Totenmesse Digital

Sie nannten es Deathical, eine große Show mit Musik und Projektionen, mit Avataren und Leben 2.0. Der Tod sollte als große Multimedia-Show gezeigt werden, denn der Titel war „Death will be televised“, eine Produktion von Westfernsehen und LOFFT in Leipzig.

Foto: Robert Soujon

Es war ein Abend mit viel zu viel, aber von nichts genug. Nachdem das Licht ausging, konnte ich einen Mann sehen der vor sich hin sinniert, über den Tod und das Leben. Ein Vorspiel für die folgende Show: Er stürmt auf die Bühne und preist dem Publikum ein Mittel gegen den Verfall an, nennt uns Sterbewesen. Ich bin schon ein bisschen angeheizt. Nun gut, es ist alles etwas plump; die Einblendungen sind simpel, die Bewegungen hölzern und die Songtexte billig. Letztlich sind solche Verkaufsveranstaltungen bestimmt so – Gott sei Dank bin ich bis jetzt immer drum herum gekommen.

Aber als Form ist das natürlich großartig, das Theater nicht als ästhetische Bühne sondern als große Show, wie uns jeden Tag das Leben verkauft wird. Das Leben wird hier zur Ware, der Tod ist lästig und uns höher entwickelten Wesen nicht angemessen. Insgesamt eine Anzeichen, dass unser Verhältnis zum Tod vollkommen losgelöst ist, fast schon pervertiert.

Leider wechselt diese Szene sehr schnell, denn der Showmaster ist nicht nur Showmaster, sondern ein Individuum, ein Revolutionär der Vergänglichkeit. Unsere Perversion von Wechsellauf um Leben und Tod rückt dabei in den Hintergrund, denn die Revolution ist greifbar: Mind Uploading. Die Idee ist den Geist in Einsen und Nullen zu verwandeln, der sich schließlich in eine virtuelle Welt versetzen könnte.

Eine alte Idee, älter als ich und immer wieder neu aufgebracht. Sicher, jede neue Dekade lässt diese Utopie immer in greifbarer Nähe rücken. Aber heute Abend wird dieser Gedanke gar nicht bis zum Schluss durchdacht, so scheint mir. Wer kann wirklich folgen, wie kann das wirklich funktionieren, was bedeutet das für unsere wirkliche Welt. Vor allem Letzteres scheint mir auf der Bühne eine besonders relevante Frage zu sein, denn das Theater ist eine körperliche Kunstform. Stattdessen kommuniziert der Darsteller mit Abbildern seiner selbst, dürftige digitale Doppelgänger. Vielleicht kann man darin die Frage lesen, ob sich der Mensch wirklich in Binärcode pressen lässt, doch dafür braucht es schon guten Willen.

Ein interessanter Gedanke ist die Gleichsetzung mit Jesus, oder allgemein mit dem Messias. Es zeigt, dass die Angst vor dem Tod und der Wunsch nach seiner Überwindung nicht neu sind, keine Erfindung der Moderne, hier höchstens zur Manie ausgewachsen. Der hatte vielleicht in der Zwischenzeit eine kurze Absenz, aber er ist noch allgegenwärtiger zurückgekehrt, sodass die Menschen, beinahe kopflos, wieder auf der Suche nach einem Heilsbringer sind. Vielleicht ist Religiösität nie mehr als dass, der Versuch dem Mysterium Tod die Stirn zu bieten.

Doch auch dieser Gedanke wird nur kurz angeschnitten, eigentlich mehr herbeigeredet. Denn der junge Messias schafft es nicht seine Gemeinde zu mobilisieren. Der eigentliche Werbeakt sollte dann auch das Zentrum der Produktion sein: Der Protagonist und Alleinperformer will sich live uploaden und seinen Körper dem Tod überlassen.

Am Ende bleibt nur weißes Rauschen und das Publikum wartet auf eine Epiphanie, doch sie bleibt aus (das könnte ein spannender Moment sein, doch selbst die Irritation ist nicht stark genug). Obwohl die alleinige Bühnenpräsenz eine erstaunliche Leistung ist, das Bühnenbild mit durchsichtigen Projektionsflächen durchaus effektvoll eingesetzt wird, bleibt das Stück oberflächlich. Es waren viele schöne Ideen, doch eine hätte vielleicht gereicht, um sie in der Tiefe zu verfolgen, wie es der Tod verdient hätte.

“Death will be televised. Ein klassisches Deathical” von Westfernsehen, produziert von LOFFT – Das Theater. Premiere war am 8. September 2016, weitere Aufführungen sind am 10. und 11. September, jeweils mit einer Einführung über Todesrituale.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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