Selbsterklärend

Ist das Literatur oder Schund? Kunst oder Kinderkritzelei? Die Comics haben immer noch einen schweren Stand, werden zu oft als Witz abgetan und einer jugendlichen Zielgruppe zugerechnet. Dabei ist doch der Comic eine eigenständige Form visueller Literatur. In den letzten Jahren hat er deswegen auch immer mehr Annerkennung bekommen. Bestimmt auch wegen Scott McCloud und seinen Comictheorien.

Der Comic lässt sich am besten im Comic erklären. Deswegen hat der Künstler und Autor Scott McCloud ein Cartoon-Alter Ego, das durch das Sachbuch “Comics richtig lesen” wandert und erzählt, was es mit dem Comic auf sich hat. Denn für ihn ist der Comic mehr als nur eine wöchentlich erscheinende Ansammlung bunter Bilder voller billiger Superheldengeschichten. Für Scott McCloud ist der Comic eine eigene Kunstform, die ihr Potenzial noch lange nicht ausgereizt hat. Doch statt einfach irgendwie rumzuexperimentieren, fragt sich McCloud erst einmal, was es mit diesem Comic überhaupt auf sich hat.

Was also ist dieser Comic?

McCloud reduziert den Comic, unter Berufung auf Will Eisner, als sequentielle Kunst. Der Comic ist eben nicht nur eine Kombination aus bebilderten Text, da die Bilder für sich sprechen und auch nicht nur Bilder mit Sprechblasen, denn nicht immer braucht der Comic Text. Im Zentrum steht also das Bild, aber nicht als einzelnes. Es zeigt nicht nur eine Situation, sondern will eine Geschichte erzählen. Das schafft der Comic indem er mehrere Bilder hintereinander setzt und so Bewegung oder Situationen entfaltet. Laut McCloud wird bildende Kunst also dann zur Literatur, wenn die Bilder in einen Ablauf gebracht werden und auf diese Weise etwas erzählen.

Diese Definition belegt McCloud natürlich nicht nur durch logische Schlussfolgerungen sondern eben allein dadurch, dass sein Buch selbst ein Comic ist, so wird deutlich: Das einzelne Bild ist kein Comic, erst die Abfolge von Bildern, wie gerade hier. Nach dieser Definition wird klar, der Comic ist älter, als die meisten vermuten würden, da reicht es, an die Höhlenmalereien zu denken.

Was ist besonders an dieser Kunst?

Natürlich vieles, aber fangen wir bei einem Gedanken an, den viele eher unbewusst begreifen, der aber unerlässlich ist um den Comic zu verstehen: die Zeit. Das äußert sich in zwei Aspekten. Zum ersten ist das einzelne Bild, nennen wir es comicmeisterhaft Panel, ein stehendes Bild. Aber anders als bei einem Gemälde muss es kein stehender Moment sein, sondern viele Momente zugleich, die hier verbunden werden, sozusagen zusammengepresst. Das deutlichste Beispiel ist das Gespräch: In Comics stehen sich Menschen gegenüber und was sie sagen, steht eben in Comicblasen. Natürlich sprechen hier nicht alle durcheinandern, sondern nacheinander. So sind in einem Bild mehrere Zeitpunkte gleichzeitig zu sehen. Das alles bebildert McCloud sehr geschickt.

Zum Zweiten sind da die Rahmen der einzelnen Panels, die eine besondere Magie ausüben. Es ist ein besonders schöner und starker Moment, wenn der Cartoon-McCloud plötzlich auf etwas zeigt, was die Leser sonst gar nicht wahrnehmen wurden, und deswegen war die Form des Comic beinahe unabdingbar gewesen.

Paradoxerweise begrenzen die Rahmen des Bild nicht nur sondern machen es auch unbegrenzt. Es ist fast so, wie dieses Zwischen-den-Zeilen-lesen in Büchern, nur dass Comicleser das immer machen. McCloud spricht von Induktion, das unsere Fantasie (im weitesten Sinne) etwas zwischen die einzelnen Bilder setzt, Bewegungen und Schwenks nachzeichnet.

Und warum ist das jetzt so toll?

