Ein Forschungszweig mit Identitätsproblemen

In letzter Zeit haben wir uns endlich wieder verstärkt den Videospielen widmen können – was aber überhaupt ein Videospiel ist,  oder was es so besonders macht ist bisher noch etwas zu kurz gekommen. Das wollen wir jetzt nachholen und uns einmal etwas den Game Studies zuwenden. Die widmet sich genau diesen Fragen und hat dabei selbst noch Probleme sich zu Recht zu finden. Eine (kurze?) Einführung in ein Forschungszweig mit Identitätsproblemen.

Games represent a new lively art, one as appropriate for the digital age as those earlier media were for the machine age. They open up new aesthetic experiences and transform the computer screen into a realm of experimentation and innovation that is broadly accessible. And games have been embraced by a public that otherwise been unimpressed by much of what passes for digital art.

Henry Jenkins[1]

Videospiele sind noch recht jung. Das mag sich zwar für mich immer wieder etwas seltsam anhören; gerade, wenn man bedenkt, dass die ersten digitalen Spiele schon in den 1950er entstanden sind. Verglichen mit ihrem Urahnen, dem Spiel – aus dem laut Historiker Johan Huizinga sogar die menschliche Kultur gewachsen sei – haben Videospiele eben doch noch einen weiten Weg vor sich.

Ein Forschungszweig in den Kinderschuhen

Wenn die Geschichte der Videospiele also noch recht jung ist, so ist die der Game Studies eigentlich kaum vorhanden. Zwar wurden bereits in den 1970ern Artikel über Videospiele in populärwissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht; meist waren das aber einfache “How to”-Anleitungen zum Nachprogrammieren von und für Computerenthusiasten. Über die nächsten 30 Jahre erschienen dann auch vereinzelte wissenschaftliche Publikationen (z.B. Elizabeth F. und Geoffrey R. Loftus’ “Mind at Play: The Psychology of Video Games” im Jahr 1983) – als eigener Forschungszweig etablierten sich die Game Studies aber erst um die Jahrtausendwende.

In den vergangenen Jahren wuchsen dann nicht nur die Fankreise, auch in der Forschung stieg das Interesse an Videospielen rapide an. Zahlreiche Publikationen und Fachzeitschriften (“Game Studies” und “Games and Culture”), Konferenzen wie die DiGRA International Conference und Gesellschaften zeigen, dass sich die Game Studies zunehmend etablieren – auch wenn der junge Forschungzweig immer noch mit Begrifflichkeiten und Herangehensweisen zu kämpfen hat.

Findungsprobleme

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Friedrich Schiller

Spieletheorien gibt es eigentlich wie Sand am Meer. Jesper Juul, einer der bekanntesten Videospielforscher, hat einmal geschrieben, dass so ziemlich jeder berühmte Philosoph seine Theorie zum Spiel beigetragen habe.[2] An einer allgemeingültigen Definition sind die Herren Philosophen dann aber doch kläglich gescheitert. Glücks-, Sport-, Theater- und Brettspiel – Spiele gibt es eben in so vielen Formen, dass die Kulturwissenschaftlerin Natascha Adamowsky sogar scherzhaft behauptete, es sei “leichter, einen Sack Flöhe zu hüten, als den Untersuchungsgegenstand präzise zu definieren.”[3]

Auch den Game Studies ergeht es da nicht besser – im Gegenteil. Hier scheitern wir schließlich bereits an der Bezeichnung: Ist es ein “Videospiel”, ein “Computerspiel”, “elektronisches Spiel”, “digitales Spiel” oder doch “interaktives Spiel”? Dazu gesellt sich noch die deutlich schwerwiegendere Frage, von welcher Perspektive Videospiele eigentlich betrachtet werden sollten.

Ludologie vs. Narratologie

Wie uneinig sich die Videospielforschung über die Bedeutung von Videospielen ist, zeigt auch eine Debatte, die einige Zeit lang die Game Studies in zwei Lager gespalten hat – in Ludologen und Narratologen. So waren die Narratologen lange Zeit der Auffassung, dass Videospiele genau wie andere Medien vor allem Geschichten erzählen – wenn auch auf ihre ganz eigene Art. Für die Ludologen haben Erzählungen aber keine Bedeutung und heben stattdessen den spielerischen Aspekt hervor.

Mittlerweile ist klar, dass sich die narratologischen und ludologischen Aspekte in Videospielen keinesfalls wiedersprechen müssen, sondern beide eine (mehr oder weniger) wichtige Rolle spielen.

