Wenn „Nur mal kurz die Welt retten“ so einfach wäre

Was passiert, wenn man den Traum aller empathischen Menschen auf die moderne Medienmaschine treffen lässt. Vielleicht ein Fernsehcontest über die Rettung der Welt oder ein Theaterstück, dass den Weg dahin verfolgt. Das zeigte die Uraufführung von Laura Naumanns Stück „GRAND PRIX DE LA VISION“ am Schauspiel Leipzig.

Foto: Rolf Arnold

Ich komme an – mit dem Stück in der Tasche und schon etwas skeptisch wie das funktionieren soll, wie man einen Roadtrip, der zu großen Teilen aus Konversation im Auto besteht, auf die Bühne bringen will. Denn es ist ein Text, der viel erzählt, dessen Figuren viele Gedanken preisgeben und á la Mauerschau erzählen, was sie sehen. Außerdem bin ich schlecht gelaunt und müde, da will ich mal ganz ehrlich sein, weil das kann die Meinung ja durchaus beeinflussen, aber glücklicherweise habe ich ein Korrektiv neben mir sitzen und bin natürlich gespannt, wie die Regie den Text in Theater verwandeln soll.

Ich verrate – was viele vermutlich schon von der Ankündigung der Uraufführung wissen. Vier Menschen machen sich auf den Weg die Welt zu retten. Da ist Clara (Anne Cathrin Buhtz), eine erfahrene Kämpferin des Militärs, deren Herz vermutlich so viele Sprünge hat, dass sie es kaum mehr fühlt, etwas unbeherrschbar und die Ideengeberin der Gruppe. Anna (Shari Asha Crosson) ist eine Bürgerin des Internets. Sie verdient ihr Geld Quizfragen schreibt, doch eigentlich versucht sie das Internet von Hasskommentatoren zu befreien. Skart (Runa Pernoda Schaefer) ist nach dem Skartkabel benannt, geknüpft an die Welt der bewegten Bilder, etwas altmodischen und weinerlich. Halbgar (Brian Völkner) ist der einzige Junge diese Unternehmung (mehr oder weniger), der mit seinen Eltern im Wald den ersten Weltkrieg nachspielt. Aber weil darauf keine Lust hat, geht er mit auf diesen Trip. Die letzte in der Runde ist Emily, eine Drohne des Militärs, total anthropomorphisiert soll zum Guten gewandelt der Welt ein Beispiel geben. Das ist das Projekt, dass die vier beim Grand Prix de la Vision vorstellen wollen, einer Fernsehshow, in der Menschen ihre Ideen zur Weltrettung präsentieren und wer gewinnt wird finanziert. Nur mit Mühe und jeder Menge Streit kommt diese seltsame Gruppe an mit all ihren Narben und Hoffnungen.

Foto: Rolf Arnold

Ich sehe – jede Menge Sitze. Nein, nicht die im Zuschauerraum, sondern auf der Bühne (Hugo Gretler) stehen gut zehn Auto-Sitze zu einem Carrée angeordnet, immerhin sind wir auf einer Auto-Tour. Im Hintergrund wedelt eine golden glitzernder Lametta-Vorhang in der Mitte steht ein großer Buzzer. Wir sind irgendwie schon richtig in einer Show drin. Wer etwas sagen will muss sich mit dem Buzzer Gehör verschaffen, mit dem sogleich geschickt und starke Lichtstimmung (Jörn Langkabel) wechseln. Die Darsteller bringen sich in Pose und quatschen ihre Geschichte in das Mikrofon. Sie stehen im Zentrum, denn in diesem Stück geht es nicht wirklich um den Versuch die Welt zu retten, sondern mit seiner eigenen unzulänglichen Persönlichkeit ins reine zu kommen. Deswegen spiegeln die Kostüme (Agathe MacQueen) diese Charaktere auch wunderbar wieder. Clara komplett in schwarz, mit einem zerschnittenen Basecap auf dem Kopf, durchaus mit einem post- oder paramilitärischen Anklang. Anna scheint da das komplett Gegenteil mit ihrer weißen Bluse und ihrer Haardutt, während die Jogginghosen zeigen, dass sie nicht einfach Teil des Anzugtragenden Establishments ist. Skart ist mit schmutzigen, weißem Tüllrock ein Paradebeispiel des Depri-Teenagers. Nur Halbgar mit seiner Militäruniform aus vergangenen Zeiten und seiner Neongelben Strumpfhose bleibt irgendwie unbestimmt und unangepasst.

