Punkte gegen Linien

Durch Computer haben es Typografen mittlerweile so viel einfacher. Schriften können einfach digital bearbeitet werden, ausgetauscht und frei über den Bildschirm verteilt werden. Auch Videospielentwicklern stehen mittlerweile eine große Breite an Schriftarten zu Verfügung – ob sie die nun letztendlich auch nutzen ist wieder eine andere Frage. War das aber schon immer so? Ein Einblick in die Geschichte der Computerspieltypografie, mit viel Computer – und ein bisschen Spiel

Visuelle Typografie im “Portal”-Demake “ASCIIp0rtal”.

Es war einmal … Ja, was und wann denn überhaupt?

Ich muss gestehen, dass ich diesen Beitrag ja eigentlich anders geplant hatte. Eigentlich hätte ich an dieser Stelle gern wirklich nur einen Überblick über die Geschichte der Computer(spiel)typografie geben. Wie alles entstanden ist, wie sich alles entwickelt hat… Naiv und unwissend wie ich war, dachte ich tatsächlich, ich könnte ein paar Wikipedia-Artikel durchforsten, vielleicht noch ein paar Seitenverweise durchklicken – und schon hätte ich alles gesammelt, um einen schönen Zeitstrahl zu erstellen: Zuerst hat man in Computerspielen diese Schrift verwendet, dann diese, diese hat wiederum die nächste stark beeinflusst. Und diese Schrift wurde ganz besonders oft in Textadventures verwendet.

Schon nach den ersten paar gelesenen Artikeln musste ich aber feststellen, dass mein Vorhaben schon fast utopisch war. Seien wir doch mal ehrlich: Wie will ich wissen, mit welche Schriftart ich meinen “Zeitstrahl” der Computerspieltypografie beginnen sollte, wenn sich Wissenschaftler bis heute nicht mal einig sind, wann überhaupt die Geschichte der Computerspiele angefangen haben soll?

“Tennis for Two”: Eines der ersten “Computerspiele”.

Zähle ich schon die ersten Spielversuche wie “OXO” (eine TicTacToe Variante aus dem Jahr 1952) oder “Tennis for Two” (1958) dazu, die damals noch auf militärischen Großrechnern vor sich her plätscherten? (Die Idee konnte ich zumindest schnell wieder verwerfen – wo kein Text ist, kann schließlich nichts Typografisches analysiert werde.) Beginne ich mit dem ersten rudimentären Textadventure “Hunt the Wumpus” (1972), wobei ich mich hier wieder fragen muss, welche der vielen Versionen ich da denn nun eigentlich untersuchen soll. Muss ich mich auf flimmernden Arcade Automaten stürzen oder reicht es, wenn ich mich auf die goldenen 80er, das Zeitalter der Heimcomputer stürze und einfach ein paar Textadventures untersuche? Immerhin ist in denen doch der meiste Text zu lesen, also wäre es doch naheliegend meinen Blick auf die Typografie der Videospiele gleich mit einem textlastigen Genre zu beginnen.

Mit der Zeit hatten sich in meinem Browser also zahlreiche Tabs mit Wikipedia-Artikeln über Computerspielgeschichte, Geschichte der Typografie, Raster- und Vektorbildschirme … und … und … und … geöffnet und ich wusste am Ende nur: Wichtig ist das irgendwie alles, schließlich steigt und fällt mit den technischen Möglichkeiten auch die Wahl der Schriftarten und immerhin ist die Geschichte der Computerspiele auch immer eine der Computer.

Eine Geschichte der Computerspiel-Typografie

Die ersten Textverarbeitungssysteme entstanden  bereits in den 1960ern – also noch ein gutes Jahrzehnt, bevor Textadventures überhaupt die heimischen Wohnzimmer erobern konnten. In den USA setzen sich mit der dritten Computer-Generation (1965-1975) die ersten professionellen Schreibautomaten durch, man will es sich ja schließlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten so einfach wie möglich machen. Und da tut es einfache Schreibmaschine eben nicht mehr. Alles muss elektrisch sein.

Der “Altair 8800” als erster Mikrocomputer. (Foto: Dr. Bernd Gross, Quelle: Wikimedia)

1975. Wir befinden uns immer noch in den USA. Der “Altair 8800” löst als erster Mikrocomputer  eine regelrechte Computereuphorie aus. Endlich füllt ein Computer nicht mehr ein ganzes Stadium und ist als erschwinglicher Bausatz auch für den “Normalbürger” bezahlbar. Übrigens ist der Altair 8800 auch ein Vorläufer der Heimcomputer – der wiederum den Personal Computer (PC) nach sich zog .. und so weiter und so fort. Wichtig ist hier nur: Ende der 1970er wurde hatte der gerade mal 10 Jahre alte Fotosatz der Mikrocomputer dem 500 Jahre alten Bleisatz den Garaus gemacht.

