Durch das lilane Europa

Und das letzte Buch unseres #dicestories Gewinnspiel: Einmal die Welt verändern. Einfach alles stehen und liegen lassen, losziehen und die Welt verändern. Das wünschen sich heutzutage viele Menschen. So auch die Figuren in dem Roman “Rucksackkometen”. So heißt das Debüt des Gewinners des MDR-Literaturpreises 2014 Stefan Ferdinand Etgeton.



Twitter-Rezi: 

Etgeton: rucksackkometen @chbeckliteratur. durch das neue europa trampen, um sich selbst zu finden. Coming-of-age mit tempo und sprachwitz.


Ja, Ideale ermöglichen, glaub ich, auf schönere und interessantere Weise zu träumen zumindest. Auf jeden Fall hat man sich dann irgendwie für längere Zeit auf die Suche begeben, so. und Vielleicht sind die Erfolge und effekte davon nicht so ganz offensichtlich, aber wenn man Idealen hinterherstrebt, dann kehrt man zurück zumindest mit dem glorreichen gefühl es irgendwie versucht zu haben oder sich angestrengt zu haben oder etwas probiert zu haben.

Diesen Gedanken verfolgt auch Stefan Etgetons Protagonist Fiete in dem Roman “Rucksackkometen”. Er will nicht in dem Sumpf eines Lebensentwurfs versinken. Er will losziehen, durch Europa reisen. Er will die Menschen kennen lernen und eine neue Idee von Europa leben will.

Ausschlaggebend für den Protagonisten ist, dass er sich ein bisschen daran stört, dass viele Lebensbereiche so stark rationalisiert sind, dass alles immer nen wert haben muss, der in Geld messbar sein muss, dass alles regeln folgen muss, dass alles immer eine Logik haben muss, dass alles strikt nach vorschrift gehen muss, das engt ihn irgendwie ein.

Denn wo bleibt da noch Raum für den Menschen, für die Liebe, für Träume. Deswegen steht Fiete dann auf der offenen Straße, zusammen mit seinem Freund Jan Spille, den Daumen des in Höhe gereckt auf der Suche nach dem nächsten Anhalter. Sie wollen alles Alte einreissen. Dafür reisen sie erstmal in das junge und vergessene Europa.



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Dann so ein bisschen außen vor lässt, dass auch noch ganz viele Länder im Osten gibt. Vielleicht ist das auch dadurch bedingt, dass es dann so ein bisschen Fransig wird und das tauch in dem Roman dann auch auf, dass die Leute sich fragen, wo hört dieses Europa eigentlich auf beziehungsweise wo fängt es an?

Und warum gibt es dann noch Grenzen? Der Roman erzählt von dieser Reise, von den Begegnung und Erlebnissen der zwei jungen Männer: von Abendessen mit vollkommen Fremden, von kleinen Liebeleien und dem Versuch, die Akropolis einzureissen. Das lässt sich dann auch als ein Roadnovel lesen, als die Erzählung einer Reise. Weil Stefan Etgeton so ein Freund des Nichtstun ist, erinnert diese Geschichte vielleicht auch an Eichendorffs “Aus dem Leben eines Taugenichts”. Am Ende geht es auch gar nicht darum, die Welt verbessert zu haben, sondern seinen eigenen Platz darin zu finden. Deswegen ist es auch eine Coming-of-Age-Geschichte, aber ist der Fast-Dreissiger Fiete dafür nicht zu alt?

Irgendwie ist das so eine Checkliste, die man als erfolgreicher Mensch abhaken muss und die ist immer länger geworden. Und wenn man die dann irgendwann abgehakt hakt, oder nicht abgehakt hat, dann hat man zum ersten Mal Zeit nachzudenken, was man denn eigentlich wollte und im Regelfall ist es dann zu spät. Ist das eigentlich die logische Konsequenz von Abitur zu studieren oder ist das die logische Konsequenz von studiert sein, dass man dann den erstebesten Job annimmt und 40 Stunden büffelt, warum überhaupt 40 Stunden büffeln. Ich habe das Gefühl, die Leute haben immer weniger Zeit zum Nachdenken, und sie kommen immer später erst dazu und dann kann dieses Coming-of-Age auch erst viel später beginnen.

Etgeton gewährt Einblick in die Gedanken des Protagonisten Fietes. Die Sprache des Romans fließt in einem alltäglichen Ton dahin. Wie eine sms ist alles klein geschrieben. Es finden sich seltsame Worte, mit denen Etgeton der alltäglichen Sprache näher kommen wollte, dazwischen auch mal poetische Bilder, wie die Liebenden, die wie Meteore umeinanderfliegen. Insgesamt klingt der Roman aber vor allem wie sein Autor.

Und dann war es bestimmt wie an dem Tag, als sie das Farbfernsehen anschalteten, und alles leuchtete plötzlich bunt statt grau, und es brodelte nur so aus meinem Mund heraus, und meinte zu jann spille, dass wir nach Griechenland trampen müssen: durch osteuropa durch und über den ganzen verkackten Balkan, durch das lilane Europa, das widerspenstige, den ganzen Weg herunter müssen wir und kühe melken, stinken, lachen, tanzen, leute umarmen und schwimmen und alles und entlang der Bergzüge, entlang der Steinstrände, entlang der Käsepaläste, durch die Märkte durch – und über die Bäche, und den Kindern und den Alten und allen anderen lauschen und immer den Geruch von Benzin und sonne in den händen, das wäre doch schön meinte ich.

Stefan Etgeton ist mit seinem Debüt ein kurzweiliges Stück Literatur gelungen. Selbstbewusst hat er seine eigene Sprache, seinen eigenen Ton einfließen lassen. Doch es ist nichts außergewöhnliches, nichts umwerfendes oder revolutionäres. Es klingt wie die Romane seiner Generation, mit ihrer fließenden Sprache, die den Alltag einbezieht. die über Sex und Liebe erzählen, die am Ende die Lösung sein soll. Aber warum auch nicht, es klingt authentisch und überzeugend. Eher nebenbei erzählt er, wie Europa besser werden könnte. Das hinterlässt vielleicht doch Spuren und die Welt ändert sich Stück für Stück.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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