Vom Gewinn am Verlieren

Game over – zwei Worte, die mir sofort die Zornesröte ins Gesicht treiben. Wir hassen es zu verlieren und doch suchen wir immer wieder die Herausforderung. Zu leichtes Level-Design? Nein Danke. Der Game-Designer und Computerspielforscher Jesper Juul nahm sich diesen Widersprüchlichkeiten in seinem Essay “The Art of Failure” einmal an und stellt dabei fest, dass Scheitern nicht nur Schlechtes bedeutet…

DieKunstdesScheiterns

Jesper Juul ist ein schlechter Verlierer. Das weiß er und gesteht das dem Leser auch gleich zum Beginn von “The Art of Failure. An Essay on the Pain of Playing Video Games”. Ausführlich berichtet er von seinen Erfahrungen mit dem Rhythmus-Spiel “Patapon”, das er aus Frust über das eigene Versagen ersteinmal beseite legen musste. Erst nach einigen Internetrecherchen, bei denen er erleichtert feststellen konnte, dass er mit seinem Problemen mit dem Spiel nicht allein stand, trat er die musikalische Reise wieder an. (Das Spiel ist dran Schuld – Ich gestehe, dass ich oft genauso handle, wenn ich in einem Videospiel mal nicht weiter komme.)

Warum spielen wir Computerspiele, obwohl sie sich so essentiell mit etwas auseinandersetzen was wir nicht mögen – dem Scheitern?

Jesper Juul

Um diese Frage ranken sich alle Überlegungen dieses Buches, die wiederrum oft mehr Fragen hervorrufen, als sie beantworten. Dabei stellt Jesper Juul die unterschiedlichsten Bezüge her und erkennt sogar im Scheitern ein schlummerndes Potential: Könnte es dazu beitragen, dass Computerspiele endlich als Kunstform akzeptiert werden? – Eine Kunstform, die uns lehrt mit Niederlagen umzugehen, weil wir in Spielen – anders als im echten Leben – faire Chancen auf einen Sieg haben? Naja, zumindest mehr oder weniger fair. Die frühen Computerspiele ließen durch ihren hohen Schwierigkeitsgrad diese Fairness nämlich oft genug anzweifeln.


Es war einmal: Eine Geschichte des Scheiterns

In diesem Zusammenhang gewährt Juul auch gelegentlich kleine Einblicke in der Geschichte der Computerspiele. So merkt er beispielsweise an, dass erst mit dem Aufkommen der Heimkonsolen in den 1980er Jahren das Ende eines Spiels tatsächlich überhaupt erst erreicht werden konnte. Die Arcaden-Spiele wurden zuvor so konzipiert, dass ein Spieler dieses unmöglich erfolgreich beenden konnte. Warum auch? Der Spieler sollte schließlich immer wieder neue Münzen in den Automaten werfen und das würde er sicherlich nicht mehr so eifrig tun, wenn er erst sein Ziel erreicht hätte. Dagegen wird den heutigen Computerspielen oft vorgeworfen, viel zu einfach zu sein – wir sind also auch nicht zufrieden, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen können.

Diesem “Paradox des Scheiterns” – wie Juul es im Laufe seiner Untersuchungen trefflich zusammenfasst – widmet er sich in “The Art of Failure” aus vier Perspektiven: Der Philosophie, der Psychologie, dem Game Design und der Fiktion, wobei jeweils ein Kapitel einem Bereich zugeordnet ist. So setzt sich Juul zum Beispiel im psychologischen Kapitel mit dem Gefühl des Scheiterns auseinander und wie wir etwa bewusst scheitern, um unser eigenes Schuldeingeständnis zum umgehen. Wie wir uns hingegen verhalten, wenn wir gewinnen, unser Avatar hingegen handlungsbedingt scheitern muss (beispielsweise durch den eigenen Tod oder dem einer geliebten Person), untersucht Jesper Juul hingegen im letzten Kapitel.


Wer liest das?

“The Art of Failure” ist jedem zu empfehlen, der sich nach dem 20. “Game Over” fragt, warum er sich mit dem Ärgernis überhaupt weiter herumplagt und dann doch gleich wieder zum Controller greift – Also im Grunde jedem Computerspieler, der fluchend vor dem Bildschirm hockt und das selbe Spiel mit leuchtenden Augen als seinen Liebling beschreibt. Genau auf diese Gegensätze geht Jesper Juul nämlich in seinem Essay ein. Mit seinen 150 Seiten und relativ kurzen Kapiteln ist “The Art of Failure” zudem die perfekte “Zwischendurch-Lektüre”, um sich nach einem nervenaufreibenden Level ein wenig abzureagieren. Die Antwort oder ein Patentrezept gegen das Verlieren kann Juul dabei zwar nicht bieten. Er kann aber zumindest den Leser damit helfen, sein Verhalten etwas besser verstehen zu können. Und wenn Juul dann auch noch die ein oder andere Computerspiel-Anekdote fallen lässt, kann er sich wenigstens in dem Wissen erleichtert fühlen, in seinem Ärger nicht allein zu sein.

Wer sich in seinem Frust nicht auch noch mit der englischen Sprache herumplagen will, kann übrigens erleichtert aufatmen: Unter dem Titel “Die Kunst des Scheiterns. Warum wir Videogames lieben, obwohl wir immer wieder verlieren” erschien der Essay nämlich auch in deutscher Übersetzung von Annette Kühn beim Luxbooks Verlag. (Ich persönlich empfehle jedoch das englische Orginal, da die deutsche Übersetzung stellenweise einige Schwächen und Fehler aufweist. Beispielsweise wird der Arcade-Klassiker “Pac-Man” als “klassisches Brettspiel” beschrieben, was – naja – nicht so ganz stimmt. Es gibt tatsächlich eine Brettspielversion von Pac-Man, aber die meint Jesper Juul ganz sicher nicht, wenn er von einem klassischen “Game Over”-Bildschirm schreibt.)



Englisch:
Jesper Juul: The Art of Failure. An Essay on the Pain of Playing Video Games, MIT Press, 176 Seiten, 21,95 $ (Hardcover), 13,95 $ (ebook)

Deutsch:
Jesper Juul: Die Kunst des Scheiterns. Warum wir Videospiele lieben, obwohl wir immer verlieren, Luxbooks, 150 Seiten, 14,90 €

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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