Spieltheorien sind da sicherlich zunächst ein naheliegender Ansatz. Der audiovisuelle Aspekt spricht aber eher für eine filmwissenschaftliche Untersuchung, dann würde jedoch wiederum der spielerische Aspekt vernachlässigt werden. Algorithmen sind Bestandteil der Informatik – ein Videospiel lässt sich aber nicht nur einfach auf Algorithmen und Daten beschränken, sondern hat durchaus auch künstlerische Qualitäten. Hinzu gesellen sich noch gesellschaftliche Aspekte, sprachliche oder soundtechnische – sodass Videospiele neben der Medienwissenschaft und Informatik, auch in der Kulturwissenschaft, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft – oder eben in der Theaterwissenschaft (aus der heraus im übrigen auch ich Videospiele untersuche) erforscht werden.

Immersion, Flow, Interaktivität?

Tatsächlich haben auch die Game Studies bereits versucht erste eigene Begrifflichkeiten festzulegen. Über die Jahre sind beispielsweise immer wieder Begriffe wie “Flow” und “Immersion” gefallen, um die “Sog-Wirkung” von Videospielen zu beschreiben. Genau wie “Interaktivität” werden aber auch diese beiden Termini vor allem für ihre Ungenauigkeit und Subjektivität kritisiert – ein Problem, mit den die Videospielforschung häufig zu kämpfen hat.

Auf der Suche nach dem richtigen Mittelweg

Of course, games should also be studied within existing fields and departments, such as Media Studies, Sociology, and English, to name a few. But games are too important to be left to these fields. (And they did have thirty years in which they did nothing!) Like architecture, which contains but cannot be reduced to art history, game studies should contain media studies, aesthetics, sociology etc. But it should exist as an independent academic structure, because it cannot be reduced to any of the above.

Espen Aarseth, Game Studies

Die Game Studies haben zwar noch viel zu kämpfen – im Grunde haben aber alle Forschungsdisziplinen einmal klein anfangen müssen. Beispielsweise wurde nach dem deutsch-amerikanischen Medienwissenschaftler Gundolf S. Freyermuth Filme zunächst hauptsächlich von Filmmachern untersucht, dann eben durch Theorien verwandter Fächer (z.B. der Theaterwissenschaft) bis die Filmwissenschaft endlich ihren eigenen Weg finden konnte.[4] Wenn wir nun also wie Freyermuth die Wissenschaft in diese drei Phasen einteilen, sind die Game Studies gerade einmal in der zweiten Phase angelangt und noch auf die Unterstützung verwandter Disziplinen angewiesen – die sie zudem nicht immer wie vielleicht gewünscht erhalten. (Nicht nur im Alltag werden Videospiele als gewaltverherrlichende Zeitverschwendung kritisch beäugt. Ein skeptisches “Achso? Das kann man erforschen?” bekam ich im Studium nur allzu oft zu hören.)

Wir wollen nun in einem zweiwöchigen Game Studies-Spezial ein Spiel nehmen und an diesem Beispielen zeigen, dass sich Videospiele eben auf völlig unterschiedliche Weise untersuchen lassen. Von der Medien- über die Kulturwissenschaft, bis eben auch zur Musik- und Theaterwissenschaft – hier ist im Grunde noch alles möglich. Und irgendwo dazwischen findet sich sicherlich auch der richtige Weg für die Game Studies.


[1] Henry Jenkins in: The Video Game Theory Reader, hrsg. v. Bernard Perron; Mark J.P. Wolf,  New York, NY [u.a.]: Routledge 2003, S.20.

[2] Jesper Juul in: Freyermuth, Gundolf S.: Games I Game Design I Game Studies. An Introduction. Bielefeld: transcript Verlag 2015, S. 192.

[3] Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten, Frankfurt: Campus 2000, S. 22.

[4] Freyermuth, Gundolf S.: Games I Game Design I Game Studies. An Introduction, Bielefeld: transcript 2015, S. 188f.


Literatur

Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten, Frankfurt: Campus 2000.

Freyermuth, Gundolf S.: Games I Game Design I Game Studies. An Introduction, Bielefeld: transcript 2015.

Juul, Jesper: Half-Real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds, Massachusetts [u.a.]: MIT Press 2005.

Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies. Games in Culture, Los Angeles [u.a.]: Sage Publications 2008.

Newman, James: Playing with video games, London [u.a.]: Routledge 2008.

Perron, Bernard; Wolf, Mark J.P. [Hrsg.]: The Video Game Theory Reader, New York, NY [u.a.]: Routledge 2003.

Perron, Bernard; Wolf, Mark J.P. [Hrsg.]: The Video Game Theory Reader 2, New York, NY [u.a.]: Routledge 2009.

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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