Die Vision einer dunklen Zukunft

Die Graphic Novel „Die Präsidentin“ hat den Wahlausgang schon vorweg genommen: Die Franzosen François Durpaire und Farid Boudjellal lassen die Rechtspopulisten Marine Le Pen gewinnen und versuchen anhand ihres Wahlprogramms einen Blick in die nicht ganz so unwahrscheinliche Zukunft zu werfen.

Ein erwartbarer unerwarteter Sieg

Glaubt man aktuellen Analysen, ist die Ausgangssituation sogar noch schlechter. In der Graphic Novel „Die Präsidentin“ von François Durpaire und Farid Boudjellal tritt Marine Le Pen gegen den amtierenden Francis Hollande an und triumphiert über ihren Vorgänger. Jetzt stehen sich in der Stichwahl tatsächlich zwei Außenseiter gegenüber. Dadurch scheint der Sieg Le Pens zwar unwahrscheinlicher (allerdings sollte man den Tag nicht vor dem Abend loben, denke man nur an die Wahl in den Vereinigten Staaten), doch gleichzeitig befürchten Beobachter, dass die Wahl Emmanuel Macrons auf lange Sicht Le Pen und ihrem Front National zu Gute kommen könnte. Wie alles ist das Zukunftsmusik, doch es bedeutet auch, dass mit der Niederlage Le Pens, diese Zukunftsvisionen nicht gegenstandslos machen.

Es ist eine düstere Zukunft, die sich die Autoren vorstellen und die sie den Lesern vor Augen führen: Ausweisung von Minderheiten und Auswanderern, polizeistaatliche Methoden, Totalüberwachung und natürlich das große Thema des Frexits.

Die Augen der Gegenseite

Natürlich ist das nicht alles, was in diesem Comic erzählt wird, weil diese Analyse doch eher in die Tagespresse gehören würde. Die Autoren wollten diese Analyse auch mit menschlichen Schicksalen verbinden. Die Leser verfolgen die politisch angenommene Entwicklung durch die Augen einer Art Familie: Da ist eine alte Frau, die sich während des zweiten Weltkrieges in der Résistance engagierte, oder vielmehr kämpfte, ihren Enkel, die aus einer Beziehung mit einem Algerier hervorgingen und einem Hausgast, der ohne Papiere in Frankreich lebt. Natürlich wächst die Angst hier schnell: Die Großmutter fühlt sich mit diesem aufkommenden Nationalismus schnell an das Vichy-Regime erinnert und die Enkelgeneration gerät auch bald in das Visier der neuen Regierung. Zusammen eröffnen sie einen kritisch Blog, mit dem sie an die Tradition der Résistance anknüpfen.

Leider besitzen diese Figuren kaum charakterliche Tiefe. Es entsteht zwar ein gewisses Maß an Tragik und natürlich bekommt der geschilderte Schrecken so auch eine menschliche Dimension. Doch sie bleiben dramaturgische Stützen, um die Situation zu erläutern oder die Gegenargumente einzubringen.

Eine fundierte Dystopie

Es ist vor allem der Inhalt mit dem diese Graphic Novel überzeugt. An vielen Stellen wirkt diese Zukunft fast schon zu düster, es ist das düsterste mögliche Szenario, soweit wir es erkennen können, dessen Ausmaß sich bestimmt einschränken ließe. Doch diese Vorstellungen sind nicht unbegründet. Die Autoren zitieren aus dem Wahlprogramm und argumentieren mit historischen und soziologischen Erkenntnissen, allerdings ohne auf das Phänomen des erstarkenden Rechtspopulismus in den Demokratien der ersten Welt einzugehen. Es geht einzig um die Ausrichtung der Politik unter Le Pen. So steht am Ende auch kein erfolgreicher Widerstand, weder politischer noch bürgerlicher, stattdessen steht die 5. Französische Republik kurz vor dem Zusammenbruch.

Der Sachcomic „Die Präsidentin“ setzt gleichzeitig einen großen Fokus auf die Bildlichkeit, die eben sowohl der Politik, als auch dem eigenen Genre innewohnt. Sie zeigen mögliche Titelseiten der Tageszeitungen und die Diskussionen im Fernsehen. Denn dort wird Politik gemacht, die zu den Wählern dringt. In einer starken Szene überlegt Marine Le Pen wie genau ihr Porträt als Präsidentin aussehen soll. Auf diese Weise betonen die Autoren auch die Bedeutung von Selbstdarstellung und Visualisierung.

Wenig Kunst, aber viel Wissen

Ansonsten hebt sich die Graphic Novel „Die Präsidentin“ nicht durch einen besonders zeichnerischen Stil hervor, was sie ja auch gar nicht muss, da der Inhalt, die harten Fakten im Vordergrund stehen sollen. Wie für einen Sachcomic üblich sind die Seiten in Schwarz-Weiß gehalten. Und die einzelnen Panels fangen eher statische Situationen ein, wie die Familie den Wahlabend im Fernsehen verfolgt oder wie sich Le Pen mit ihrem Kabinett austauscht. Dabei werden dem Leser eine große Menge von Gesichtern vorgeführt, die in Verbindung mit der Politik oder dem öffentlichen Leben oder Le Pens Stab stehen, sodass die Graphic Novel eine hohe Anbindung an die Realität bietet.

Die Autoren François Durpaire und Farid Boudjellal entwerfen ein erschreckendes Bild von Frankreichs Zukunft, wie es unter Le Pen aussehen könnte. Vielleicht zu erschreckend, vermutlich auch eher abschreckend. Doch damit kommen sie ihrer Absicht nach vor Le Pen zu warnen, ohne den moralischen Zeigefinger direkt zu erheben, stattdessen lassen sie Analysen für sich sprechen. Womöglich hat der Sachcomic „Die Präsidentin“ keine künstlerische Bedeutung, doch er sensibilisiert für die aktuelle Politik und ihre Tendenzen.

François Durpaire, Farid Boudjellal: Die Präsidentin. Jacoby und Stuart, 160 Seiten, 19,95€

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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