Die eigentliche Revolution der digitalen Typografie fand aber in den 1980ern statt. “Adobe ® Systems” – wir alle kennen das Software-Unternehmen heute für seine überteuerten, aber leider auch praktischen Programme wie Photoshop – tut sich Mitte der 1980er mit dem (mittlerweile ebenso überteuerten) Apple Computern zusammen. Beide führen das sogenannte “Desktop Publishing” (DTB) ein, dem wir es zu verdanken haben, dass wir unsere Eingaben nicht mehr alle schriftlich tätigen müssen, sondern ganz praktisch über eine grafische Benutzeroberfläche auf Symbole klicken können.

Der Apple-Computer: Macintosh 128k ist einer der ersten Desktopcomputer. (Foto: Admrboltz, Quelle: Wikimedia)

Auch im Bereich der Typografie tut sich mit den neuen Desktoprechnern so einiges: Erste spezielle Schriftformate wie Bitmap- und Vektorfonts (das erkläre ich gleich) entstehen, denen Adobe einige Zeit später noch das PostScript Format hinterher schiebt. Schriften können damit ganz einfach digital bearbeitet werden. Als dann Ende der 1980er auch noch das “World Wide Web” Einzug hielt, hatten Mitte der 1990er nun auch die Fotosätze sowie die noch teilweise existierenden analoge Schriftsätze endgültig ausgedient.

Bevor wir jetzt aber zu den zahlreichen Möglichkeiten der digitalen Typografie kommen und wie Videospiele die überhaupt heute nutzen, noch ein kleiner Sprung zurück in der Zeitlinie – zurück zu den ersten Textadventures. Dort ist von dem “Wunderwerk” Computer nämlich kaum etwas zu erkennen: Weiß auf einem schwarzen, vielleicht auch mal eher bläulichen – in jedem Fall aber immer flackernden – Hintergrund; Schriften, Pixel für Pixel zu einem rudimentären Buchstaben zusammengereiht, der mit der verschnörkelt schön gestalteten Buchstaben der Druckerpresse so wirklich gar nichts gemeinsam hat. Simpel, pragmatisch – mehr Möglichkeiten boten Rechenleistung und Bildschirmauflösung einfach nicht an. Denn wie so oft steht am Beginn jeder Neuentdeckung immer erst die Frage:

Was ist denn überhaupt möglich? (Oder: Bitmap v. Vektor)

In den frühen 80ern, dem goldenen Zeitalter der Textadventures, waren das nämlich zunächst nur zwei Schriftarten: Bitmap- und Vektorfonts. Zwei Schriften, die sich auch weniger darüber definierten, ob sie nun serifen- oder serifenlos, besonders bauchig oder eher schlank, sondern vielmehr über die Art, wie die Buchstaben generiert wurden.

Die Bitmap-Schrift besteht beispielsweise genau aus dem, an was wir meist denken, wenn uns Retrospiele in den Sinn kommen: An Pixel. Bei der Bitmapschrift werden nämlich genau wie bei einer Bilddatei die Buchstaben als Grafik in Rastern gespeichert. Das hat vor allem den Vorteil, dass die Buchstaben schnell abgerufen konnten, immerhin liegen die Buchstaben ja schon als fertiges Bild auf dem Rechner ab. Es hat aber eben auch den großen Nachteil, dass das Bild beziehungsweise der Buchstabe nicht so einfach vergrößert werden kann, ohne, dass einem gleich die Pixel um die Ohren springen. (Ihr könnt ja mal ein Bild in der Größe von 100px x 100px auf je 1200 px vergrößern und schauen, ob ihr da noch was erkennen könnt.) Zwar könnten die Buchstaben auch einfach in anderen Größen abgespeichert werden, dafür braucht es aber auch den entsprechenden Speicherplatz – und den hat man eben nicht immer. Schon gar nicht zur Zeit der großen Schulterpolster.

Verschiedene Bitmap-Fonts. Immer schön pixelig. (Foto: Chmod007, Quelle: Wikimedia)

Dagegen ist Vektorschrift schon deutlich ansehnlicher – aus dem einfachen Grund, dass die Buchstaben hier nicht über einzelne Rasterpunkte, sondern (meistens jedenfalls) über durchgehende Linie definiert werde. Genauer:

“…eine Liste der Koordinaten der Anfangs- und Endpunkte der einzelnen Linien innerhalb einer virtuellen Punktmatrix (wobei üblicherweise einer der Eckpunkte dieser Punktmatrix als Koordinatenursprung angenommen wird). Da sich unter Zuhilfenahme zusätzlicher Attribute auch gekrümmte Linien und gefüllte Flächen durch Linienzüge beschreiben lassen, sind alle Formen von Zeichen prinzipiell durch Vektorfonts beschreibbar.”

Wikipedia

Zu kompliziert formuliert? Ist im Großen und Ganzen aber auch völlig irrelevant. Wichtig ist hier gerade eben nur der letzte Nebensatz: “… sind alle Formen von Zeichen (und damit eben auch alle Buchstaben und Schriftarten) prinzipiell durch Vektorfonts beschreibbar.”

