Gewühl und Gespräche über Generationskrisen

Wie schon im vergangenen Jahr wollte ich mir die Wartezeit auf die Leipziger Buchmesse, in dem nach Frankfurt fahre. Da geht es immer viel geschäftlicher, aber dennoch gab es genug Gelegenheiten, um spannende Autoren zu treffen und mehr habe ich von dieser Messe eigentlich auch gar nicht gesehen.

AE: Na, dieses Jahr wieder in Frankfurt gewesen? Jede Menge Bücher?

T: Ooooha, ja!

AE: Letztes Jahr klang es so, als hättest du kaum Zeit auf der Messe gehabt. War es denn dieses Jahr besser?

T: Absolut … nicht. Eigentlich war es dieses Jahr sogar noch schlimmer – Ich habe es nicht einmal in den Pressebereich geschafft. Dafür habe ich eine andere Basis zum Arbeiten gefunden gehabt. Dadurch hat es sich in Frankfurt fast (aber nur fast) wie die Leipziger Buchmesse angefühlt. Statt bei mephisto 97.6 habe ich dieses Jahr bei detektor.fm ein wenig geholfen. An dieser Stelle vielen Dank für diese Offenheit. Hoffentlich gibt es in Zukunft auf diesem einzigartigen noch über Literatur zu, wenn ihr den Wink versteht.

AE: Klingt gut, aber du warst ja nicht nur am Stand N99, oder?

T: Nein, ich war natürlich auch für diesen Blog unterwegs. Genau wie letztes Jahr habe ich viele Termine mit Autoren angefragt. Dieses Jahr war ich allerdings ziemlich knapp dran – und trotzdem hat es geklappt. Mit Getraud Klemm habe ich über ihren Roman „erbsenzählen“ gesprochen, der von einer Frau erzählt, die ihr Leben nicht an kleinen Erfolgen messen möchte und mit Simon Strauß, der mit „Sieben Nächte“ ein Pamphlet gegen die Gemütlichkeit seiner Generation vorlegen wollte. Außerdem habe ich mit dem Schweizer Jürg Halter gesprochen, der sein Theaterstück zu der  Prosaskulptur „Mondkreisläufer“ umgeschrieben hat, und mit dem Theaterautoren Jakob Nolte über seinen nominierten Roman „Schreckliche Gewalten“. Ich habe noch einen weiteren Nominierten getroffen: Thomas Lehr. Den wollten wir eigentlich schon in unserer letzten Bücherdiskussion besprechen und dann war es uns zu gewaltig. Insofern war das Gespräch bei diesem manchmal schon fast widerspenstigen Buch sehr erhellend. Das erste, was es hier aber zu hören gibt, wird unser Themenspezial Typographie vertiefen.

AE: Das klingt nach ziemlich guten Gesprächen. Kann man sich mehr wünschen?

T: Naja, ich hätte bestimmt bei dem einen oder anderen gewitzter sein können. Aber ich habe noch nichts fertig geschnitten, vielleicht klinge ich trotzdem ganz gut. Und ich hätte mir gerne noch ein paar Gespräche mehr gewünscht. Sarah Crossan, die dieses Jahr für den Jugendliteraturpreis nominiert mit ihrem tragischen Roman „Eins“, hatte kurzfristig abgesagt. Wir versuchen das online irgendwie nachzuholen. Ich hätte auch sehr gerne (sehr, sehr gerne) mit Sasha Marianna Salzmann gesprochen. Da war leider der Terminkalender zu voll. Als ich sie dann auf dem Innenhof zusammen mit Marion Poschmann im Gespräch sah, wusste ich gar nicht was ich machen soll. Erwartungsgemäß bin ich dann einfach nur schweigend vorbeigelaufen.

AE: Das klingt ziemlich enttäuscht.

T: Ich hoffe, immer noch darauf, dass Suhrkamp da noch irgendetwas ankurbelt.

AE: Aber das heißt, du hast es doch noch auf die Messe geschafft?

T: Ja, ein bisschen. Am ersten Tag bin ich etwas zwischen den unabhängigen und den Publikumsverlagen herumgeschlendert. In erster Linie, um zu schauen wo ich meine Termine habe und um ein paar Bücher abzuholen. Irgendwie sah es diesmal auch nicht so spannend aus. Also die Ausstellung des Gastlandes war ja kaum mehr als eine normale Bibliothek – ein bisschen enttäuschend. Aber der Stand von Kein & Aber war ziemlich bemerkenswert: Statt wie andere in die Breite, haben die Container übereinander gestapelt.

AE: Hast du das von diesen Auseinandersetzungen gehört?

T: Dass es Schlägereien an neurechten Ständen gab. Ich habe wirklich nur davon gehört.

AE: Und was sagst du dazu?

T: Ich finde es seltsam, dass auf einmal – nach dem Erfolg der AfD – alle so überrascht sind, dass es rechte Verlage auf einer Buchmesse gibt. In Leipzig ist das auch normal, ebenso wie die dazugehörigen Proteste und die Forderungen nach einem anderen Umgang. Die Frankfurter Messe hätte das zwar schärfer verurteilen sollen, aber letztlich ist es nicht das, was mich schockiert. Eigentlich ist es mir erst auf der Rückfahrt bewusst geworden: Das Erschreckende ist, dass sich da auf einmal so viele Menschen dafür einsetzen. Ich dachte immer, die Buchmesse sei ein Ort für Leute, die zu intelligent sind für diese Art von Diskussionen, also solchen die mit Fäusten geführt werden. Das zeigt, wie tief der Riss inzwischen durch die Gesellschaft geht, dass da auf beiden Seiten so große Aversionen herrschen. Natürlich ist es billig, die heutigen Zeiten mit denen der Weimarer Republik zu vergleichen und natürlich vollkommen übertrieben (hoffentlich straft mich die Zukunft nicht als Lügner ab!), aber es scheint Geschichtsvergessenheit zu herrschen. Dabei ist die Buchmesse ein Ort, an dem das Wissen konserviert ist. Doch das scheint nicht zu reichen, wenn dieses Wissen und diese Erfahrungsschätze nicht bewusst sind.

AE: Gab es wenigstens noch erfreuliche Ereignisse?

T: Klar, ich habe meine Lieblingskinderbuchillustratorin (was für ein Wort und ja: Ich habe so etwas getroffen): Valeria Docampo, und habe mir Bücher signieren lassen.

AE: Und jetzt ist endlich Chillen angesagt?

T: Ha, schön wär’s. Die Buchmesse war ja offiziell der Urlaub. Die will ich jetzt noch schön nachbereiten mit den ganzen Interviews. Außerdem zeigt sich mal wieder, dass Leipzig eben doch eine Bücherstadt ist. Denn viele Autoren, die auf der Messe eine Option gewesen wären, kommen sowieso nach Leipzig. Wenn allein das die Buchmesse wäre, dann findet sie hier jede Woche statt.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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