Weil es einfach Spaß macht, das so zu lesen. Aber im Ernst: Es ist die Idee mit Bildern und Zeichen Geschichten zu erzählen, denn Bilder sind eindrücklich. Es braucht keine langen Beschreibungen einer Situation, das Bild genügt. Vor allem aber vermitteln diese Bilder auch Stimmungen, je nachdem welche Ausschnitte gewählt wurden und welche Zeichenstile. McCloud erklärt an Beispielen, welche Grade der Abstraktionen im Comic existieren, und das der Strich, mit dem gezeichnet wird, viel über die Geschichte erzählen kann. Dazu kommt noch, dass der Comic viel stärker und vielschichtiger mit Symbolen arbeiten kann. Kurz gesagt: Der Comic ist konkreter und unmittelbarer als das Buch, kann durch den Stillstand aber viel tiefere Bilder und Bildfolgen schaffen als der Film, außerdem besitzt er eine ganz eigene Grammatik und Mechanik, die Scott McCloud in seinem Comic-Sachbuch bewusst macht.

Comics sind cool, aber ist dieser es auch?

Es ist ein großartiger Comic! Natürlich ist es keine große Kunst, aber die klaren Linien und der Schwarz-Weiß-Stil sind perfekt um den Comic zu erklären. Dabei macht McCloud keine große Frage daraus, ob das jetzt überhaupt ein gutes Wort (es gibt keine Diskussion um Comicbücher oder Graphic Novels) ist, er versucht es eher aufzuwerten. Der Begriff ‘Comic’ scheint hier, trotz des hohen Anspruchs auch gerechtfertigt zu sein, denn die Erklärungen erfolgen stets mit Leichtigkeit und auch mal einem Witz. Das beste jedoch ist – wie bestimmt schon durchgedrungen – die Form des Comics. Das ganze wirkt so viel weniger nach harter Analyse, McCloud zeigt sich als Könner und Kenner der Szene und was er anspricht, haben wir zwar gesehen aber nicht wahrgenommen. So wirkt es noch mehr wie ein “Augenöffnen”, wenn der Cartoon-McCloud Panelanordnung, Zeitabläufe und Rahmen erklärt. Bestimmt wäre es auch anders möglich gewesen (etwa eine bebilderte Abhandlung), aber so wirken die Beispiele, die notwendig sind, viel unaufdringlicher und werden zum Teil der der Abhandlung. So schafft es McCloud Lesespaß zu schaffen und das Comiclesen zu verändern.

War da nicht von Zukunft die Rede?

“Die Möglichkeiten des Comic sind seit jeher – und auch heute – UNBEGRENZT.”

Das ist der zentrale Satz in diesem ersten Buch, denn nach dem McCloud den Comic so genau analysiert hat, wird auch klar wo die Innovationen liegen, was möglich ist und vor allem warum es eine eigene Kunstform ist, die wie jede Kunstform auch viele triviale Ausläufer hat. In seinem zweiten Band “Comics neu erfinden” widmet McCloud sich genau diesen Innovationen im Bereich der Comics. Dass er ein großer Kenner der Geschichte ist, hat er bereits vorher bewiesen. Er führt viele Beispiele an, um zu zeigen, was der Comic alles kann: Er kämpft hier vor allem für mehr Mut und Vielfalt – von Themen, Genres, Stilen und letztlich auch Vertriebswegen.

Hier sieht er die Hauptursache für die Simplizität des Comics. Er erklärt die Maschinerie des Comicmarktes und wie er so geworden ist, wobei sich McCloud durchaus kapitalismuskritisch zeigt. Doch was das angeht, sieht McCloud sowieso eine Revolution gekommen (Bedenke, dass “Comics neu erfinden” bereits 2000 erschienen ist): Die Digitalisierung, die neue Vertriebswege eröffnet, direkte Auseinandersetzung mit der Leserschaft und weniger Probleme bei der Produktion. Während “Comics richtig lesen” zeitlos etwas über Comics verrät, ist “Comics neu erfinden” ein Kind seiner Zeit. Die Analysen des Marktes scheinen zwar immer noch richtig, aber vieles, was McCloud fordert und wünscht, ist schon auf dem besten Weg. Doch er ist sich dessen schon bewusst, wenn er anmerkt, wie schnell die digitale Entwicklung voranschreitet.

Bedauerlich hingegen ist, dass die Form in diesem Comic nicht mehr so zwingend erscheint. Es ist mehr wie ein Vortrag, den er auch so hätte halten oder einfach hinschreiben können, denn es geht eben nicht um den Comic an sich, sondern um das drumherum. Zwar ist McCloud sehr erfindungsreich, wenn es um die Visualisierung geht, er entwickelt klare Symbole und Schaubilder, die aber auch nicht notwendig wären. So ist “Comics neu erfinden” ebenfalls nett zu lesen und füllt durch die vielen Beispiele die Literaturliste, aber an die Bedeutung seines Vorgänger “Comics richtig lesen” reicht es leider nicht heran.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

2 Kommentare:

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