Wenn also theoretisch alle Schriften beschrieben werden können und das sowieso viel besser aussieht, warum sich also überhaupt mit pixeligen Bitmapschriften abquälen? Weil eben nur “prinzipiell” und “theoretisch”: Vektoren lassen sich nur schwer auf Rasterbildschirmen darstellen und die wurden – vor allem aus Kostengründen – nun einmal vorzugsweise in den 1980ern genutzt. Vektormonitore sind ja ganz schön, aber eben auch teuer.

Und so müssen wir eben damit leben, dass Retrospiele nicht nur mit pixeligen Bildern, sondern meist auch mit pixeligen Buchstaben zu kämpfen haben und Textadventures nicht in Schnörkelschrift verfasst werden konnten. Ist aber vielleicht auch besser so.

#TypoFact:

Mittlerweile werden alle digitalen Schriften über Vektoren generiert – dem wir es zu verdanken haben, dass wir unsere Schriften bis ins hundertfache vergrößern können, ohne vor lauter Pixel nichts mehr erkennen zu können. Reicht schon, wenn wir uns damit bei Bildern herumquälen müssen.

Rogue-like: Aus der Not eine Tugend

Pixel hin oder her. Eingeschränkte Möglichkeiten müssen ja nicht immer nur Schlechtes bedeuten. Manchmal bringen auch wenige Mittel die kreativsten Ideen hervor – und manchmal entsteht aus ein paar einfachen ASCII Zeichen auch ein ganzes Genre.

“ASCII” (Abk. f. “american standard code for information interchange”, “amerikanischer Standardcode für den Informationsaustausch”) war ursprünglich ein 7-Bit-Code, der kleinen und großen Buchstaben, Zahlen und einigen Sonderzeichen jeweils eine Zahl zuordnet, die sich durch 7 Bit darstellen lädt (0 bis 127). Die ersten 32 Codes sind dabei Steuerzeichen für Zeilenvorschub usw. vorbehalten. Der ASCII-Code ist insbesondere im Bereich der kleineren Rechner üblich.

Computerlexikon

Rogue-like Games sind da wohl das perfekte Beispiel. Das Computerrollenspielgenre verzichtet nämlich nicht nur vollständig auf Speicherstände und Lademöglichkeiten, was einen verflixt hohen Schwierigkeitsgrad nach sich zieht (perma death ist eben keine Erfindung von “Dark Souls”). Um noch weiteren Platz zu sparen werden die Karten meist auch noch aus Text, genauer über ASCII Zeichen, generiert. Und was anfangs vor allem durch die begrenzten technischen Möglichkeiten der 1980er Jahre bedingt war, entwickelte sich mit der Zeit zu einem markanten prägnanten Markenzeichen.

Warum “Rogue-like”?

Weil sie in Aufbau, Stil und Spielprinzip an das in den 1980er-Jahren an der Universität von Berkeley (Kalifornien) entwickelte Computerspiel Rogue angelehnt sind. Das war’s auch schon mit der Erklärung.

Wie das dann genau aussehen soll, seht ihr in dem Beispielbild – das im Übrigen ein Screenshot aus dem Rogue-like Game “NetHack” ist:

Der Spielplan wird als Draufsicht mit ASCII Zeichen dargestellt. Clevererweise werden die dann einfach gleich als grafische Elemente genutzt, um Zeichen für Zeichen einen bestimmten Inhalt repräsentieren: @ ist beispielsweise die Position der Spielfigur, a-z, A-Z der 0-9 sind diverse Monster, -, l, +, <, > und . stehen für Türen, Wände, Treppen und Gegenstände werden ebenfalls durch Sonderzeichen dargestellt. (% ist beispielsweise Essen und Gold wird logischerweise als $ dargestellt). Visuelle Typografie wie sie leibt und lebt.

Übrigens haben Rogue-like Games bis heute eine so große Fangemeinde, dass immer noch regelmäßig neue Spielerscheinungen dem Stil nachufern – teilweise nur in der Komplexität der Spielstruktur und dem hohen Schwierigkeitsgrad, zum Teil aber eben in der Ästhetik. Das 2009 erschienene “Portal”-Demake “ASCII pOrtal” beispielsweise hat rein spielerisch nicht viel mit den klassischen Rogue-like Games gemein (“ASCII pOrtal” ist ja nicht mal ein Rollenspiel). Dass sich das Demake aber visuell ganz klar an den minimalistischen Spielen orientiert, dürfte wohl kaum von der Hand zu weisen sein:

Wie es mittlerweile heute mit Typografie in Videospielen aussieht und ob sich Videospielentwickler überhaupt noch für Schriften interessieren – das ist wieder eine andere Geschichte, zu der ich nächste Woche etwas erzählen werde.


Themenbeiträge:
Einführung // Experimentelle Typografie // Geschichte der Computer(spiel)Typografie // Videospieltypografie

Besprechungen:
“Alles oder Nichts” (Papier) // “Typoman” (Digitales) // “Type:Rider” (Digitales)

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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