Ich höre – wie Emily singt. Dieses Metallgebilde hängt unter der Decke und piept kleine Melodien. Auch aus dem vermeintlichen Autoradio sind immer wieder mal Songs zu hören, die schon der Theatertext vorgibt in einem Anhang an Webadressen, immerhin geht es um digital natives. Ansonsten gibt es viel Text. Alle Figuren stellen sich mit einem Monolog vor und treffen in statischen Dialogen aufeinander. Die zwischengelegten englischen Einsprengsel wirken oft fremd, was teilweise am Text liegt, aber vielleicht auch an den  nicht ganz überzeugten Englischkenntnissen der Darsteller. Doch das sind nur kleine Teile, denn eigentlich wird alles was passiert auch erzählt. Sie kommen an einen großen Zaun und sehen ein Aufruhr, Menschen, die an einem Zaun hängen. Aber sie erkennen schnell, alles unecht, alles nur eine große Show zum Vermarkten eines Musikstars. Sie beschreiben wie sie in einem Lokal schlecht behandelt werden, weil sie einfach anders sind. Immer wieder führt das auch zu Grundsatzdiskussionen und –gefühlen. Es geht um die Unhöflichkeit in einer Zeit in der sich niemand mehr kennt, um die Bedürfnisse und Verwirrungen, die die Medien wecken, um die eigene Unzulänglichkeit in einer Welt, die so viele Probleme hat, dass man sie gar nicht lösen kann. Alles schon irgendwie richtig, alles schon irgendwie mal nachgefühlt, aber irgendwie auch nicht überraschend, nicht erschreckend. Vielleicht es wirklich tragisch, aber es legt keine Wunde offen, obwohl es da bestimmt viele notdürftig versorgte Wunden gäbe.

Foto: Rolf Arnold

Ich beobachte – erstmal gutes Schauspiel im handwerklichen Sinne, wenn auch nicht alle auf der gleichen Höhe. Die Inszenierung schafft es jeder Figur eine eigene Körpersprache zu geben. Anna macht viel mit ihren Händen um ihre Texte zu untermalen, etwas belehrend. Clara bewegt sich kantig, abrupt mit wunderbarem Timing. Skart offensichtlich infantil und Halbgar explodiert immer aus einer eher zurückhaltenden Art, scheinbar gewillt das Ereignis wirklich voran zu bringen. Denn darum geht es in der Inszenierung: um ein Ereignis. Darauf baut schon der Text auf, das alle darauf warten etwas Einzigartiges zu erleben, aber auch es zu schaffen. Doch leider schafft es die Inszenierung nicht so recht. Sie versucht schon von Beginn so eine Stimmung von Show, von Medienwelt zu zeigen mit Glitzervorhang und Buzzer. Aber es bleibt eben doch eine Autofahrt. Die Schauspieler stolpern fast mehr über die Sitze, weil man sich ja doch bewegen muss, erst recht bei Gefühlsausbrüchen, doch über die Personenführung vermittelt sich wenig und so verlässt sich alles auf den Text und setzt um, was er vorgibt. Natürlich keine irrelevante Diskussion um die Wahrhaftigkeit der Welt in der Zeit der Medien, in der wir eben glauben, was flimmert. In dem uns alles wahrhaftiger scheint, wenn es gut inszeniert ist und uns Unterscheidungen von gut und böse immer schwerer fallen, weil wir weder wissen, wo wir ansetzen sollen, noch wo die Menschlichkeit heute sitzt – vielleicht sogar in der Maschine. Also lassen wir uns lieber berieseln, sagen morgen und nicht heute und verlassen uns auf Castingshows, die schon wissen werden, was gut ist und jedem sein bisschen Ruhm zugesteht. Wir hängen nur auf der Couch oder rennen ziellos umher, wie eben die Schauspieler.

Ich fühle – mich etwas gelangweilt. Wie schon gesagt, keine neuen Erkenntnisse. Zwar schön nieder geschrieben, aber auch nicht so überwältigend, dass man sich einfach über den Text freut. Natürlich war es nicht anstrengend, die Zeit verging, der Text kam auf den Punkt und hat mich auch zum Lachen gebracht. Aber er hat mich nicht überwältigt, mich nicht zum Nachdenken gebracht, mich nicht bewegt.

Ich sage – der Text war eine Hürde und die Regie hat sie umgerissen. Der Text selbst hat keine Theatersituation hergestellt, sondern hätte sich vielleicht eher für einen Film geeignet, doch so bleibt kaum etwas anderes übrig, als die Schauspieler Texte aufsagen zu lassen, darüber, was ihnen gerade passiert, als es sie einfach tun zu lassen. Die Regie hat versucht es in einen entsprechenden Raum und ein entsprechendes Konzept zu bringen, was aber nur dürftig funktioniert, da sie dem Text weder starke Aktionen noch Bilder abgewinnt, sondern dem einfach folgt. Inhaltlich und auch inszenatorisch sind da zwar schon Ideen. Nehmen wir Halbgar, wie er versucht einfach mal klar zu machen, dass es vielleicht erst einmal untereinander wieder funktionieren muss, damit man das große Ganze angreifen kann oder seine Vision, wie er selbst einmal auf dem Tomorrowland feiert, sich ein Ereignis realer Gemeinschaft erträumt. Aber letztlich fehlt es dann doch an Fokus und Tiefgang und so plätschert es eben nur so hin. Vielleicht folgerichtig wie viele Weltrettungsversuche.

GRAND PRIX DE LA VISION von Laura Naumann, in Auftrag gegeben und uraufgeführt vom Schauspiel Leipzig in der Inszenierung von Alxandra Winkler.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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