sehr oft direkt anspricht, kreisen um die Themen Liebe, Gesellschaft und Körper. Sie berichtet von den Versuchen die Liebe zu finden, auf Parties, dieses zwingende Gefühl erst in der Zweisamkeit komplett zu sein. Doch ihre Suche scheint ständig auf ein Scheitern hinauszulaufen, da sie statt seelischer Verbundenheit immer nur körperliche Verbindungen erleben zu scheint. Sofort kritisiert sie das Balzverhalten, diese klammernde Hoffnung hinter dem ganzen Flirtspiel auf Parties. Im Wechsel beschwert sie sich dann auch über die anderen (die Freunde, die Bekannten), die immer wieder Ratschläge haben, die immer der Meinung sind, eine vorgefertigte Antwort liefere die Lösung. Ständig geht es auch um den Körper und wie er durch Text und Gedanken beeinflusst wird. Günther zerlegt ihren Körper immer wieder in Einzelteile oder beschreibt, wie er sich abnutzt und benutzt wird.

diesem verfluchten wissenden Nichtwissen einen Körper gibt, ungefragt, Sinn stiftend, eine Machtübernahm, eine Meuterei der Affekte, rebellierende Zellbataillone, ganze Regimenter in meinem Magen, meinem Hirn und in meinem Herz, Aktivierungspotentiale, die voll Todessehnsucht weit über das Ziel hinausschießen, und Neuronen, die betäubt über das Feld schwanken und wahllos auf alles schießen, was sich bewegt, ein rücksichtsloser Kampf ums Überleben, eine Krieg ohne Land, während dein Körper einfach nur da ist

Worthaufen und Wiederholungen

Die Sprache, die Caroline Günther in “EinSatz” nutzt, ist meist sehr direkt und ungefiltert. So wie auf die eine oder andere Art und Weise Gewalt ausgeübt wird, so wird auch ihre Sprache gewaltsam: Sie beschreibt die Gewalt, dazwischen schreit und brüllt auch. Selbstverständlich geht das nicht die ganze Zeit so, das könnte wohl auch niemand ertragen. Ihre Wut schwillt langsam an und langsam wieder ab, ihre Gedanken fließen wie ihre Sprache weiter. Hin und wieder klingt es auch etwas wissenschaftlich und da merkt der Leser den Hintergrund der Germanistin und Genderforscherin. Doch meistens sind es Beschreibungen alltäglicher Situationen. Dabei verharrt Günther oft in einzelnen Momenten, die beschreibenden Worte kumulieren und der Text bekommt in seinen Ausschweifungen und Wiederholungen einen lyrischen Charakter.

Diese Zeilen vor deinen Augen, diese Wörter in dir drin, mit jedem Atemzug diese Zeichen einverleibend, hier bist und nur hier und das solange es dir beliebt, weil sich die Linien immer weiter ziehen, von Satzzeichen zu Satzzeichen, von Buchstabe zu Buchstabe, von Wort zu Wort und Satz zu Satz und Bedeutung zu Bedeutung und Zeichen zu Körper zu Leib zu Leben

Alles dreht sich

Sowohl Sprache als auch Thema in “EinSatz” fügen sich wunderbar in die Form des Kreises ein (nicht umsonst heißt es hier schon ständig, die Gedanken kreisen). Es sind Themen, die von Wiederholung geprägt sind und auch die literarische Technik des Gedankenstroms ist für seine non-lineare bzw. unlogische Qualität bekannt. Ein Text in Kreisform kann sich logischerweise nicht entwickeln, kann auch kein Ziel hinauslaufen und deswegen passiert das auch in diesem Buch nicht – auch wenn ein wenig mehr Struktur nicht geschadet hätte. Insofern hat sich Caroline Günther für ihr Vorhaben eine gute Basis ausgesucht. Letztlich lässt sie die Gedanken fließen und baut auf der letzten Seite des Buches eine Art Verschluss ein, so wie bei einer Kette, mit dem sie Anfang und Ende unauflöslich miteinander verbindet.

Die logische Folge aus dem Umstand, dass es kein Ende gibt, ist, dass es auch keinen klaren Anfang gibt. Die weitere Idee dieses Buches war, dass der Leser eine beliebige Seite aufschlagen könnte und sich in den Gedankenstrom stürzt. Das fordert den Leser, der erstmal mit der Verwirrung umgehen muss. Es funktioniert auch nicht auf jeder Seite gleich gut: zu viel steht noch auf der Seite davor oder eine Wort ist noch an den Seitenanfang gerutscht. Ein konsequenteres Lektorat und ein Typograf mit viel Geduld hätten da Wunder bewirkt.

Noch ein Wort zur Buchgestaltung: Ursprünglich war der Plan auch, dass dieser Text als Ringbuch veröffentlicht wird, um den kreisenden Gedanken noch besser Ausdruck zu verleihen. Leider war das zu teuer. Stattdessen bietet die tatsächliche Ausgabe als Seitenzahlen eine seltsame Zahlenkombination und einen offenen Kreis. Diese Kreisöffnung wandert von Seite zu Seite, um das Gefühl des Ringbuchs zu erwecken. Außerdem gibt es Linien, an denen der bastelnde Leser die Seiten heraustrennen könnte, um sich sein Ringbuch selbst zu basteln.

Fazit: Kein Ende in Sicht

Das würde sich sicherlich lohnen, wenn man denn den Mut aufbringt ein Buch zu zerschneiden. Denn der Gedanke, dass dieses Buch nicht endet, sondern einfach wieder von vorne beginnt, funktioniert erstaunlich gut, was zu weiten Teilen an der passenden Sprache liegt. Gleichzeitig ist es sehr anstrengend dieses Buch zu lesen, denn irgendwie ist man es doch zu sehr gewöhnt, dass alles auch ein Ziel, ein irgendwie geartetes Ende hinausläuft. In diesem Sinne wabert die Sprache, so schön sie an vielen Stellen auch sei, doch etwas zu sehr dahin. Da geht dann die tiefere Bedeutung, manchmal auch die Aufmerksamkeit verloren. Sollte die Ablenkung zu groß gewesen, kann die folgende Seite von Günther “EinSatz” ja ein Neubeginn sein. Dann fällt es auch leichter, das Ende aus dem Blick zu verlieren.

Caroline Günther: EinSatz, Open House, 166 Seiten



 

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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

2 Kommentare:

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